VwGH: Zur amtswegigen Wiederaufnahme
Die Berufungsinstanz darf die Wiederaufnahme nicht auf Grund von Tatsachen bestätigen, die vom Finanzamt nicht herangezogen wurden
§ 303 BAO, § 305 BAO, § 289 BAO
GZ 2003/15/0141, 22.11.2006
Der Bf erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid im Recht verletzt, "dass die Behörde ohne Vorliegen der tatbildlichen Gründe eine amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens gem § 303 Abs 4 BAO vorgenommen" habe.
VwGH: Eine Wiederaufnahme eines mit Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist dann ausgeschlossen, wenn der Abgabenbehörde in dem wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufzunehmenden Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können. Ein behördliches Verschulden an der Nichtfeststellung der maßgeblichen Tatsachen bzw Beweismittel im Erstverfahren schließt die Wiederaufnahme von Amts wegen nicht aus.
Die Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verfahrens steht gem § 305 Abs 1 BAO der Abgabenbehörde zu, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Welche gesetzlichen Wiederaufnahmegründe durch einen konkreten Sachverhalt als verwirklicht angesehen und daher als solche herangezogen werden, bestimmt bei der Wiederaufnahme von Amts wegen die gem § 305 Abs 1 leg cit zuständige Behörde.
Gem § 289 Abs 2 BAO hat die Abgabenbehörde zweiter Instanz außer in hier nicht interessierenden Fällen des Abs 1 immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde erster Instanz zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Berufung als unbegründet abzuweisen.
Bei einer Berufung gegen eine Wiederaufnahme von Amts wegen durch das gem § 305 Abs 1 BAO zuständige Finanzamt ist Sache, über welche die Abgabenbehörde zweiter Instanz gem § 289 Abs 2 BAO zu entscheiden hat, nur die Wiederaufnahme aus den vom Finanzamt herangezogenen Gründen, also jene wesentlichen Sachverhaltsmomente, die das Finanzamt als Wiederaufnahmegrund beurteilt hat. Unter Sache ist in diesem Zusammenhang die Angelegenheit zu verstehen, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Abgabenbehörde erster Instanz gebildet hatte. Bei einem verfahrensrechtlichen Bescheid wie dem der Wiederaufnahme des Abgabenverfahrens von Amts wegen wird die Identität der Sache, über die abgesprochen wurde, durch den Tatsachenkomplex begrenzt, der als neu hervorgekommen von der für die Wiederaufnahme zuständigen Behörde zur Unterstellung unter den von ihr gebrauchten Wiederaufnahmetatbestand herangezogen wurde.
Aufgabe der Berufungsbehörde bei Entscheidungen über ein Rechtsmittel gegen die amtswegige Wiederaufnahme durch ein Finanzamt ist es daher, zu prüfen, ob dieses Verfahren aus den vom Finanzamt gebrauchten Gründen wieder aufgenommen werden durfte, nicht jedoch, ob die Wiederaufnahme auch aus anderen Wiederaufnahmegründen zulässig gewesen wäre. Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmsgrund nicht vor (oder hat dieses die Wiederaufnahme tatsächlich auf keinen Wiederaufnahmegrund gestützt), muss die Berufungsbehörde den vor ihr bekämpften Wiederaufnahmebescheid des Finanzamtes ersatzlos beheben. Am Finanzamt liegt es dann, ob es etwa von der Berufungsbehörde entdeckte andere Wiederaufnahmegründe aufgreift und zu einer (auch) neuerlichen Wiederaufnahme heranzieht.