OGH: Zum Sorgfaltsmaßstab eines Schidoo-Fahrers
Muss der Schidoo-Fahrer infolge einer sichtbehindernden Geländekante davon ausgehen, von den nachfolgenden Schifahrern nicht gesehen zu werden, so hat er - um dem in dieser Situation von ihm zu beachtenden Gebot der "äußersten Vorsicht" angemessen Rechnung zu tragen - den Schidoo im Zweifel in ausreichendem Abstand zu der Geländekante anzuhalten und das Vorbeifahren der Gruppe abzuwarten, bis bei realistischer Einschätzung mit weiteren Schifahrern nicht mehr zu rechnen ist
§§ 1295 ff ABGB
GZ 2 Ob 113/09w, 17.02.2010
OGH: Für Fahrten auf Pisten mit Pistengeräten während des Liftbetriebs wurde in der Rsp des OGH bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass nach Möglichkeit eine Fahrlinie zu wählen ist, bei deren Einhaltung das Gerät für einen entgegenkommenden Schifahrer stets sichtbar bleibt. Kann das Gerät infolge der örtlichen Verhältnisse längere Zeit hindurch nicht wahrgenommen werden, dann ist für den Lenker äußerste Vorsicht geboten. In der Entscheidung 2 Ob 212/06z wurden die Grundsätze dieser Rsp auch auf die Benützung eines Motorschlittens (Schidoos) angewandt. Welche Sicherungsmaßnahmen notwendig sind, richtet sich dabei nach den jeweiligen Umständen des konkreten Einzelfalls.
In der jüngst ergangenen Entscheidung 2 Ob 49/09h beurteilte der erkennende Senat das Verhalten des Lenkers eines Raupenquads, der ohne behördliche Genehmigung während der Zeiten des Liftbetriebs inmitten einer von Schifahrern frequentierten Piste mit für die gegebenen Verhältnisse überhöhter Geschwindigkeit bergwärts gefahren war, als besonders gefahrenträchtig und rücksichtslos. Angesichts der ihm auf der (dort) nur 8 m breiten Piste entgegenkommenden Schifahrer wäre er zu besonderer Rücksichtnahme und Aufmerksamkeit verpflichtet gewesen und hätte im Zweifel sofort anzuhalten gehabt.
Im vorliegenden Fall erfolgte die Bergfahrt noch vor dem Beginn des regulären Liftbetriebs. Aufgrund der Vereinbarung zwischen der Schischule und der Betriebsleitung der erstbeklagten Partei musste aber schon zu dieser Zeit mit einer Trainingsfahrt der Schilehrer gerechnet werden. Diese waren an ihrer auffälligen, einheitlichen Bekleidung als solche auch leicht zu erkennen. Ähnlich wie in dem zu 2 Ob 49/09h beurteilten Sachverhalt setzte auch der Zweitbeklagte seine Fahrt ungeachtet der ihm auf relativ enger Piste entgegenkommenden Schifahrer mit unverminderter Geschwindigkeit fort. Dabei hielt er zwar eine Fahrlinie nahe dem rechten Pistenrand ein. Infolge der sichtbehindernden Geländekante musste er aber davon ausgehen, von den nachfolgenden Schifahrern nicht gesehen zu werden. Um dem in dieser Situation von ihm zu beachtenden Gebot der "äußersten Vorsicht" angemessen Rechnung zu tragen, hätte er den Schidoo daher im Zweifel in ausreichendem Abstand zu der Geländekante anhalten und das Vorbeifahren der Gruppe abwarten müssen, bis bei realistischer Einschätzung mit weiteren Schifahrern nicht mehr zu rechnen war. Sein hauptsächliches Verschulden liegt darin, dass er diese gebotene Vorsichtsmaßnahme unterließ. Die Frage, ob er auf dem Schidoo aufstehen hätte müssen, stellt sich dabei nicht.
Der (um etwa eine Sekunde) verspäteten Reaktion auf das Auftauchen der Klägerin kommt nur untergeordnete Bedeutung zu. Das Berufungsgericht hat die einschlägige Rsp des OGH richtig wiedergegeben. Danach ist unter der sog "Reaktionszeit" die Zeitspanne zwischen dem Erfassen der Verkehrslage und der Ausführung der entsprechenden Maßnahmen durch die Betätigung der in Betracht kommenden Einrichtungen zu verstehen. Mit dem "Erfassen der Verkehrslage" ist bereits die Gefahrenerkennung, also die objektive Reaktionsaufforderung gemeint. Es mag zutreffen, dass in bestimmten Situationen (vorwiegend des Straßenverkehrs) die Gefährlichkeit eines Verhaltens erst nach einer gewissen Zeit der Beobachtung erkannt werden kann. Ob dies im Einzelfall anzunehmen ist, betrifft den Tatsachenbereich und ist keine Frage der rechtlichen Beurteilung. Hier ist für derartige Überlegungen schon deshalb kein Raum, weil ihnen die ausdrückliche Feststellung des Erstgerichts, wonach sowohl die Klägerin als auch der Zweitbeklagte "für eine Reaktion auf das Auftauchen des Widerparts jeweils eine Sekunde benötigten", entgegensteht.