VwGH: Ausschreibungskonformes Angebot - zur gesetzlichen Vermutung iSd § 108 Abs 2 BVergG 2006 iZm separat unterfertigten Erklärungen eines Bieters zu seinem Angebot
Bei § 108 Abs 2 BVergG 2006 handelt es sich um eine Fiktion des Gesetzes, dass jeder Bieter (ua) die Bestimmungen der Ausschreibungsunterlagen kennt und die angebotene Leistung zu diesen Bestimmungen erbringt; eine gesonderte vom Bieter unterfertigte Erklärung ist hiefür somit nicht erforderlich; ein Bieter, der ein den Ausschreibungsbedingungen widersprechendes Angebot legen möchte, muss dies klar zum Ausdruck bringen
§ 108 Abs 2 BVergG 2006
GZ 2006/04/0200, 25.01.2011
Die Bf wendet sich gegen die Rechtsansicht der belangten Behörde, dass einem Angebot gem § 108 Abs 2 BVergG 2006 prinzipiell zu unterstellen sei, ausschreibungskonform zu sein. Dem stehe entgegen, dass der Gesetzgeber in § 129 BVergG 2006 von Angeboten ausgehe, die den Ausschreibungsbestimmungen widersprechen und daher auszuscheiden seien. Gerade dann, wenn ein Bieter separat unterfertigte Erklärungen zu seinen Angeboten abgebe, könne nicht davon ausgegangen werden, dass diese ausschreibungskonform seien, sondern es müsse vielmehr deren eigenständige Bedeutung bedacht werden. Daher sei auf den objektiven Erklärungswert eines Begleitschreibens abzustellen, da ein allenfalls daraus zu entnehmender Bindungswille zu einem Ausscheiden des Angebotes zu führen habe. Die Auslegung von Willenserklärungen gem § 863 ABGB richte sich danach, wie diese Erklärungen unter Berücksichtigung aller Umstände verstanden werden mussten, wobei es nicht primär auf den Willen des Erklärenden, sondern vielmehr auf das Verständnis ankomme, das ein redlicher Erklärungsempfänger gewinnen durfte und gewonnen hat (Maßgeblichkeit des Empfängerhorizonts). Im gegenständlichen Fall seien die Bieter mit einer Ausschreibung konfrontiert gewesen, in der abweichend von der ÖNORM Festpreise für die Bauzeit von 31 Monaten verlangt worden seien. Wenn die Zuschlagsempfängerin daher festgehalten habe, sich an die ÖNORMEN halten zu wollen, so erkläre sie damit im Widerspruch zu den Angebotsbedingungen, dass sie keine Festpreise auf Baudauer anbieten wolle. Für einen redlichen Erklärungsempfänger sei dem Begleitschreiben der Zuschlagsempfängerin daher die eindeutige Erklärung zu entnehmen, sich bezüglich der Festpreise auf Baudauer nicht an die Ausschreibungsunterlagen halten zu wollen. Daher sei es nicht überzeugend, wenn sich die belangte Behörde nicht auf den Wortlaut des Begleitschreibens der Zuschlagsempfängerin, sondern auf deren Aufklärungsschreiben vom 17. Mai 2006 berufe. Da die Zuschlagsempfängerin somit in ihrem Angebot nicht die geforderten Festpreise auf Baudauer angeboten habe, hafte diesem Angebot ein Mangel an, der unbehebbar sei, weil die Mängelbehebung zu einer materiellen Verbesserung der Wettbewerbsstellung der Zuschlagsempfängerin geführt hätte.
VwGH: Im vorliegenden Beschwerdefall ist unstrittig, dass nach der Ausschreibung (Angebotsformblatt SR 75) "Festpreise" auf Baudauer anzubieten waren, wobei die Leistungsfrist in diesem Angebotsformblatt mit 31 Monaten vorgegeben war. Alternativ- und Abänderungsangebote waren nicht zugelassen. Nach den Feststellungen der belangten Behörde, denen die Bf in der Beschwerde nicht mehr entgegen tritt, hat die Zuschlagsempfängerin dieses Angebotsformblatt unterfertigt dem Angebot angeschlossen, sodass, wie die belangte Behörde zutreffend ausführt, gem § 108 Abs 2 BVergG 2006 mit der Unterfertigung dieses Angebotsformblattes die Erklärung verbunden war, die ausgeschriebene Leistung zu den Bestimmungen der Ausschreibungsunterlagen - gegenständlich somit zu Festpreisen auf Baudauer - zu erbringen. Zu prüfen ist daher, ob die Zuschlagsempfängerin durch ihr Begleitschreiben vom 15. Mai 2006, in dem sie erklärt, sich ua an die "ÖNORMEN zu halten", die genannte gesetzliche Vermutung, sie habe ihr Angebot zu den Ausschreibungsbedingungen erstellt, widerlegt hat.
