02.06.2011 Verfahrensrecht

VwGH: Wiedereinsetzung iZm Versehen einer Kanzleiangestellten

Das Versehen einer Kanzleiangestellten eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes stellt ein Ereignis gem § 46 Abs 1 VwGG dar, wenn der Anwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht jener Bediensteten gegenüber nachgekommen ist, wobei hinzuzufügen ist, dass mechanische Vorgänge, wie etwa das Kuvertieren oder die Postaufgabe, in einen Bereich fallen, die grundsätzlich der alleinigen Erledigung der Kanzlei überlassen werden


Schlagworte: Wiedereinsetzung, Versehen einer Kanzleiangestellten, Überwachungspflicht
Gesetze:

§ 46 Abs 1 VwGG, § 71 AVG

GZ 2010/06/0166, 23.11.2010

 

Mit dem vorliegenden Antrag wird die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betreffend das angeführte Beschwerdeverfahren gestellt. Der Antrag wird damit begründet, die langjährige und überaus gewissenhafte Mitarbeiterin N sei iZm der vorliegenden Mängelbehebung darauf hingewiesen worden, dass der Bescheid der Nö Landesregierung vom 9. Oktober 2009 der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde anzuschließen sei. Es sei ihr auch aufgetragen worden, einen Zahlungsbeleg über den Betrag von EUR 220,--, dem Schriftsatz anzuschließen. Der Zahlschein für den angeführten Betrag sei der verbesserten Beschwerde angeschlossen gewesen.

 

In der Kanzlei der Vertreterin des Bf existiere insoweit für derartige Fälle ein Kontrollsystem, als auch bei Fertigstellung des Schriftsatzes und vor Unterfertigung der Schriftsätze durch die Rechtsanwälte von der Kanzleileiterin E noch einmal überprüft werde, inwieweit dem Schriftsatz die erforderlichen Beilagen angefügt seien. Erst dann werde ein Schriftsatz dem Rechtsanwalt zur Unterfertigung vorgelegt. Auch im vorliegenden Fall sei der Bescheid der Nö Landesregierung zum Zeitpunkt der Unterfertigung der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde durch den Rechtsanwalt Dr R angeschlossen gewesen und sei die Verbesserung in dieser Form zur Versendung und zum Kuvertieren in das Sekretariat gegeben worden.

 

Eine Kontrolle, in der klargestellt sein solle, dass die erforderlichen Beilagen auch tatsächlich mitgesandt würden, erfolge noch bei der Kuvertierung der Schriftsätze und dürfte, wenn im vorliegenden Fall aus Versehen der Bescheid nicht mitgeschickt worden sein solle, der Mitarbeiterin N ein Fehler dahin unterlaufen sein, dass dieser Bescheid nicht mit kuvertiert worden sei. Wenngleich das Original des Bescheides sich nicht mehr im Handakt der Vertreterin des Bf befinde, sondern nur mehr eine Kopie des Bescheides vorhanden sei und daher für die Rechtsvertreterin dadurch der Anschein vorgelegen sei, dass der Bescheid auch tatsächlich mitgeschickt worden sei, werde zur Kenntnis genommen, dass beim VwGH ein Bescheid nicht eingelangt sei und daher die Vorlage des Bescheides aus Versehen übersehen worden sei. Bei N, sowie E, handle es sich um langjährige Sekretärinnen mit Erfahrung von 20 Jahren Kanzleitätigkeit in einem Anwaltsbüro. Es sei bei beiden Mitarbeiterinnen bisher nicht zu einem derartigen Versehen gekommen. Es handle sich dabei um ein Versehen minderen Grades, das jedenfalls die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertige.

 

Es bestehe in der Kanzlei ein mehrfaches Kontrollsystem gerade für derartige Fälle. Neben der mehrfachen Überwachung der Fristen hätten auch verschiedene Personen, ausgenommen dem Rechtsanwalt, zu kontrollieren und zu überprüfen, dass die erforderlichen Beilagen bei Schriftsätzen angeschlossen würden. Der Bescheid sei von N dem Schriftsatz auch angeschlossen worden und sei dies auch von der Kanzleileiterin kontrolliert worden. Der Bescheid sei auch bei Unterfertigung der Beschwerde angeschlossen gewesen, was der Vertreter Dr R im Zuge der Unterfertigung des Schriftsatzes überprüft und kontrolliert habe. Durch ein Versehen minderen Grades sei dann der Bescheid, wie sich nunmehr herausgestellt habe, vermutlich nicht mitgesandt worden und sei beim Kuvertieren der Beschwerde verabsäumt worden, ihn mit in das Kuvert zu legen.

