16.09.2010 Zivilrecht

OGH: Urheberrecht und Parodie (hier: iZm Politiker) - Freiheit der Meinungsäußerung und Interessenabwägung

Da die Parodie nicht in den Katalog der freien Werknutzung aufgenommen ist, kann sie gesetzessystematisch nur zulässig sein, wenn es sich bei ihr um eine Neuschöpfung gem § 5 Abs 2 UrhG handelt; die bei der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien lassen sich wie folgt zusammenfassen: Das Verhalten fällt in den Schutzbereich von Art 13 StGG bzw Art 10 EMRK, und es handelt sich nicht um unwahre, ehrenrührige Tatsachenbehauptungen; die wirtschaftlichen Interessen des Urhebers werden nicht ausgehöhlt; die normale Auswertung des Werks wird nicht beeinträchtigt; die berechtigten Interessen des Urhebers werden nicht ungebührlich verletzt; das Grundrecht der freien Meinungsäußerung kann ohne Eingriff in das Urheber- oder Leistungsschutzrecht nicht oder nur unzulänglich ausgeübt werden


Schlagworte: Urheberrecht, Parodie, Werknutzungsrechte, freie Bearbeitung, Neuschöpfung, Freiheit der Meinungsäußerung, Interessenabwägung, Unterlassung
Gesetze:

§ 24 UrhG, § 5 UrhG, § 81 UrhG, Art 10 EMRK, Art 13 StGG

GZ 4 Ob 66/10z, 13.07.2010

Die Beklagten machen geltend, das Rekursgericht habe verkannt, dass die Grafik der Beklagten als Parodie im politischen Meinungsstreit durch das Recht der freien Meinungsäußerung gerechtfertigt sei; ihre Veröffentlichungen seien als - leicht als solche erkennbare - Parodie der von der Landeshauptfrau im Wahlkampf verwendeten Plakate zulässig.

OGH: Parodie ist in Österreich kein Terminus der Rechtssprache. Sie ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt und kann urheberrechtlich unter dem Gesichtspunkt der freien Benutzung des parodierten Werks und - als Folge einer Interessenabwägung zwischen Urheber und Nutzer - unter dem Aspekt der Kunst- und Meinungsfreiheit gerechtfertigt sein.

Bei der Parodie (griechisch: "Nebengesang") wird in satirischer, kritischer oder polemischer Absicht ein anderes, als bekannt vorausgesetztes Werk unter Beibehaltung kennzeichnender Formmittel, aber mit gegenteiliger Intention, nachgeahmt. Dabei wird nur der Inhalt verändert; die äußere Form bleibt gleich, so dass das Nachgeahmte erkennbar ist. Das entscheidende Kriterium von Parodie und Satire ist die inhaltliche oder künstlerische Auseinandersetzung mit bestimmten Aussagen und Eigenheiten des parodierten Werks.

Einerseits verlangt die antithematische Behandlung der Parodie die gezielte Übernahme und Verfremdung wesentlicher Merkmale des parodierten Werks, so dass eine Beeinträchtigung, wenn nicht gar eine Entstellung, in der Regel zu bejahen ist. Andererseits erfährt der Leser, Hörer oder Betrachter, dass die Parodie gerade nicht vom Urheber des parodierten Werks stammt, sondern der Meinungs- und Äußerungsfreiheit des Parodisten entspringt. Deshalb sind seine Interessen höher zu bewerten als in anderen Fällen einer Beeinträchtigung; immer vorausgesetzt, dass im Einzelfall eine antithematische Behandlung vorliegt und als solche auch vom Publikum verstanden wird.

Da die Parodie nicht in den Katalog der freien Werknutzung aufgenommen ist, kann sie gesetzessystematisch nur zulässig sein, wenn es sich bei ihr um eine Neuschöpfung gem § 5 Abs 2 UrhG handelt. Ist eine Parodie als freie Bearbeitung anzusehen, werden die Rechte an dem parodierten Werk nicht berührt, und es ist auch kein Hinweis auf den Originalurheber erforderlich.

