EuGH: Verweigert der Empfänger eines gerichtlichen oder außergerichtlichen Schriftstücks dessen Annahme wegen der verwendeten Sprache, führt dies nicht zur Ungültigkeit des Schriftstücks; der Mangel kann dadurch heilen, dass die Übersetzung so schnell wie möglich übersendet wird
Verordnung (EG) Nr 1348/2000 des Rates vom 29.05.2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (Abl L 160, S 37)
Mit Entscheidung vom 8.11.2005 zur GZ C-443/03 hat sich der EuGH mit der Zustellung von gerichtlichen und außergerichtlichen Schriftstücken beschäftigt:
Im Jahr 2001 beantragte Hr Leffler bei einem niederländischen Gericht den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die in Deutschland ansässige Berlin Chemie AG, mit dem Ziel, die von dieser erwirkten Pfändungen aufheben und ihr aufgeben zu lassen, keine neuen Pfändungen auszubringen. In der Folge verweigerte die Berling Chemie AG die Annahme der Ladungsschrift, weil diese nicht ins Deutsche übersetzt worden waren. Nachdem von Hrn Leffler ein Versäumnisurteil gegen die Berlin Chemie AG beantragt wurde, hat der Hoge Raad Der Nederlanden das Verfahren ausgesetzt und die Frage, welche Folgen die Weigerung, eine Zustellung entgegenzunehmen, hat, dem Gerichtshof vorgelegt.
Dazu der EuGH: Zwar regelt Artikel 8 der Verordnung Nr 1348/2000 nicht, welche rechtlichen Folgen sich aus der Zurückweisung eines Schriftstücks durch den Empfänger mit der Begründung ergeben, dass dieses Schriftstück nicht in der Amtssprache des Empfangsmitgliedstaats oder in einer Sprache des Übermittlungsmitgliedstaats, die der Empfänger verstehe, abgefasst sei.
Die anderen Vorschriften der Verordnung, sowie das Ziel der Verordnung, die Schnelligkeit und die Wirksamkeit der Übermittlung von Schriftstücken zu gewährleisten, und die praktische Wirksamkeit, die der in den Artikeln 5 und 8 der Verordnung vorgesehenen Möglichkeit zuerkannt werden muss, das Schriftstück nicht in die Amtssprache des Empfangsstaats übersetzen zu lassen, rechtfertigen es jedoch, dass keine Nichtigkeit des Schriftstücks angenommen wird, wenn dieses von dem Empfänger mit der Begründung zurückgewiesen worden ist, dass es nicht in dieser Sprache oder in einer Sprache des Übermittlungsmitgliedstaats abgefasst sei, die er verstehe, sondern dass stattdessen die Möglichkeit zugelassen wird, das Fehlen einer Übersetzung zu heilen.
Auf die Frage ist daher zu antworten, dass Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung dahin auszulegen ist, dass der Absender eines derart mangelhaften Schriftstücks diesen Mangel dadurch heilen kann, dass er die geforderte Übersetzung übersendet.
Auch wenn Artikel 8 keine genaue Bestimmung über die Regeln enthält, denen zu folgen ist, wenn eine Heilung bei einem Schriftstück zu bewirken ist, ist doch festzustellen, dass die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts und die anderen Vorschriften der Verordnung es erlauben, dem nationalen Gericht eine Reihe von Hinweisen zu geben, um der Verordnung praktische Wirksamkeit zu verleihen.
Wird der Übermittlungsstelle mitgeteilt, dass der Empfänger die Annahme des Schriftstücks verweigert, weil eine Übersetzung fehlt, so hat sie, wie aus Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung abgeleitet werden kann - gegebenenfalls nach Anhörung des Verfahrensbeteiligten -, diesen Mangel dadurch zu heilen, dass sie so schnell wie möglich eine Übersetzung übersendet. Dabei kann eine Frist von 1 Monat nach Eingang der Mitteilung über die Zurückweisung bei der Übermittlungsstelle als angemessen angesehen werden; das nationale Gericht kann diese Frist aber nach den Umständen anders bemessen. Es ist nämlich insbesondere dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Texte ungewöhnlich lang sein können oder dass sie in eine Sprache übersetzt werden müssen, für die nur wenige Übersetzer zur Verfügung stehen.