VwGH: Erkennungsdienstliche Behandlung nach § 65 SPG wenn Staatsanwaltschaft von der Verfolgung zurücktritt (Diversion)?
Die Entscheidung, ob eine Person erkennungsdienstlich zu behandeln ist, hat die Behörde - unter Berücksichtigung des Maßstabes des § 65 SPG - unabhängig von der Entscheidung des Gerichtes oder der Staatsanwaltschaft zu treffen
§ 65 SPG, § 16 Abs 2 SPG
GZ 2010/17/0065, 01.04.2010
Der Bf bringt vor, die amtswegige Vornahme einer erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 65 Abs 1 SPG komme hinsichtlich der Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe nur dann in Betracht, wenn sich die Behörde mit den unter Bedachtnahme auf die Persönlichkeit des Bf zu ziehenden Schlüssen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, dass dieser gefährliche Angriffe begehen werde und mit der Frage des daraus abzuleitenden Erfordernisses einer Vorbeugung durch eine erkennungsdienstliche Behandlung auseinandergesetzt habe. Diesbezüglich sei auf die spezifische Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung zur Verhinderung weiterer gefährlicher Angriffe durch das Wissen um die Möglichkeit einer Wiedererkennung abzustellen. Die Behörde habe nach stRsp des VwGH bei der Prüfung der Erforderlichkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung eine konkrete fallbezogene Prognose zu treffen, bei der sie sich mit den Einzelheiten des von ihr iSd ersten Voraussetzungen des § 65 Abs 1 SPG angenommenen Verdachtes, mit der Art des dadurch verwirklichten Deliktes, mit den daraus unter Bedachtnahme auf die Persönlichkeit des Betroffenen zu ziehenden Schlüssen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, dass er in Zukunft gefährliche Angriffe begehen werde, und mit der Frage des daraus abzuleitenden Erfordernisses einer durch die erkennungsdienstliche Behandlung bewirkten Vorbeugung im erwähnten Sinn auseinanderzusetzen habe.
Schließlich verweist die Beschwerde noch darauf, dass ein vorläufiger Rücktritt von der Verfolgung (Diversion) gerade dann erfolge, wenn eine Bestrafung nicht geboten erscheine, um den Beschuldigten von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten. Demgemäß liege hier ein Widerspruch vor, wenn einerseits die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung zurücktrete, andererseits jedoch eine erkennungsdienstliche Behandlung zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich sein solle.
VwGH: Nach der Definition des § 16 Abs 2 Z 1 SPG ist ein gefährlicher Angriff die Bedrohung eines Rechtsgutes durch die rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestandes einer gerichtlich strafbaren Handlung, die vorsätzlich begangen und nicht bloß auf Begehren der Beteiligten verfolgt wird, sofern es sich um einen Straftatbestand nach dem StGB, ausgenommen die Tatbestände nach den §§ 278, 278a und 278b StGB handelt.
Wie der VwGH in seinem Erkenntnis vom 18. Mai 2009, 2009/17/0053, näher dargelegt hat, vermag er im Hinblick auf den geänderten Gesetzestext und die damit verfolgte Absicht des Gesetzgebers, seine bisherige, zur früheren Rechtslage ergangene Rsp nicht aufrecht zu erhalten; der VwGH geht daher davon aus, dass im zweiten Fall des § 65 Abs 1 SPG bereits eine abstrakte Form von Wahrscheinlichkeit, die an der verwirklichten Tat anknüpft, für die Annahme ausreicht, die erkennungsdienstliche Behandlung sei zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich. Eine derartige Annahme lässt sich im Beschwerdefall der Begründung des angefochtenen Bescheides (gerade noch) plausibel entnehmen.
Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Bf vor dem VwGH ist davon auszugehen, dass dieser (zumindest) in den Fällen der Sachbeschädigung hinsichtlich des Vorliegens eines Straftatbestandes nach dem StGB iSe gefährlichen Angriffes gem § 16 Abs 2 Z 1 SPG geständig war. Unbestritten ließ der Bf in diesem Zusammenhang die Annahme der belangten Behörde, er sei bei der Tatausführung (besonders) rücksichtslos vorgegangen. Der VwGH kann daher der belangten Behörde nicht entgegentreten, wenn sie daraus abgeleitet hat, die erkennungsdienstliche Behandlung sei zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich. Lässt sich doch aus dem (besonders) rücksichtslosen Vorgehen bei den Tatausführungen auf eine Persönlichkeitsstruktur schließen, die jedenfalls eine abstrakte Form von Wahrscheinlichkeit für eine solche Annahme indiziert.
Diese Entscheidung hatte die belangte Behörde - unter Berücksichtigung des Maßstabes des § 65 SPG - unabhängig von der Entscheidung des Gerichtes oder der Staatsanwaltschaft zu treffen.