28.01.2010 Zivilrecht

OGH: Zur auffallenden Sorglosigkeit des Erwerbers einer Liegenschaft iSd § 2 NWG

Auffallende Sorglosigkeit des Erwerbers liegt nur dann vor, wenn der Erwerber bei vorherigem Bemühen um die Erlangung einer Wegeverbindung oder durch Erkundigungen eine an die Stelle der Begründung eines Notwegs tretende zumutbare Alternative zur Herstellung der die ordentliche Bewirtschaftung oder Benützung seiner Liegenschaft erst ermöglichenden Verbindung mit dem öffentlichen Straßennetz hätte in Erfahrung bringen können, wenn es ihm also vor dem Erwerb der Liegenschaft tatsächlich möglich gewesen wäre, den Wegmangel zu verhindern


Schlagworte: Notwegerecht, auffallende Sorglosigkeit des Erwerbers
Gesetze:

§ 2 NWG

GZ 3 Ob 154/09g, 22.10.2009

Die Antragstellerin begehrt die Einräumung eines Notwegs zu Gunsten ihres Grundstücks - eine als Baufläche gewidmete Liegenschaft - in Form der Dienstbarkeit des uneingeschränkten Geh- und Fahrwegs. Sie habe bei der Gemeinde um die baupolizeiliche Bewilligung für die Errichtung einer Wohnanlage mit sechs Wohneinheiten auf ihrem Grundstück angesucht. Im Zuge dieses Bauverfahrens sei von den Anrainern eingewendet worden, dass die Eigentümer des Grundstücks nicht berechtigt seien, den Zufahrtsweg in seiner gesamten asphaltierten Breite mitzubenützen.

OGH: Nach der neueren und nunmehr als gefestigt zu betrachtenden Rechtsprechung des OGH liegt auffallende Sorglosigkeit des Erwerbers einer Liegenschaft iSd § 2 NWG nicht schon in der Kenntnis des Erwerbs einer Liegenschaft ohne ausreichende Anbindung an das öffentliche Wegenetz. Die Unterlassung des Versuchs der Herstellung einer Wegeverbindung vor dem Erwerb der Liegenschaft ("Sicherung einer Kommunikation") bzw die Einholung von Erkundigungen über allfällige Wegeverbindungen vor dem Liegenschaftserwerb bilden keinen Selbstzweck. Auffallende Sorglosigkeit des Erwerbers liegt vielmehr nur dann vor, wenn der Erwerber bei vorherigem Bemühen um die Erlangung einer Wegeverbindung oder durch Erkundigungen eine an die Stelle der Begründung eines Notwegs tretende zumutbare Alternative zur Herstellung der die ordentliche Bewirtschaftung oder Benützung seiner Liegenschaft erst ermöglichenden Verbindung mit dem öffentlichen Straßennetz hätte in Erfahrung bringen können, wenn es ihm also vor dem Erwerb der Liegenschaft tatsächlich möglich gewesen wäre, den Wegmangel zu verhindern. Ein Anspruch auf Einräumung eines Notwegs für eine bestimmte Liegenschaft kann daher an sich nicht schon durch Erwerbsvorgänge allein untergehen.

Auch wenn den Vorinstanzen darin beizupflichten ist, dass der Erwerb der Liegenschaft durch die Antragstellerin, ohne sich zu vergewissern, ob die vom Verkäufer zugesagten mündlichen Vereinbarungen über die Benützung der Liegenschaftsteile der Antragsgegner wirklich bestehen, als auffallend sorglos einzustufen ist, lässt dieses Verhalten nach den dargelegten Grundsätzen einen Anspruch auf Einräumung eines Notwegs nicht untergehen: Der Antragstellerin wäre nur dann auffallende Sorglosigkeit iSd § 2 NWG anzulasten, wenn es ihr gelungen wäre, vor dem Erwerb der Liegenschaft eine zumutbare Alternative zu dem nun angestrebten Notweg zu erlangen, etwa durch Abschluss einer privatrechtlichen Vereinbarung mit den Antragsgegnern über die Benützung der erforderlichen Liegenschaftsteile, die über den Grenzverlauf der Privatstraße hinausgehen. Nur dann nämlich, wenn solche Verhandlungen tatsächlich zu einer Wegeanbindung geführt hätten, kann deren Unterlassung als relevante Sorgfaltswidrigkeit beurteilt werden. Sollte sich in diesem Punkt das Vorbringen der Antragstellerin als zutreffend erweisen, wonach die Antragsgegner den Abschluss einer Servitutsvereinbarung von der Bedingung abhängig machten, dass die Antragstellerin keine Wohnhausanlage errichtet, wird im Zweifel anzunehmen sein, dass auch eine Verhandlung mit den Antragsgegnern vor Abschluss des Kaufvertrags zu keinem Erfolg iSe Wegeanbindung geführt hätte. Haben sich nämlich die entsprechenden Rahmenbedingungen seit Erwerb der Liegenschaft nicht geändert, wird davon auszugehen sein, dass auch vor Erwerb der Liegenschaft geführte Verhandlungen zu keinem anderen Ergebnis als die "Nachverhandlungen" geführt hätten.