OGH: Arzthaftung - summierte Einwirkungen
Verursachen eine körperliche Vorschädigung des Patienten und ein ihr nachfolgender ärztlicher Behandlungsfehler einen bestimmten Gesamtschaden, der durch keine dieser Ursachen allein, sondern nur durch ihr Zusammenwirken herbeigeführt werden konnte, so haftet der Arzt nicht für die Folgen einer schon vor Behandlungsbeginn bestehenden Grundschädigung, sondern nur für jenen weiteren Schaden, der durch sein Fehlverhalten verursacht wurde, soweit insofern in ihren natürlichen Ursachenzusammenhängen abgrenzbare Teilschäden feststellbar sind; andernfalls haben den Gesamtschaden der Arzt und der Geschädigte analog § 1304 ABGB zu gleichen Teilen zu tragen
§§ 1295 ff ABGB
GZ 4 Ob 75/08w, 10.06.2008
Es steht fest, dass der schadensstiftende körperliche Zustand der Klägerin auf das Zusammenwirken von zwei Ursachen zurückzuführen ist, nämlich den haftungsauslösenden Behandlungsfehler des Beklagten einerseits und einen von der Klägerin gem § 1311 ABGB zu vertretenden Zufall (ihre intrauterine Vorschädigung) andererseits, wobei beide Ursachen den Gesamtschaden in seiner konkreten Gestalt nicht jeweils selbständig herbeigeführt hätten, dieser Schaden ist vielmehr eine Folge additiv wirkender Ursachen.
OGH: Es liegt kein Fall alternativer Kausalität vor, sondern ein solcher summierter Einwirkungen - davon spricht man, wenn mehrere Ereignisse (Ursachen) für sich genommen den Schaden nicht allein, sondern nur durch ihr Zusammenwirken herbeiführen können -, bei denen ein ärztlicher Behandlungsfehler des Beklagten auf eine intrauterine Vorschädigung der Klägerin traf. Es handelt sich ferner nicht um einen sogenannten "Anlagefall", wenn also im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses bereits eine dem Geschädigten innewohnende (konstitutionelle) Schadensanlage bestand, die später zum gleichen Schaden geführt hätte, oder eine durch den Schädiger unmittelbar herbeigeführte Verletzung (erst) zusammen mit einer besonderen Veranlagung des Geschädigten für die Schwere der Verletzungsfolgen bestimmend war. Diese Fälle sind unter dem Gesichtspunkt der Adäquanz zu beurteilen und werden in Lehre und stRsp dahin gelöst, dass der Schädiger selbst dann, wenn zwei Umstände nur zusammen die Schwere des Verletzungserfolgs bedingen, für den gesamten Schadenserfolg verantwortlich ist.
Voraussetzung jeder Schadenszurechnung ist die Verursachung des Schadens durch den Schädiger. Der natürliche Kausalzusammenhang zwischen der Handlung des Schädigers und dem Schadenserfolg muss erwiesen sein.
Geiß/Greiner weisen zutreffend darauf hin, dass ein Patient in der Regel bereits erkrankt ist, wenn er einen Arzt einschaltet. Dieses Krankheitsrisiko wird nicht durch die Übernahme der Behandlung zum Risiko des Arztes. Soweit Schäden aus der Grunderkrankung herrühren, hat sie der Patient zu tragen. Nur soweit die fehlerhafte Behandlung zu (weiteren) Schäden führt, haftet der Arzt.
Im Anlassfall hat der Beklagte durch den ihm unterlaufenen Behandlungsfehler nur eine Mitursache für den Schaden in seinem konkreten Ausmaß gesetzt, während die Klägerin die Folgen ihrer intrauterinen Vorerkrankung selbst zu tragen hat. Für die Schadenszurechnung in einem solchen Fall summierter Einwirkungen, bei dem haftungsbegründendes Verhalten des Beklagten mit einem den Geschädigten selbst belastenden schicksalhaften Geschehen schadensstiftend zusammenwirkt, ist danach zu unterscheiden, ob jener Schadensbeitrag zum Gesamtschaden, für den das Verhalten des Beklagten teilkausal war, abgrenzbar ist oder nicht. Im Fall eines abgrenzbaren Teilschadens ist dem Beklagten nur jener Schadensbeitrag zuzurechnen, den er selbst verursachte. Ist hingegen eine Aufgliederung der Schadensfolgen je nach den für den Gesamtschaden ursächlichen mehreren Zurechnungsgründen nicht möglich, so hat analog der Zweifelsregel in § 1304 ABGB eine Schadensteilung Platz zu greifen. Dabei muss die im Schrifttum und in der Rechtsprechung für den Fall alternativer Konkurrenz eines haftungsbegründenden Verhaltens mit Zufall vertretene Lösung um so mehr dann gelten, wenn - wie hier - bereits feststeht, dass beide maßgebenden Ursachen schadensstiftend zum Gesamtschaden beigetragen haben, ihr jeweiliger Anteil daran jedoch unaufgeklärt bleiben sollte.