OGH: Im Rahmen der einvernehmlichen Scheidung abgegebener Unterhaltsverzicht als Scheingeschäft
Ein Vergleich über die Scheidungsfolgen nach § 55a Abs 2 EheG ist wie jeder gerichtliche Vergleich (auch) ein Rechtsgeschäft, dessen materielle Gültigkeit nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts zu beurteilen ist; dass der Unterhaltsverzicht im Rahmen des Scheidungsfolgenvergleichs erfolgte, erbringt nur den Beweis dafür, dass die Erklärungen vor dem Richter abgegeben wurden, nicht aber, dass sie dem Vertragswillen der Parteien entsprechen
§ 55a EheG, § 916 ABGB
GZ 1 Ob 95/10t, 10.08.2010
Die Klägerin begehrt vom Beklagten als ihren vormaligen Ehemann aufgrund einer im Rahmen der Scheidung nach § 55a EheG getroffenen Vereinbarung an rückständigen monatlichen "Ausgleichszahlungen" 9.000 EUR. Sie bringt vor, im Scheidungsvergleich sei zwar "offiziell" ein wechselseitiger Unterhaltsverzicht enthalten. Der Beklagte habe sich aber unmittelbar vor der Scheidungsverhandlung zu einer "inoffiziellen Unterhaltsleistung" iHv 600 EUR monatlich verpflichtet. Diese Vereinbarung sei nach dem Willen des Beklagten schriftlich in einer separaten Vereinbarung festgehalten worden.
Der Beklagte wendet ein, die schriftliche Vereinbarung enthalte eine abstrakte Verpflichtung, welche mangels Nennung eines Rechtsgrundes ohne Wirkung sei. Die bisher der Klägerin erbrachten Zahlungen seien freiwillige Unterstützungsleistungen.
OGH: Ein Vergleich über die Scheidungsfolgen nach § 55a Abs 2 EheG ist wie jeder gerichtliche Vergleich (auch) ein Rechtsgeschäft, dessen materielle Gültigkeit nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts zu beurteilen ist. Dass der Unterhaltsverzicht im Rahmen des Scheidungsfolgenvergleichs erfolgte, erbringt nur den Beweis dafür, dass die Erklärungen vor dem Richter abgegeben wurden, nicht aber, dass sie dem Vertragswillen der Parteien entsprechen. Die Klägerin konnte sich demnach im vorliegenden Verfahren darauf berufen, dass der Unterhaltsverzicht lediglich zum Schein abgegeben wurde. Ist ihr der Beweis des Vorliegens der Voraussetzungen eines Scheingeschäfts nach § 916 Abs 1 ABGB gelungen, ist der OGH an die Feststellung gebunden, die Vereinbarung habe nicht dem wahren Willen der Partner entsprochen, sondern sei im beiderseitigen Einverständnis nur zum Schein abgegeben worden. Der wechselseitige Unterhaltsverzicht erwies sich als nach § 916 Abs 1 Satz 1 ABGB unwirksam, weil er von beiden Seiten nicht gewollt war und auch keiner der Partner auf die Wirksamkeit der Erklärung vertraute. Da aus dem Scheincharakter Nichtigkeit resultiert, bedarf es keiner Anfechtung mittels Rechtsgestaltungsklage.
Hinter dem zum Schein abgegebenen Unterhaltsverzicht steht die schriftliche Vereinbarung Beilage ./A als verdecktes Geschäft. Dieses ist nach seiner wahren Beschaffenheit zu beurteilen. Das von den Vorinstanzen erzielte Auslegungsergebnis, es sollte eine vertragliche Verpflichtung des Beklagten zu Unterhaltsleistungen begründet werden, ist keinesfalls unvertretbar. Liegt der wirtschaftliche Grund der Verpflichtung in der Erbringung von Unterhaltszahlungen, erweist sich der Einwand des Beklagten unbeachtlich, die Vereinbarung stelle ein ungültiges abstraktes Verpflichtungsgeschäft dar. Vertragliche Unterhaltsvereinbarungen zwischen Eheleuten sind nicht an die Form eines Notariatsakts gebunden. Zutreffend ist auch die dem Aufhebungsbeschluss zugrunde liegende Rechtsansicht, der Vereinbarung wohne als eine im redlichen Verkehr geltende Gewohnheit die Umstandsklausel inne, sodass jede wesentliche Veränderung der Verhältnisse zu einer Neufestsetzung des Unterhalts führt.