13.11.2009 Verfahrensrecht

VwGH: Kassatorische Entscheidung nach § 66 Abs 2 AVG

Der Umstand, dass noch einige der Berufungsbehörde für die Entscheidung wesentlich erscheinende Sachfragen ungeklärt waren, rechtfertigt für sich allein noch nicht die Annahme, dass zur Abklärung dieser Fragen eine mündliche Verhandlung erforderlich gewesen wäre


Schlagworte: Berufungsbehörde, kassatorische Entscheidung, mündliche Verhandlung
Gesetze:

§ 66 Abs 2 AVG

GZ 2006/10/0220, 09.09.2009

Über Berufung der Bf hob die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid den erstinstanzlichen Bescheid auf und verwies die Angelegenheit gem § 66 Abs 2 AVG zur neuerlichen Entscheidung an die Behörde erster Instanz. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass an der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde kein Vertreter der Behörde erster Instanz teilgenommen habe sowie dass nicht alle Umstände aufgeklärt hätten werden können, weil zwischen der Entscheidung der Behörde erster Instanz und der mündlichen Verhandlung "mehr als ein halbes Jahr" gelegen sei. Da der Sachverhalt "in mancherlei Hinsicht doch nur mangelhaft festgestellt" habe werden können, sei nach § 66 Abs 2 AVG vorzugehen gewesen.

VwGH: Wie der VwGH wiederholt dargelegt hat, darf die Berufungsbehörde eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann treffen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung "unvermeidlich erscheint". Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung iSd § 66 Abs 2 AVG ist es unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder eine Vernehmung erforderlich ist. Für die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung nach § 66 Abs 2 AVG genügt es nicht, wenn die von der Behörde "in rechtlicher Gebundenheit" vorgenommene Beurteilung, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung bzw Vernehmung unvermeidlich ist, zutrifft; es ist darüber hinaus erforderlich, dass die Ermessensentscheidung, die als notwendig erachteten Verfahrensschritte nicht selbst oder durch ersuchte Behörden durchzuführen, sondern die Sache zu diesem Zweck an die Erstbehörde zurückzuverweisen, - insbesondere unter Bedachtnahme des § 66 Abs 3 AVG - nicht iSd Art 130 Abs 2 B-VG rechtswidrig ist. Einem zurückweisenden Bescheid iSd § 66 Abs 2 AVG muss entnommen werden können, welche Mängel bei der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes im Verfahren vor der Unterbehörde unterlaufen und im Wege der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung zu beheben sind.

Liegen die Voraussetzungen des § 66 Abs 2 AVG nicht vor, so hat die Berufungsbehörde die Mängel zu beheben, insbesondere notwendige Ermittlungen nachzutragen. Ob diese Voraussetzung zutrifft, hat die Berufungsbehörde danach zu beurteilen, ob zur Klärung des (mangelhaften) Sachverhalts die Durchführung (Wiederholung) einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich ist. Der VwGH hat etwa die Aufhebung und Zurückverweisung nach § 66 Abs 2 AVG zur "Auseinandersetzung mit dem jüngsten Ermittlungsstand" bei Vorliegen mangelhafter Gutachten als nicht gerechtfertigt angesehen. In ähnlicher Weise rechtfertigt aber im vorliegenden Fall der Umstand, dass noch einige der belangten Behörde für die Entscheidung wesentlich erscheinende (im Übrigen in der Begründung des angefochtenen Bescheids nicht konkret dargelegte) Sachfragen ungeklärt waren, für sich allein noch nicht die Annahme, dass zur Abklärung dieser Fragen eine mündliche Verhandlung erforderlich gewesen wäre.

Die von der belangten Behörde angegebenen Gründe für die Aufhebung und Zurückverweisung sind nicht geeignet, die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung darzutun. Es ist nicht ersichtlich, wieso die Erhebung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts (wie die Höhe des von der Bf zu entrichtenden Kostenbeitrags, dessen tatsächliche Entrichtung, die näheren Umstände ihrer Unterbringung oder ihre finanziellen Verhältnisse) oder die Erörterung der Rechtsfragen die neuerliche Durchführung einer mündlichen Verhandlung erfordert hätte. Auch der Hinweis, dass zwischen der Entscheidung der Behörde erster Instanz und der mündlichen Verhandlung mehr als ein halbes Jahr gelegen sei, nennt keinen Umstand, der ein Vorgehen nach § 66 Abs 2 AVG begründen könnte.