30.06.2010 Sicherheitsrecht

VwGH: Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt iZm dem UbG

Da eine Fesselung auf dem Rücken mit einem deutlich höheren Eingriff in die persönliche Handlungs- und Bewegungsfreiheit verbunden ist, ist daran ein strengerer Maßstab anzulegen als bei der Handfesselung nach vorne zeigend; es müssen also besondere Gründe dafür vorliegen, um eine Fesselung auf dem Rücken als notwendig ("unbedingt erforderlich") beurteilen zu können


Schlagworte: Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, Unterbringung in eine Anstalt, Fesselung mit Handschellen (am Rücken)
Gesetze:

§ 67a Abs 1 Z 2 AVG, § 67c Abs 3 AVG, Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG, § 3 UbG, § 8 UbG, § 9 UbG

GZ 2006/11/0086, 18.05.2010

VwGH: Die im Beschwerdefall zu beurteilenden Maßnahmen dienten zunächst dem Ziel, den Bf zur Untersuchung zum Amtsarzt zu bringen (§ 9 Abs 1 UbG), in der Folge, nach Ausstellung der Bescheinigung gem § 8 UbG durch die Amtsärztin, der Verbringung in die Anstalt. Gegen diese Maßnahmen richtete sich die an den UVS erhobene Beschwerde gem § 67c Abs 3 AVG. Dem gegenüber war die (eigentliche) Unterbringung in der Anstalt vom Gericht zu prüfen.

Auch wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen, die betroffene Person zur Untersuchung zum Arzt bzw in der Folge in die Anstalt zu bringen, ist dabei zufolge § 9 Abs 3 UbG der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten: Es ist unter möglichster Schonung der betroffenen Person vorzugehen und es sind die notwendigen Vorkehrungen zur Abwehr von Gefahren zu treffen. Was in diesem Sinne "notwendig" ist, muss an der jeweiligen Situation gemessen werden, sodass es erforderlich ist, dazu konkrete Feststellungen zu treffen. Diesen Anforderungen genügt der angefochtene Bescheid, soweit es um die Fesselung des Bf mit Handschellen geht, nicht:

Der VwGH hat schon in seinem Erkenntnis vom 8. August 2002, 99/11/0327 (gleichfalls eine Verbringung in eine Anstalt nach dem UbG betreffend), ausgeführt, dass die Fesselung mit Handschellen im Rahmen einer Amtshandlung eine Vorgangsweise ist, die nur dann gerechtfertigt ist, wenn sie "unbedingt erforderlich (unabdingbar) ist". Eine Fesselung mit Handschellen sei etwa dann nicht gerechtfertigt, wenn auf Grund der näheren Umstände eine konkrete Gefährdung der körperlichen Sicherheit der einschreitenden Behördenorgane nicht ernstlich zu befürchten sei oder es diesen auf eine maßvollere Weise als durch Anlegen von Handfesseln möglich wäre, dem Widerstand einer Person zu begegnen. Auch zur Hintanhaltung einer möglichen Selbstgefährdung bzw Selbstbeschädigung ist eine Fesselung nur dann zulässig, wenn sie "unbedingt erforderlich" im dargestellten Sinn ist. Dies gilt umso mehr für eine Fesselung der Hände auf dem Rücken.

Ungeachtet der Beweisergebnisse hat die belangte Behörde Feststellungen darüber, ob der Bf auf dem Rücken oder mit den Händen nach vorne zeigend gefesselt wurde, unterlassen und sich mit der Feststellung begnügt, dem Bf seien "zu Sicherungszwecken Handschellen angelegt" worden. Ob der Bf durchgehend bis zur Einlieferung in die Krankenanstalt gefesselt war oder ihm, wie das die Aussage der Amtsärztin in der Verhandlung vor der belangten Behörde nahe legt, die Handschellen vor der amtsärztlichen Untersuchung abgenommen und danach erneut angelegt wurden, wurde ebenfalls nicht festgestellt.

Dieser offenbar auf einer Verkennung der Rechtslage beruhende Feststellungsmangel ist auch wesentlich:

Da eine Fesselung auf dem Rücken mit einem deutlich höheren Eingriff in die persönliche Handlungs- und Bewegungsfreiheit verbunden ist, ist daran ein strengerer Maßstab anzulegen als bei der Handfesselung nach vorne zeigend. Es müssen also besondere Gründe dafür vorliegen, um eine Fesselung auf dem Rücken als notwendig ("unbedingt erforderlich") beurteilen zu können.

Solche Umstände hat die belangte Behörde freilich nicht festgestellt. Der in der Begründung des angefochtenen Bescheides enthaltene formelhafte Hinweis auf eine "Selbst- und Fremdgefährdung" reicht auch dann nicht für die Begründung der Erforderlichkeit einer Fesselung der Hände auf dem Rücken aus, wenn es sich beim Bf, wie die belangte Behörde festgestellt hat, um einen gut durchtrainierten Mann handelte.

Soweit die belangte Behörde erkennbar meint, die Fesselung sei notwendig gewesen, um einer Eigengefährdung des Bf entgegenzuwirken, ist im Übrigen klarzustellen, dass auf der Basis der Bescheidfeststellungen keine ausreichenden Hinweise dafür bestanden, dass sich der Bf nach dem Zugriff im Kellerabteil, bei dem er sich anscheinend ruhig verhielt, ohne Fesselung Schaden hätte zufügen können, ohne dass dies von den begleitenden Beamten zu verhindern gewesen wäre. Gleiches gilt für die Zeit der Verbringung in die Krankenanstalt.