OGH: Schadenersatzrecht - zur Zweckmäßigkeit des Rettungsaufwands
Der Rettungsaufwand ist positiver Schaden, der nur zu ersetzen ist, wenn er zweckmäßig war, aber unter dieser Voraussetzung auch dann, wenn er ohne Erfolg geblieben ist, wobei als Maßstab für die Beurteilung der Zweckmäßigkeit das Vorgehen zu dienen hat, das ein "vernünftiger Mensch" bei gleicher Sachlage gewählt hätte
§§ 1295 ff ABGB
GZ 8 Ob 6/09d, 30.07.2009
Die Klägerin litt an einem Bandscheibenvorfall und unterzog sich daher einer Laserdiskektomie, die zwar kunstgerecht durchgeführt wurde, aber unnötig war. Danach war eine weitere Operation erforderlich, die jedoch zu spät erfolgte. Bereits nach der ersten Operation war das linke Bein der Klägerin gefühllos, was sich auch durch den zweiten Eingriff nicht änderte. Durch die frühere Vornahme der zweiten Operation hätte die Gefühllosigkeit am linken Bein mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit verhindert werden können. Der nunmehr Beklagte wurde im ersten Verfahren gegen den behandelnden Arzt zum Sachverständigen bestellt und stellte fest, dass kein Behandlungsfehler vorgelegen sei. Das Berufungsgericht führte aus, dass sich alle Überlegungen zur Annahme eines Kunstfehlers bei der ersten Operation erledigt hätten. Ein weiterer, vom Berufungsgericht bestellter Gutachter stellte jedoch fest, dass die vom behandelnden Arzt empfohlene Laseroperation fachlich falsch gewesen sei. Daher brachte die Klägerin eine Wiederaufnahmsklage ein. Mit der nunmehrigen Klage begehrt die Klägerin vom beklagten Erstgutachter ua die Kosten des Wiederaufnahmeverfahrens, da dieser ein unrichtiges Gutachten erstattet habe.
OGH: Die stRsp in Amtshaftungssachen, wonach jene Verfahrenskosten und damit zusammenhängende weitere Aufwendungen, die einer an einem behördlichen Verfahren beteiligten Person durch rechtlich nicht vertretbare Entscheidungen oder Verfahrensschritte(-verzögerungen) erwachsen sind, als ersatzfähiger Schaden gem § 1 Abs 1 AHG anzusehen sind, sofern sie zur Schadensbeseitigung notwendig (adäquat) aufgewendet werden mussten, bedarf hier keiner (analogen) Anwendung, weil sich die Klägerin schon in der Klage darauf berufen hat, dass das Wiederaufnahmsverfahren geboten gewesen sei, um die Aufhebung der für sie zu diesem Zeitpunkt "unanfechtbaren Zwischenerledigung" des Berufungsgerichts zu erwirken. Die Klägerin berief sich daher inhaltlich bereits im Verfahren erster Instanz auf einen ihr entstandenen Schaden, der durch einen sog "Rettungsaufwand", das ist der Aufwand, der gemacht wird, um eine Gefahr abzuwenden, entstanden sei.
Der Rettungsaufwand ist positiver Schaden, der nur zu ersetzen ist, wenn er zweckmäßig war, aber unter dieser Voraussetzung auch dann, wenn er ohne Erfolg geblieben ist. Als Maßstab für die Beurteilung der Zweckmäßigkeit hat das Vorgehen zu dienen, das ein "vernünftiger Mensch" bei gleicher Sachlage gewählt hätte. Ein solcher Aufwand kann aber auch in der Erstattung von Rechtsverfolgungskosten liegen, sodass es keiner Analogie zum Amtshaftungsrecht bedarf. Die Frage eines allfälligen Rettungsaufwands ist im Rahmen einer ex ante-Betrachtung zu beurteilen. Das damalige Berufungsgericht billigte ausdrücklich und abschließend die kunstgerechte Durchführung der ersten Operation der Klägerin und die dieser vorangegangene korrekte ärztliche Aufklärung als Verfahrensergebnis. Vom Berufungsgericht abschließend erledigte Streitpunkte können aber im fortgesetzten Verfahren nicht mehr aufgerollt werden, bezüglich der schon erledigten und entscheidungsreifen Sachanträge kommt ein neues Vorbringen nicht mehr in Frage. Der von der Klägerin eingeschlagene Weg der Wiederaufnahmsklage war daher grundsätzlich zulässig. Im hier konkret zu beurteilenden Fall ist die Einbringung der Wiederaufnahmsklage auch als zweckmäßig anzusehen: Die Entscheidung des damaligen Berufungsgerichts über die kunstgerechte Durchführung der ersten Operation und die ordnungsgemäße Aufklärung der Klägerin war nicht nur für das weitere Verfahren bindend, sondern darüber hinaus auch im Rechtsmittelweg in einem zweiten Rechtsgang nicht mit Aussicht auf Erfolg bekämpfbar. Die Bekämpfung der in diesem Zusammenhang einzig und allein entscheidenden Tatfrage in dritter Instanz war auch in einem zweiten Rechtsgang nicht mehr möglich. Die Einbringung der Wiederaufnahmsklage war daher unter den im konkreten Fall gegebenen Umständen tatsächlich das einzige zur Verfügung stehende Mittel, den Schaden, der der Klägerin aus dem (ihrer Auffassung nach) unrichtigen Gutachten drohte, abzuwehren. Die Wiederaufnahmsklage stützte sich auf die behauptete unvollständige Grundlage des im Hauptverfahren vom Beklagten erstatteten Sachverständigengutachtens, sodass sie auch nicht von vornherein als aussichtslos oder unschlüssig anzusehen war.