OGH: Kann ein Unterhaltszuspruch nach § 68a EheG auch das Ausmaß eines solchen nach § 66 EheG erreichen?
In Ausnahmefällen kann die Grenze des Unterhalts nach § 66 EheG erreicht werden
§ 68a EheG
GZ 6 Ob 108/08p, 05.06.2008
Es ist zwischen den Parteien nicht strittig, dass der Frau grundsätzlich ein Unterhaltsanspruch gegenüber dem Mann nach § 68a Abs 2 EheG zusteht. Strittig ist lediglich die Höhe.
OGH: Nach nunmehr stRsp des OGH ist der Unterhaltsanspruch nach § 68a EheG folgendermaßen zu ermitteln: Maßgeblich ist zunächst der konkrete Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten. Bezieht der Unterhaltsberechtigte eigenes Einkommen oder Sozialhilfeleistungen, wie etwa Wohn- und Mietzinsbeihilfen oder Heizungspauschalen, muss er sich diese bei Ermittlung seines Lebensbedarfs anrechnen lassen, es sei denn, dem Sozialhilfeträger wären vom Gesetzgeber Ersatzansprüche eingeräumt oder es wäre eine Legalzession normiert worden. In einem weiteren Schritt ist zu prüfen, ob der ermittelte Lebensbedarf bzw der vom Unterhaltsberechtigten begehrte niedrigere Betrag in einem Bereich von 15 bis 33 % der Unterhaltsbemessungsgrundlage des Unterhaltspflichtigen liegt. Dieser Kontrollrechnung liegen die üblicherweise gem § 68 EheG (unterer Wert) und gem § 66 EheG (oberer Wert) zugesprochenen Prozentsätze zugrunde, wobei die angeführten Werte für jene Fälle gelten, in denen der Unterhaltspflichtige keine weiteren Sorgepflichten zu bedienen hat. Bei der Kontrollrechnung ist vom valorisierten Einkommen des Unterhaltspflichtigen im Zeitpunkt der Auflösung der ehelichen Gemeinschaft auszugehen, wenn sich seine Lebensverhältnisse zwischenzeitig verbessert haben. Haben sie sich hingegen verschlechtert, muss sich dies der Unterhaltsberechtigte anrechnen lassen, weil immer die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen maßgeblich ist.
Nach stRsp des OGH und Lehre soll der angemessene Unterhalt nach § 66 EheG "tunlichst" nicht erreicht werden. Schon allein diese Wortwahl schließt in sich, dass - allerdings nur in Ausnahmefällen - die Grenze des Unterhalts nach § 66 EheG doch erreicht werden kann.
Tatsächlich hat der OGH im Anwendungsbereich des § 66 EheG bereits mehrfach ausgesprochen, eine erhöhte Prozentkomponente könne zugesprochen werden, wenn die Durchschnittsquote nicht zur Deckung des Existenzminimums bzw des Ausgleichszulagenrichtsatzes reiche; allerdings stelle dieser Betrag keine absolute Untergrenze dar, müsse doch auch die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen berücksichtigt werden. Es erschiene nun nicht sachgerecht, dem Unterhaltsberechtigten auch im Anwendungsbereich des § 68a EheG grundsätzlich einen Betrag in Höhe des Existenzminimums bzw des Ausgleichszulagenrichtsatzes zukommen zu lassen, soll doch der Unterhalt nach § 68a EheG tunlichst unter jenem nach § 66 EheG ausgemessen werden. Allerdings ist es im Sinne eines ausgewogenen Unterhaltssystems, das auch eine gewisse Gleichbehandlung von Unterhaltspflichtigen und Unterhaltsberechtigten in Grundsatzfragen - wie etwa der Deckung des eigenen Grundlebensbedarfs - voraussetzt, angemessen, dem nach § 68a EheG unterhaltsberechtigten vormaligen Ehegatten jedenfalls einen Betrag in jener Höhe zukommen zu lassen, wie sie auf Seiten des Unterhaltspflichtigen als "absolute Belastbarkeitsgrenze" judiziert wird. Diese orientiert sich in der jüngeren Rechtsprechung am Unterhaltsexistenzminimum ohne Steigerungsbeträge und betrug in den Jahren 2005 bis 2008 zwischen 579 und 653 EUR. Im Sinne der Entscheidung 4 Ob 51/06p stellt allerdings auch dieser Betrag keine absolute Untergrenze dar; vielmehr ist die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen dadurch zu berücksichtigen, dass im Rahmen der Kontrollrechnung der nach § 66 EheG angemessene Unterhalt (bei Fehlen weiterer Sorgepflichten 33 %) nicht überschritten werden darf.