EuGH: Für Beamte geltende deutsche Regelung der Übernahme von Aufwendungen im Zusammenhang mit einer Heilkur ist teilweise mit der Dienstleistungsfreiheit unvereinbar
Mit Urteil vom 18. März 2004 (Vorabentscheidungsverfahren C-8/02 - Ludwig Leichtle/Bundesanstalt für Arbeit) hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass die für Beamte geltende deutsche Regelung der Übernahme von Aufwendungen im Zusammenhang mit einer Heilkur teilweise mit der Dienstleistungsfreiheit unvereinbar ist. Die Voraussetzung nämlich, dass die Erfolgsaussichten im Ausland höher sein müssen, stellt für den EuGH ein nicht gerechtfertigtes Hindernis dar.
Zum Hintergrund: Der deutsche Staatsangehörige Ludwig Leichtle ist Beamter der Bundesanstalt für Arbeit. Bei dieser hatte er im Jahr 2000 die Übernahme der Aufwendungen für eine Heilkur, die er auf Ischia in Italien durchzuführen beabsichtigt hatte, beantragt. Nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift für Beihilfen in Krankheits-, Pflege-, Geburts- und Todesfällen sind bei Heilkuren die medizinischen Aufwendungen sowie die Aufwendungen für Unterkunft, Verpflegung, Fahrtkosten, Kurtaxe und ärztlichen Schlussbericht beihilfefähig.
Voraussetzung für die Übernahme der Aufwendungen ist, dass die Beihilfefähigkeit vorher anerkannt wird und dass der Kurort im Heilkurorteverzeichnis aufgeführt ist. Bei im Ausland durchgeführten Heilkuren wird die Beihilfefähigkeit nur anerkannt, wenn durch ein Gutachten nachgewiesen ist, dass die Heilkur wegen der wesentlich größeren Erfolgssaussicht im Ausland zwingend erforderlich ist.
Die Bundesanstalt für Arbeit hatte den Antrag von Leichtle abgelehnt, weil die auf Ischia angebotene Kur keine größere Erfolgsaussicht bieten würde als die in Deutschland verfügbaren Heilkuren. Leichtle erhob daraufhin gegen diesen Bescheid Klage vor dem Verwaltungsgericht Sigmaringen und begab sich anschließend, ohne die Entscheidung des Gerichts abzuwarten, nach Ischia, um die Kur durchzuführen. Das Verwaltungsgericht Sigmaringen fragte den EuGH in der Folge, ob der freie Verkehr medizinischer Dienstleistungen der deutschen Regelung entgegensteht.
Der Europäische Gerichtshof führt in seinem Urteil zunächst aus, dass die Vorlagefrage sich nicht auf die Übernahme der Aufwendungen für medizinische Leistungen im eigentlichen Sinne bezieht, die anlässlich einer in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführten Heilkur erbracht wurden, sondern auf andere mit einer solchen Kur verbundene Aufwendungen. Die Aufwendungen für Unterkunft, Verpflegung, Fahrtkosten und Kurtaxe können jedoch als wesentlicher Bestandteil der Kur oder als untrennbar damit verbunden angesehen werden. Die eventuellen Voraussetzungen für die Übernahme dieser verschiedenen Aufwendungen können die Wahl des Heilkurorts beeinflussen.
Das Erfordernis der vorherigen Anerkennung der Beihilfefähigkeit dieser verschiedenen Aufwendungen gilt sowohl für in Deutschland durchgeführte Heilkuren als auch für Kuren in einem anderen Mitgliedstaat. Daher hat dieses Erfordernis nicht die Wirkung, die Leistung von Diensten zwischen Mitgliedstaaten gegenüber der Leistung von Diensten innerhalb eines Mitgliedstaats zu erschweren.
Was die Voraussetzungen der Anerkennung angeht, so gilt das Erfordernis eines medizinischen Gutachtens unterschiedslos für die Kosten von in Deutschland wie auch für die Kosten von im Ausland durchgeführten Heilkuren. Dagegen hat die Voraussetzung, nach der die Erfolgssaussichten einer Kur im Ausland höher sein müssen, die Wirkung, die Beamten davon abzuhalten, sich an Heilkurorte in anderen Mitgliedstaaten zu wenden. Ein solches Hindernis für die Dienstleistungsfreiheit ist nur dann zulässig, wenn es nach dem Vertrag gerechtfertigt werden kann, etwa mit der Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit oder mit der Notwendigkeit, in Deutschland einen bestimmten Umfang der Versorgung und eine bestimmte medizinische Kompetenz aufrechtzuerhalten.
Der EuGH stellt in seiner Entscheidung jedoch fest, dass keine konkreten Anhaltspunkte vorgetragen wurden, die eine solche Rechtfertigung stützen könnten. In Bezug auf die Voraussetzung, nach welcher der betreffende Kurort im Heilkurorteverzeichnis aufgeführt sein muss, stellt der Gerichtshof fest, dass ein solches Erfordernis, das wahrscheinlich sicher stellen soll, dass die Kureinrichtungen in der Lage sind, die für erforderlich gehaltene Behandlung durchzuführen, auch für die Übernahme der Kosten von in Deutschland durchgeführten Heilkuren vorgesehen ist.
Daher scheint dieses Erfordernis a priori und grundsätzlich nicht die Wirkung zu haben, die Leistung von Diensten zwischen Mitgliedstaaten gegenüber der Leistung von Diensten innerhalb eines Mitgliedstaats zu erschweren. Es obliegt jedoch dem vorlegenden Gericht, anhand der Voraussetzungen, an welche die Eintragung der Heilkurorte in ein solches Verzeichnis eventuell geknüpft ist, zu prüfen, ob ein solches Eintragungserfordernis eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstellen kann.
Schließlich kann der Umstand, dass der Betroffene nicht vor Antritt der fraglichen Kur den Abschluss des gerichtlichen Verfahrens abgewartet hat, das er gegen die Ablehnung der vorherigen Anerkennung der Beihilfefähigkeit angestrengt hat, nicht die Übernahme der Aufwendungen ausschließen. Andernfalls würde dem Gemeinschaftsrecht die praktische Wirksamkeit genommen, weil die Patienten in den meisten Fällen nicht den Ausgang eines Gerichtsverfahrens abwarten können, bevor sie die Behandlung in Anspruch nehmen, die ihr Zustand erfordert.