03.02.2009 Verfahrensrecht

VwGH: Zur Beweisaufnahme und der Unzulässigkeit antizipierender Beweiswürdigung

Die Wertung eines Beweises auf seine Glaubwürdigkeit setzt die Aufnahme dieses Beweises voraus


Schlagworte: Ermittlungsverfahren, Beweise, antizipierende Beweiswürdigung, Indizienbeweis
Gesetze:

§ 45 AVG

GZ 2008/05/0010, 16.12.2008

VwGH: Zur Feststellung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes hat die belangte Behörde Beweis aufzunehmen. Als Beweismittel kommt hiefür alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des Falles zweckdienlich ist (Grundsatz der Unbeschränktheit der Beweismittel).

Nach § 45 Abs 2 AVG hat die Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Die freie Beweiswürdigung darf die Behörde aber erst nach vollständiger Beweiserhebung vornehmen. Eine vorgreifende (antizipierende) Beweiswürdigung, die darin besteht, dass der Wert eines Beweises abstrakt im Vorhinein beurteilt wird, ist unzulässig.

Die Wertung eines Beweises auf seine Glaubwürdigkeit setzt die Aufnahme dieses Beweises voraus. Es darf somit nicht von vornherein im Hinblick auf ein Beweismittel anderen Beweismitteln die Bedeutsamkeit abgesprochen werden. Beweismittel dürfen nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel - ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung - untauglich bzw ungeeignet ist.

Der von der Beschwerdeführerin namhaft gemachte Zeuge W. R. wurde im Ermittlungsverfahren nicht als Zeuge einvernommen, weil die belangte Behörde die Auffassung vertreten hat, dass von dessen "zeugenschaftlicher ... Einvernahme keine weitere Klärung des Sachverhaltes zu erwarten war". Ein vermutetes Ergebnis noch nicht aufgenommener Beweise darf jedoch, wie oben dargelegt, nicht vorweggenommen werden.

Ein indirekter Beweis (Indizienbeweis) ist auch im Verwaltungsverfahren zulässig. Nach der Beweisaufnahme obliegt es der Behörde, im Rahmen der freien Beweiswürdigung allenfalls widersprüchliche Aussagen der Zeugen einer Wertung auf ihre Glaubwürdigkeit zu unterziehen.