18.03.2010 Zivilrecht

OGH: Zur Schmerzengeldbemessung / Verunstaltungsentschädigung

Tendenziell wird der Schmerzengeldanspruch für gravierende Dauerfolgen heute deutlich höher festgesetzt als noch vor einigen Jahren; der Einfluss des Lebensalters des Verletzten auf die Schmerzengeldbemessung ist grundsätzlich zu bejahen


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Schmerzengeld, Verunstaltungsentschädigung, Dauerfolgen, Alter
Gesetze:

§ 1325 ABGB, § 1326 ABGB

GZ 2 Ob 105/09v, 18.12.2009

OGH: Das Schmerzengeld ist die Genugtuung für alles Ungemach, das der Geschädigte infolge seiner Verletzungen und ihrer Folgen zu erdulden hat. Es soll den Gesamtkomplex der Schmerzempfindungen unter Bedachtnahme auf die Dauer und die Intensität der Schmerzen nach ihrem Gesamtbild, auf die Schwere der Verletzungen und auf das Maß der physischen und psychischen Beeinträchtigung des Gesundheitszustands abgelten und die durch Schmerzen entstandenen Unlustgefühle ausgleichen. Das Schmerzengeld ist nach freier Überzeugung (§ 273 ZPO) unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls für alles Ungemach, das der Verletzte bereits erduldet hat und voraussichtlich noch zu erdulden haben wird, grundsätzlich global festzusetzen. Tendenziell erscheint es geboten, das Schmerzengeld nicht zu knapp zu bemessen. In die Globalbemessung des Schmerzengelds sind neben den bereits erlittenen Schmerzen auch künftige, nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge zu erwartende körperliche und seelische Schmerzen einzubeziehen. Unter diesem Gesichtspunkt kann etwa auch das Bewusstsein eines die gewohnte Lebensgestaltung nachhaltig beeinflussenden Dauerschadens und die damit verbundene seelische Belastung bei der Bemessung des Schmerzengelds in Betracht zu ziehen sein.

Was den Einfluss des Lebensalters des Verletzten auf die Schmerzengeldbemessung anlangt, so wird dieser in der Rechtsprechung grundsätzlich bejaht. So wurde etwa ausgeführt, dass bei der Festsetzung des Schmerzengelds auch das Ungemach, das der Verletzte voraussichtlich noch zu erdulden haben werde, zu berücksichtigen sei. Der Einwand der Unbeachtlichkeit des fortgeschrittenen Alters des Verletzten sei daher nicht richtig.

In der Literatur wird vertreten, dass bei Kindern für Dauerschäden wegen der größeren Länge der Dauerfolge ein Zuschlag zum Schmerzengeld zuzugestehen sei. Es gehe dabei nicht um eine unterschiedliche Bewertung der Verletzung an sich, sondern um die Berücksichtigung der Schwere und Dauer des Leidens. Der Verletzte sei etwa durch eine Lähmung oder den Verlust von Gliedmaßen weniger betroffen, wenn er den größten und besten Teil seines Lebens schon hinter sich gebracht habe, als dann, wenn er fast das gesamte Leben noch vor sich habe. Dem Jugendlichen entgehe wesentlich mehr, der Großteil seiner Pläne könne nicht mehr verwirklicht werden und dementsprechend empfinde er den Verlust seiner Bewegungsfähigkeit als viel gravierender und viel intensiver. Diese Umstände seien auch in die Bemessung einzubeziehen. Dabei sei aber auch die abnehmende Intensität der Schmerzen zu berücksichtigen: Der seelische Schmerz wegen des durch die Körperverletzung herbeigeführten Verlusts der körperlichen Bewegungsfähigkeit bleibe nicht Tag für Tag durch die Jahre gleich, vielmehr trete nach der ersten Verzweiflung des Verletzten über den Zustand, in den er nun geraten sei, oft eine gewisse Gewöhnung ein. Im Ergebnis werde daher das Schmerzengeld etwa für die Lähmung eines Jugendlichen zwar erheblich höher ausfallen müssen als für einen älteren Menschen, aber sicherlich nicht ein Vielfaches erreichen können.

Wenngleich bei der Bemessung des Schmerzengelds auf die Umstände des Einzelfalls Bedacht zu nehmen ist, ist doch zur Vermeidung von Ungleichheiten auch ein objektiver Maßstab anzulegen, wobei der von der Judikatur ganz allgemein gezogene Rahmen nicht gesprengt werden darf.

Tendenziell wird der Schmerzengeldanspruch für gravierende Dauerfolgen heute deutlich höher festgesetzt als noch vor einigen Jahren.

Zur Verunstaltungsentschädigung:Der Zuspruch einer Verunstaltungsentschädigung ist dann geboten, wenn das durch die Verunstaltung hervorgerufene äußere Erscheinungsbild das bessere Fortkommen beeinträchtigen kann. Dabei ist unter der Behinderung des besseren Fortkommens iSd § 1326 ABGB nicht bloß die Verhinderung des beruflichen Aufstiegs, sondern ganz allgemein die konkrete Gefahr zu verstehen, dass eine sonst mögliche Verbesserung der Lebenslage infolge der nachteiligen Veränderung der äußeren Erscheinung entfallen könnte. Der Beweis der Behinderung eines bestimmten besseren Fortkommens ist nicht erforderlich; es genügt vielmehr die bloße Möglichkeit einer solchen Behinderung, die allerdings nicht abstrakt, sondern nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen ist. Es reicht aus, wenn solche Nachteile nur in einem geringen Grad wahrscheinlich sind, wobei es ungewiss bleiben kann, ob der Schaden einmal eintreten wird.

Wenngleich auch bei der Bemessung der Verunstaltungsentschädigung nach § 1326 ABGB auf die Umstände des Einzelfalls Bedacht zu nehmen ist, so ist doch zur Vermeidung von Ungleichheiten auch ein objektiver Maßstab anzulegen. Es ist auch zu berücksichtigen, dass in der jüngeren Rechtsprechung zum Schmerzengeld die Ansicht vertreten wird, dieses tendenziell nicht zu knapp zu bemessen. Im Lichte dieser Judikatur ist es im Hinblick auf die lebensprägenden Auswirkungen von Behinderungen geboten, diese Tendenz auch für den Bereich der Verunstaltungsentschädigung nach § 1326 ABGB zu übernehmen.