12.12.2009 Verfahrensrecht

VwGH: Zur Verhängung einer Ordnungsstrafe nach § 34 Abs 3 AVG wegen beleidigender Schreibweise

Eine in einer Eingabe an die Behörde gerichtete Kritik ist dann gerechtfertigt und schließt die Anwendung des § 34 Abs 3 AVG aus, wenn sich die Kritik auf die Sache beschränkt, in einer den Mindestanforderungen des Anstandes entsprechenden Form vorgebracht wird und nicht Behauptungen enthält, die einer Beweiswürdigung nicht zugänglich sind


Schlagworte: Ordnungsstrafe, beleidigende Schreibweise
Gesetze:

§ 34 AVG

GZ 2008/09/0344, 15.10.2009

VwGH: Gem § 34 Abs 2 AVG sind Personen, die die Amtshandlung stören oder durch ungeziemendes Benehmen den Anstand verletzen, zu ermahnen; bleibt die Ermahnung erfolglos, so kann ihnen nach vorausgegangener Androhung das Wort entzogen, ihre Entfernung verfügt und ihnen die Bestellung eines Bevollmächtigten aufgetragen oder gegen sie eine Ordnungsstrafe bis 726 Euro verhängt werden. Die gleichen Ordnungsstrafen können gem § 34 Abs 3 AVG von der Behörde gegen Personen verhängt werden, die sich in schriftlichen Eingaben einer beleidigenden Schreibweise bedienen.

Unter einer Eingabe iSd § 34 Abs 3 AVG ist ein schriftliches Anbringen iSd § 13 AVG zu verstehen, wobei Voraussetzung für die Strafbefugnis der Behörde ist, dass das AVG auf die betreffende Eingabe überhaupt Anwendung findet und sich auf eine mit Bescheid zu erledigende Angelegenheit bezieht. Daher ist § 34 Abs 3 AVG auch auf Eingaben im Zuge eines gegen den Beschuldigten eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahrens anzuwenden.

Die Strafbestimmung des § 34 Abs 3 AVG stellt zwar einen Eingriff in das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung iSd Art 13 StGG und Art 10 EMRK dar, sie ist aber als solche zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der demokratischen Gesellschaft notwendig und daher im Hinblick auf den Gesetzesvorbehalt des Art 13 StGG und des Art 10 EMRK unbedenklich. Allerdings ist der § 34 Abs 3 AVG bei der bescheidförmigen Verhängung einer solchen Ordnungsstrafe im Einzelfall - bei sonstiger Gesetzes- und Grundrechtswidrigkeit des Bescheides - im Lichte dieses Vorbehaltes und des darin normierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auszulegen. Der Zweck dieser Bestimmung ist die Spezialprävention, also die Absicht, die betreffende Person von der Setzung eines ordnungswidrigen Verhaltens abzuhalten und damit den Anstand im schriftlichen Verkehr mit den Behörden zu wahren.

Nach der Rechtsprechung des VwGH liegt eine beleidigende Schreibweise vor, wenn eine Eingabe ein unsachliches Vorbringen enthält, das in einer Art gehalten ist, die ein ungeziemendes Verhalten gegenüber der Behörde darstellt. Dabei ist es ohne Belang, ob sich die beleidigende Schreibweise gegen die Behörde, gegen das Verwaltungsorgan oder gegen eine einzige Amtshandlung richtet. Eine in einer Eingabe an die Behörde gerichtete Kritik ist dann gerechtfertigt und schließt die Anwendung des § 34 Abs 3 AVG aus, wenn sich die Kritik auf die Sache beschränkt, in einer den Mindestanforderungen des Anstandes entsprechenden Form vorgebracht wird und nicht Behauptungen enthält, die einer Beweiswürdigung nicht zugänglich sind.

Für die Strafbarkeit nach § 34 Abs 3 AVG reicht es hin, dass die in der schriftlichen Eingabe verwendete Ausdrucksweise den Mindestanforderungen des Anstands nicht gerecht werden und damit objektiv beleidigenden Charakter hat; auf das Vorliegen einer Beleidigungsabsicht kommt es hingegen nicht an. Auf "Besonderheiten der milieu- und geographisch bedingten Sprachwahl, an die ein anderer Maßstab bei der Beurteilung anzulegen sei", wie der Bf meint, kommt es dabei nicht an.

Bei der Lösung der Rechtsfrage, ob eine schriftliche Äußerung den Anstand verletzt, ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass die Behörden in einer demokratischen Gesellschaft Äußerungen der Kritik, des Unmutes und des Vorwurfs ohne übertriebene Empfindlichkeit hinnehmen müssen.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem VwGH konnte abgesehen werden, weil der maßgebliche Sachverhalt bereits aus den vorgelegten Verwaltungsakten ersichtlich war und eine Verhandlung zur weiteren Klärung nichts hätte beitragen können. Auch Art 6 EMRK steht dem nicht entgegen, weil es sich bei einer Ordnungsstrafe nicht um eine strafrechtliche Sanktion iSd EMRK, sondern ihrer Natur nach eher um ein "Disziplinarvergehen" handelt und auch die Strafandrohung (ohne Möglichkeit einer primären oder Ersatzfreiheitsstrafe) wegen ihrer geringen Höhe nicht in den strafrechtlichen Anwendungsbereich des Art 6 EMRK fallen.