Im Erkenntnis vom 19. November 2008, 2004/04/0102, hat der VwGH ausgesprochen, dass ein Bieter, der ein den Ausschreibungsbedingungen widersprechendes Angebot legen möchte, dies klar zum Ausdruck bringen müsse. Eine solch klare Mitteilung liegt gegenständlich nicht vor: Durch den (bloßen) Hinweis der Zuschlagsempfängerin, sie werde sich "an die ÖNORMEN halten" - eine konkrete ÖNORM oder gar konkrete Bestimmung einer solchen wurde im Begleitschreiben der Zuschlagsempfängerin vom 15. Mai 2006 nicht angesprochen -, hat sie nicht klar zum Ausdruck gebracht, die in ihrem Angebot enthaltenen Preise seien keine Festpreise. Insbesondere kann nach dem Gesagten entgegen dem Vorbringen der Bf nicht davon ausgegangen werden, die Zuschlagsempfängerin habe sich im genannten Begleitschreiben auf die ÖNORM B 2110 Punkt 5.28.3.1. bezogen und unter Bezugnahme auf diese Bestimmung veränderliche Preise angeboten (abgesehen davon, wäre selbst im Falle einer Bezugnahme auf die letztgenannte Bestimmung, die im Nachprüfungsantrag zitiert wurde, nicht eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass veränderliche Preise angeboten werden, weil diese Vermutung nach der zitierten ÖNORM nur dann gilt, wenn der Vertrag nicht erkennen lässt, ob Festpreise vereinbart sind; im gegenständlichen Fall bringt die Ausschreibung aber, wie erwähnt, deutlich zum Ausdruck, dass nur Festpreise angeboten werden können).
Abgesehen davon hat die Auftraggeberin, weil sie auf Grund des genannten Begleitschreibens der Zuschlagsempfängerin zumindest von einer Unklarheit hinsichtlich des Angebotes ausgehen durfte, von der Zuschlagsempfängerin eine verbindliche schriftliche Aufklärung iSd § 126 Abs 1 BVergG 2006 verlangt. Dass die Zuschlagsempfängerin spätestens durch ihr Aufklärungsschreiben vom 17. Mai 2006 klargestellt hat, Festpreise auf Baudauer anzubieten, wird auch in der Beschwerde nicht bestritten.
Soweit die Beschwerde einwendet, die belangte Behörde wäre durch Vernehmung des Zeugen zu dem Ergebnis gelangt, dass die Zuschlagsempfängerin "veränderliche Preise erwirken wollte", so hat dem die belangte Behörde bereits zutreffend entgegnet, dass es nicht auf die Absicht der Zuschlagsempfängerin, sondern auf den nach außen hin zum Ausdruck kommenden objektiven Erklärungswert ihrer Willensäußerungen ankommt. Der VwGH hat nämlich schon wiederholt bei der Auslegung von Ausschreibungsbestimmungen, somit hinsichtlich der Willenserklärungen des Auftraggebers, den objektiven Erklärungswert für einen durchschnittlich fachkundigen Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt für maßgebend erachtet. Dass der objektive Erklärungswert maßgeblich ist, gilt auch für die Auslegung der Willenserklärung des Bieters. Da jedenfalls der objektive Erklärungswert des genannten Aufklärungsschreibens der Zuschlagsempfängerin vom 17. Mai 2006 eindeutig und zweifelsfrei ergab, dass die Zuschlagsempfängerin ihre Leistungen zu Festpreisen auf Baudauer anbiete, kam es auf die Erforschung allfälliger Absichtsäußerungen der Zuschlagsempfängerin gegenüber dem benannten Zeugen nicht an.
Entgegen der Rechtsansicht der belangten Behörde vertritt die Beschwerde die Meinung, die Zuschlagsempfängerin habe durch den im Begleitschreiben vom 15. Mai 2006 enthaltenen Hinweis auf die AGB stillschweigend ihre eigenen AGB zum Gegenstand ihres Angebotes gemacht und sei damit von der Ausschreibung abgewichen.
In diesem Zusammenhang ist zunächst festzuhalten, dass das aktenkundige, von der Zuschlagsempfängerin unterfertigte Angebotsformblatt SR 75 unter Punkt 1. folgende Erklärung enthält:
"Ich (Wir) biete(n) die Ausführung der beschriebenen Leistung(en) unter Berücksichtigung der 'Allgemeinen Angebotsbestimmungen der Stadt Wien für Leistungen' (Drucksorte VD 307) ... an."
Wie bereits die belangte Behörde festgestellt hat, enthält das Begleitschreiben der Zuschlagsempfängerin vom 15. Mai 2006 in der Fußzeile (und zwar im Anschluss an die Firmenadresse, Telefonnummer, E-Mailadresse, Bankverbindung usw) auch den kleingedruckten Hinweis "Es gelten unsere Allgemeinen Geschäftsbedingungen!". Dabei handelt es sich offensichtlich um einen Vordruck auf dem Unternehmenspapier. Der Umstand, dass die Zuschlagsempfängerin dieses Unternehmenspapier mit der genannten Fußzeile für das Begleitschreiben vom 15. Mai 2006 verwendet hat, bringt nicht klar zum Ausdruck, dass die Zuschlagsempfängerin damit ein Angebot auf der Basis ihrer eigenen AGB, somit ein den Ausschreibungsbedingungen widersprechendes Angebot legen wollte.