30.05.2003 EU

Urteil des Gerichtshofes in den verbundenen Rechtssachen C-465/00, C-138/01 und C-139/01 - Österreichischer Rundfunk ua. vom 20. Mai 2003


Mit Erkenntnis vom 20. Mai 2003 (C-465/00, C-138/01 und C-139/01 - Österreichischer Rundfunk ua.) hat der EuGH entschieden, dass die Weitergabe von Einkommensdaten von Arbeitnehmern öffentlicher Einrichtungen zum Zweck der Veröffentlichung in einem Jahresbericht mit dem Gemeinschaftsrecht unter der Voraussetzung vereinbar sein kann, dass die Weitergabe im Hinblick auf das Ziel der ordnungsgemäßen Verwaltung öffentlicher Mittel notwendig und angemessen ist. Es ist Sache der nationalen Gerichte, zu prüfen, ob hierfür die Offenlegung der Namen erforderlich ist oder ob eine anonymisierte Weitergabe der Daten ausreicht.

Zum Hintergrund: Nach österreichischem Recht müssen die der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegenden Rechtsträger diesem die von ihnen an die Arbeitnehmer und Ruhegehaltsempfänger gezahlten Bezüge und Ruhebezüge mitteilen, soweit sie einen bestimmten Betrag überschreiten (dieser Betrag wird jährlich festgesetzt und belief sich beispielsweise im Jahr 2000 auf EUR 82.430,18).

Die Offenlegung der Namen der Betroffenen ist zwar im österreichischen Recht nicht ausdrücklich vorgesehen, wird jedoch von der Lehre, der sich der Rechnungshof angeschlossen hat, für erforderlich gehalten. Der Rechnungshof nimmt diese Daten in einen Jahresbericht auf, der dem Nationalrat, dem Bundesrat sowie den Landtagen übermittelt wird. Dieser Bericht wird auch der Allgemeinheit zugänglich gemacht.

Verschiedene Einrichtungen - u. a. der ORF und weitere öffentliche Unternehmen sowie Gebietskörperschaften - hatten die Einkommensdaten nicht oder nur ohne die Namen der Arbeitnehmer an den Rechnungshof übermittelt und sich dabei auf die Gemeinschaftsrichtlinie über den Schutz personenbezogener Daten aus dem Jahr 1995 gestützt. Der Rechnungshof rief in der Folge den Verfassungsgerichtshof an, um eine Entscheidung über diese Meinungsverschiedenheit zu erhalten (C-465/00).

Zwei Arbeitnehmer des ORF beantragten bei den österreichischen Gerichten, dem ORF die Übermittlung der vom Rechnungshof angeforderten Daten zu untersagen. Gegen die Ablehnung dieser Anträge legten sie Revisionsrekurs beim OGH ein.

Die beiden österreichischen Gerichte legten dem EuGH folgende Fragen zur Entscheidung vor:"Ist die österreichische Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht (insbesondere mit der Richtlinie von 1995) vereinbar und sind ihre Bestimmungen in dem Sinne unmittelbar anwendbar, dass sich die Parteien auf sie berufen können, um die Anwendung zwingender Vorschriften des nationalen Rechts zu verhindern?"

Der Europäische Gerichtshof weist in seinem Urteil darauf hin, dass die Gemeinschaftsrichtlinie zwar als Hauptziel die Gewährleistung des freien Verkehrs personenbezogener Daten anstrebt, dabei jedoch den Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten und insbesondere den Schutz der Privatsphäre natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Mitgliedstaaten verlangt.

Die Aufnahme von Einkommensdaten in Verbindung mit den Namen der Empfänger in einen Jahresbericht erfüllt den Tatbestand der "Verarbeitung personenbezogener Daten". Zu den gemeinschaftsrechtlich geschützten Grundrechten gehören u. a. die in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) gewährleisteten Rechte. Die EMRK geht zwar vom Grundsatz des Verbotes behördlicher Eingriffe in die Ausübung des Rechts auf Achtung des Privatlebens aus, lässt jedoch solche Eingriffe unter bestimmten Voraussetzungen zu (Art. 8 EMRK).

Die Weitergabe von Daten über die Bezüge von Arbeitnehmern oder Ruhegehaltsempfängern durch den Arbeitgeber an Dritte stellt einen Eingriff in die Privatsphäre im Sinne von Art. 8 EMRK dar, der nur gerechtfertigt werden kann, wenn er gesetzlich vorgesehen ist, eines der in diesem Artikel genannten berechtigten Ziele verfolgt und in einer demokratischen Gesellschaft für die Erreichung dieses Zieles notwendig ist.

Hierzu stellt der EuGH zunächst fest, dass der Eingriff im österreichischen Recht vorgesehen ist. Allerdings haben die nationalen Gerichte zu prüfen, ob die (im Gesetz nicht vorgesehene) Offenlegung der Namen der Betroffenen dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit entspricht. Der Zweck des Eingriffs besteht darin, die sparsame und sachgerechte Verwendung öffentlicher Mittel durch die Verwaltung sicher zu stellen, was ein berechtigter Zweck im Sinne von Art. 8 EMRK ist, der auf das "wirtschaftliche Wohl des Landes" abstellt.

Im Hinblick auf die Erforderlichkeit haben die nationalen Gerichte zu prüfen, ob die Veröffentlichung der Namen der Betroffenen in Verbindung mit deren Einkünften notwendig ist oder ob es nicht ausreicht, die Öffentlichkeit nur über die Bezüge und andere geldwerte Vorteile zu unterrichten, auf welche die betroffenen Beschäftigten vertraglich Anspruch haben.

Sollten die vorlegenden Gerichte die österreichische Regelung für unvereinbar mit der EMRK halten, so kann sie nach Auffassung des EuGH auch nicht mit der Gemeinschaftsrichtlinie in Einklang stehen. Sollten die Gerichte dagegen zu dem Ergebnis gelangen, dass die Regelung im Hinblick auf das mit ihr verfolgte, im Allgemeininteresse liegende Ziel sowohl notwendig als auch angemessen ist, so haben sie weiter zu prüfen, ob die Regelung dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit entspricht, obwohl sie nicht ausdrücklich die Offenlegung der Namen der Betroffenen vorsieht.

Zu der Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit der Gemeinschaftsrichtlinie stellt der Europäische Gerichtshof fest, dass die Bestimmungen der Richtlinie so genau sind, dass sich ein Einzelner vor den nationalen Gerichten auf sie berufen kann, um die Anwendung entgegenstehender Vorschriften des nationalen Rechts zu verhindern.