VwGH: Entziehung des Reisepasses iZm Verstößen gegen das Suchtmittelrecht
Bei der Entziehung eines Reisepasses ist auf die persönlichen und wirtschaftlichen Interessen des Betroffenen keine Rücksicht zu nehmen; weder § 14 PassG noch § 28 Abs 6 SMG iVm der die Untergrenze einer großen Menge (Grenzmenge) festlegenden Suchtgift-Grenzmengenverordnung ziehen eine zeitliche Grenze, innerhalb der eine große Menge Suchtgift in Verkehr gesetzt werden muss, um entsprechende Rechtsfolgen abzuleiten
§ 14 Abs 1 Z 3 lit f PassG, § 15 Abs 1 PassG
GZ 2007/18/0881, 03.11.2010
Der Bf hat im Zeitraum zwischen ca 2003 und 23. Mai 2006 Suchtgift in einer großen Menge iSd § 28 Abs 6 SMG durch Verkauf an namentlich bekannte Personen in Verkehr gesetzt. Darüber hinaus hat er im genannten Zeitraum den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgifte erworben, besessen und anderen überlassen.
VwGH: Der VwGH hat in Fällen des Inverkehrsetzens einer großen Menge Suchtgift iSd § 28 Abs 6 SMG bereits mehrfach ausgesprochen, dass vor dem Hintergrund der bei solchen Suchtgiftdelikten besonders großen Wiederholungsgefahr die in § 14 Abs 1 Z 3 lit f PassG umschriebene Annahme regelmäßig auch dann gerechtfertigt ist, wenn der Betroffene seinen Reisepass bei der Begehung der der Verurteilung zugrunde liegenden Straftaten bisher nicht verwendet hat, ist es doch eine Erfahrungstatsache, dass der inländische Drogenmarkt und Drogenhandel in den meisten Fällen mit Suchtgiftimporten aus dem Ausland verknüpft sind. Ein Reisedokument würde - wie die belangte Behörde zutreffend ausführte - einen (weiteren) Handel mit Suchtgift jedenfalls erleichtern.
Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht des im angefochtenen Bescheid dargestellten Gesamt(fehl)verhaltens des Bf kann es nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn die belangte Behörde zum Ergebnis gelangt ist, dass die in § 14 Abs 1 Z 3 lit f PassG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei.
Soweit der Bf darauf verweist, seit fast einem Jahr erfolgreich eine Drogentherapie zu absolvieren, ist ihm zu entgegnen, dass auch eine bereits begonnene Suchtgifttherapie keine Gewähr dafür bieten kann, dass er nicht erneut mit Suchtgift in einer großen Menge handeln und dazu - aus den oben genannten Erwägungen - auch den Reisepass missbrauchen werde. Angesichts des ca dreijährigen Tatzeitraumes, dessen Ende nach den strafgerichtlichen Feststellungen etwa 17 Monate vor Erlassung des angefochtenen Bescheides lag, kann entgegen den Beschwerdeausführungen auch nicht davon gesprochen werden, dass die vom Bf zu verantwortenden Straftaten solange zurücklägen, dass die Annahme gem § 14 Abs 1 Z 3 lit f PassG nicht mehr gerechtfertigt wäre.
Auch die Beschwerdeausführungen, das LG Innsbruck sei nur deshalb "zu einer großen Menge Suchtgift gekommen", weil es den "Additionseffekt" angenommen habe, wodurch mehrfache Verstöße gegen das Suchtmittelrecht, die kleine Mengen betroffen hätten, addiert worden seien, führen zu keiner anderen Beurteilung. Zum einen ziehen weder § 14 PassG noch § 28 Abs 6 SMG iVm der die Untergrenze einer großen Menge (Grenzmenge) festlegenden Suchtgift-Grenzmengenverordnung eine zeitliche Grenze, innerhalb der eine große Menge Suchtgift in Verkehr gesetzt werden muss, um entsprechende Rechtsfolgen abzuleiten, zum anderen rechtfertigt auch der lange, etwa dreijährige Tatzeitraum vor dem Hintergrund der oben genannten Erwägungen zum inländische Drogenmarkt und Drogenhandel die in § 14 Abs 1 Z 3 lit f PassG normierte Annahme.
Wenn der Bf ausführt, dass er in geordneten sozialen Verhältnissen lebe und einen festen Arbeitsplatz habe, ist ihm zu entgegnen, dass bei der Entziehung eines Reisepasses auf die persönlichen und wirtschaftlichen Interessen des Betroffenen keine Rücksicht zu nehmen ist.
Schließlich führt auch das Vorbringen, der EuGH habe in seinem Urteil C-244/04 eindeutig ausgesprochen und gegründet auf seine stRsp darauf verwiesen, dass die Entsendung von Arbeitnehmern in das Ausland Dienstleistungsfreiheit genieße, weshalb es nicht zulässig sei, dem Bf die Ausreise und Wiedereinreise nach Österreich als Arbeitnehmer zu verbieten, die Beschwerde nicht zum Erfolg.
Die Bestimmungen des Art 55 iVm Art 46 Abs 1 EGV lassen grundsätzlich Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit zu. Die ua das Recht eines Unionsbürgers auf Ausreise, das Recht auf Einreise sowie das Recht auf Aufenthalt bis zu drei Monaten und für mehr als drei Monate regelnde RL 2004/38/EG (vgl Art 4 ff der Richtlinie) konkretisiert in ihren Art 27 ff die Rechtfertigungsgründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit ua dahingehend, dass bei derartigen Maßnahmen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren ist und ausschließlich das persönliche Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend sein darf. Strafrechtliche Verurteilungen allein können ohne weiteres diese Maßnahmen nicht begründen. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen erweisen sich somit die Entziehung eines für einen Inländer ausgestellten Reisepasses und die damit allenfalls verbundene Einschränkung der - hier geltend gemachten - Dienstleistungsfreiheit (bzw der Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union) als zulässig.