EuGH: Gesetze, die das Sammeln von Wetten dem Staat oder seinen Konzessionären vorbehalten, müssen gerechtfertigt sein
Mit Urteil vom 6. November 2003 (Vorabentscheidungsverfahren C-243/01 - Gambelli et al.) hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Gesetze, welche das Sammeln von Wetten dem Staat bzw. dessen Konzessionären vorbehalten, gerechtfertigt sein müssen und ausgesprochen, dass das innerstaatliche Gericht zu prüfen hat, ob die italienische Regelung tatsächlich den Zielen des Schutzes der Verbraucher sowie der Sozialordnung Rechnung trägt und ob die auferlegten Beschränkungen nicht unverhältnismäßig sind.
Zum Hintergrund: Piergiorgio Gambelli und 137 weitere Personen betreiben in Italien Datenübermittlungszentren, in denen im italienischen Hoheitsgebiet Sportwetten für Rechnung eines englischen Buchmachers gesammelt werden, mit welchem diese Zentren über das Internet in Verbindung stehen. Der Buchmacher, die "Stanley International Betting Ltd", betreibt seine Tätigkeiten aufgrund einer von der Stadt Liverpool nach englischem Recht erteilten Lizenz.
In Italien ist diese Tätigkeit dem Staat oder seinen Konzessionären vorbehalten. Jeder Verstoß gegen diese Vorschrift kann eine Strafe von bis zu einem Jahr Freiheitsentzug nach sich ziehen. Aus diesem Grund war gegen Gambelli und die anderen Personen Strafverfolgung wegen "Veranstaltung und Annahme verbotener Wetten" eingeleitet und waren die Datenübermittlungszentren beschlagnahmt worden.
Nach Ansicht von Gambelli würden die italienischen Bestimmungen gegen die gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs verstoßen. Das mit dieser Sache befasste "Tribunale Ascoli Piceno" hat den EuGH mit der Frage, wie die einschlägigen Bestimmungen des EG-Vertrags auszulegen sind, angerufen.
Der Europäische Gerichtshof stellt in seinem Erkenntnis zunächst fest, dass das italienische Gesetz eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit, des freien Dienstleistungsverkehrs und der Freiheit, von einem Leistungserbringer angebotene Dienstleistungen zu empfangen oder in Anspruch zu nehmen, darstellt.
Zur Möglichkeit einer Rechtfertigung solcher Beschränkungen führt der EuGH sodann aus, dass sie gerechtfertigt sein können, wenn sie unter Berücksichtigung der sittlichen, religiösen oder kulturellen Besonderheiten sowie der sittlichen und finanziellen Folgen für den Einzelnen wie für die Gesellschaft zum Schutz der Verbraucher und der Sozialordnung erforderlich sind. Außerdem muss das Hauptziel solcher Beschränkungen einem zwingenden Grund des Allgemeininteresses, wie etwa einer Verminderung der Gelegenheiten zum Spiel, entsprechen.
Mit der Erzielung von Einnahmen für die Staatskasse können sie hingegen nicht begründet werden. Auch dürfen die Beschränkungen nicht über das Maß hinaus gehen, welches zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist. Die Anwendung darf nur in nicht-diskriminierender Weise erfolgen.
Das italienische Gericht hatte ausgeführt, dass der italienische Staat eine Politik der starken Ausweitung des Spielens und Wettens zum Zweck der Einnahmenerzielung verfolge und dabei die Konzessionäre des Staates schützen würde. Der Europäische Gerichtshof stellt hierzu fest, dass sich ein Mitgliedstaat nicht auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung berufen kann, um einschränkende Maßnahmen zu rechtfertigen, wenn er zur Teilnahme an Lotterien, Glücksspielen oder Wetten mit dem Ziel ermuntert, daraus Einnahmen zu erzielen.
Der EuGH weist dem nationalen Gericht die Aufgabe zu, zu prüfen, ob das Diskriminierungsverbot beachtet und ob die Voraussetzungen für die Durchführung von Wetten über Sportereignisse in der Praxis von den italienischen Wirtschaftsteilnehmern leichter erfüllt werden können als von denjenigen aus anderen Mitgliedstaaten. Gegebenenfalls sind solche Voraussetzungen nämlich als diskriminierend zu erachten.
Darüber hinaus wird das nationale Gericht zu prüfen haben, ob eine Strafe, die gegen eine Person verhängt wird, welche von ihrem Wohnort in Italien aus über das Internet mit einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Buchmacher Wetten durchführt, angesichts dessen, dass der Staat zur Teilnahme an Wetten ermuntert, nicht eine unverhältnismäßige Sanktion darstellt.
Auch wird zu prüfen sein, ob die Strafen, die gegen Vermittler verhängt werden, welche die Erbringung von Dienstleistungen durch einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Buchmacher erleichtern, zum Ziel der Betrugsbekämpfung verhältnismäßige Beschränkungen darstellen oder nicht.