Ob überhaupt eine Parodie vorliegt, hängt im Einzelfall davon ab, ob das neue Werk trotz starker Anlehnung an Inhalt und Form des parodierten Werks doch eine ausreichend individuell schöpferische und selbständig geistig-künstlerische Leistung ist, in der die Züge des benutzten Werks eindeutig hinter den neuen, den parodistischen, zurücktreten. Das neue Werk muss gegenüber dem vorbestehenden Werk einen solchen Grad von Selbständigkeit und Eigenart aufweisen, dass von einer abhängigen Nachschöpfung nicht gesprochen werden kann.

Für die Zulässigkeit einer Parodie ist grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen. Eine parodistische Zielsetzung darf kein Freibrief für unfreie Entlehnungen sein. Nicht der Spaß auf Kosten anderer, sondern die eigene ernsthafte Aussage soll ermöglicht sein.

Parodie kann mit verschiedenen Mitteln (Sprache, Bild etc) zum Ausdruck kommen. Wird das Foto einer Person technisch verändert, muss die Manipulation erkennbar sein, sonst wird gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht verstoßen.

Parodien stehen auch unter dem besonderen Schutz von Art 17a StGG (Kunstfreiheit) und von Art 10 EMRK (Meinungsfreiheit).

Die Freiheit der Meinungsäußerung ist das Recht, eigene und andere Ideen und Informationen mitzuteilen, ohne daran durch den Staat gehindert zu werden. Die besondere Bedeutung dieses garantierten Rechts zeigt sich in der öffentlichen Diskussion über politische Fragen und Kritik von und an Politikern. Der EuGH hat zu Recht betont, dass die Freiheit der politischen Diskussion das Herzstück einer demokratischen Gesellschaft ist und dass bei kritischen Äußerungen gegenüber Politikern die Grenzen zulässiger Kritik weiter sind.

Ist der Grundrechtsberechtigte ein Politiker, hat das regelmäßig eine genauere Kontrolle der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs zur Folge. Unter Politiker werden in diesem Sinne nicht nur Mandatsträger verstanden, sondern auch Interessenvertreter, wie zB Funktionäre von Gewerkschaften, aber auch von Vereinen, die sich allgemeinen politischen Zielsetzungen verschrieben haben. Entscheidend ist die Teilnahme an der politischen Debatte. Das Schutzrecht erfasst auch politische und kommerzielle Werbung; die Kommunikationsform kann in Äußerungen durch Wort, Schrift, Bild oder sonstige Symbole bestehen.

Im Zusammenhang mit Parodien ist im Zweifel den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten großzügig der Vorrang zu geben; sie finden ihre Grenze aber etwa dort, wo die Parodie nur als Deckmantel für die wirtschaftliche Ausbeutung des Originals benutzt wird und wo die Parodie die Nachfrage nach dem Original nachhaltig stört.

Der OGH hat schon wiederholt erkannt, dass dem urheberrechtlichen Unterlassungsanspruch das durch Art 10 EMRK geschützte Recht der freien Meinungsäußerung entgegenstehen kann. Ob dies der Fall ist, ist durch eine Abwägung der vom Urheber oder seinem Werknutzungsberechtigten verfolgten Interessen mit dem Recht der freien Meinungsäußerung zu beurteilen.

Bei unwahren Tatsachenbehauptungen oder bei Werturteilen, basierend auf unwahren Tatsachenbehauptungen, gibt es kein Recht auf freie Meinungsäußerung. Das Recht auf freie Meinungsäußerung kann eine Herabsetzung des politischen Gegners durch unwahre Tatsachenbehauptungen, mit denen er eines verwerflichen Verhaltens bezichtigt wird, nicht rechtfertigen. Bei Äußerungen von Politikern über den Gegner können unter Umständen auch massiv in die Ehre des Gegners eingreifende Werturteile noch zulässig sein. Diese bedürfen aber eines rechtfertigenden wahren Sachverhalts als Basis der pointiert zum Ausdruck gebrachten Kritik.

Die zur Rechtfertigung eines Eingriffs im Einzelfall führenden Umstände hat derjenige zu behaupten und zu beweisen, der sich auf das Recht der freien Meinungsäußerung beruft. Er muss behaupten und beweisen, dass er in die Urheber- und Verwertungsrechte nicht über das im zu beurteilenden Fall erforderliche Ausmaß eingegriffen hat und die für den beabsichtigten Zweck unumgängliche Nutzung der Werke nicht anders hätte erreichen können.