 

VwGH: Gem § 46 Abs 1 VwGG ist, wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

 

Gem Abs 3 dieser Bestimmung ist der Antrag beim VwGH in den Fällen des Abs 1 binnen zwei Wochen nach Aufhören des Hindernisses zu stellen. Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen. Das Versehen einer Kanzleiangestellten eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes stellt ein Ereignis gem § 46 Abs 1 VwGG dar, wenn der Anwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht jener Bediensteten gegenüber nachgekommen ist, wobei hinzuzufügen ist, dass mechanische Vorgänge, wie etwa das Kuvertieren oder die Postaufgabe, in einen Bereich fallen, die grundsätzlich der alleinigen Erledigung der Kanzlei überlassen werden.

 

Im vorliegenden Fall ist nach dem Vorbringen die zentrale Frage, ob das Nichtbeilegen des angefochtenen Bescheides allein dem Bereich des Kuvertierens bzw der Postaufgabe durch die Mitarbeiterinnen zuzuordnen ist.

 

Der Antragsteller legte in dem angeführten Beschwerdeverfahren einen den Verbesserungsaufträgen gem Punkt 1. und 2. Rechnung tragenden Schriftsatz in dreifacher Ausfertigung vor. Auf diesem Schriftsatz ist auf Seite 1 unten angemerkt "3-fach" und handschriftlich ergänzt "1 Zahlungsbeleg". Der Zahlungsbeleg war auf der ersten Seite der zu oberst liegenden verbesserten Beschwerdeausfertigung angeheftet. Auf diesem neu eingebrachten Beschwerdeschriftsatz war auf Seite 1 unten nicht angemerkt, dass diesem Schriftsatz auch der angefochtene Bescheid anzuschließen sei. Eine solche Anordnung fand sich auch an keiner anderen Stelle dieses Schriftsatzes. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, dass im hier gegenständlichen Wiedereinsetzungsantrag am Schluss des Schriftsatzes vor der Unterschrift folgende Anordnung enthalten ist: "Beilage: Bescheid des Amtes der Nö Landesregierung vom 09.10.2009"; tatsächlich wurde der Bescheid mit diesem Antrag übermittelt. Auf Grund der wiedergegebenen Anordnung des Rechtsvertreters auf Seite 1 des neu eingebrachten Schriftsatzes konnte die Mitarbeiterin nicht davon ausgehen, dass dieser verbesserten Beschwerde noch der angefochtene Bescheid anzuschließen sei, auch wenn dieser - wie vorgetragen - von der Mitarbeiterin mit dem Bescheid dem Rechtsanwalt zur Unterschrift vorgelegt worden sei. Bei entsprechender Wahrnehmung der den Rechtsvertreter treffenden Überwachungspflicht hätte er die Angaben über die anzuschließenden Unterlagen auf Seite 1 des neu vorgelegten Schriftsatzes zu ergänzen gehabt.

 

Die Nichtanführung des angefochtenen Bescheides auf Seite 1 des verbesserten Beschwerdeschriftsatzes löste daher die vom Regelfall abweichende, ausnahmsweise Kontrollpflicht des Vertreters des Bf über eine derart einfache Verrichtung wie die Kuvertierung und Postaufgabe des Verbesserungsschriftsatzes samt notwendiger Beilagen aus. Eine solche Kontrolle der genannten Mitarbeiterin im Zuge der Kuvertierung des angeführten verbesserten Schriftsatzes samt Beilagen fand nach dem eigenen Vorbringen des Rechtsvertreters nicht statt.

 

Abgesehen davon hätte dem Rechtsvertreter des Bf bei Aufwendung der pflichtgemäßen Sorgfalt bei Abfassung des neuen verbesserten Schriftsatzes die unvollständige Angabe betreffend die Beilagen auffallen müssen und er hätte die Angaben betreffend die anzuschließenden Unterlagen entsprechend vervollständigen müssen. Im vorliegenden Fall musste nach den obigen Darlegungen aber nicht mehr geklärt werden, ob dabei nicht schon von einem den minderen Grad des Versehens übersteigenden Verschulden des Rechtsvertreters auszugehen ist.