16.06.2011 Steuerrecht

VwGH: Zur missbräuchlichen Praxis, welche der Geltendmachung von Vorsteuer entgegensteht (hier iZm Vermietung an umsatzsteuerbefreitem Arzt)

Als Missbrauch iSd § 22 BAO wird eine rechtliche Gestaltung angesehen, die im Hinblick auf die wirtschaftliche Zielsetzung - vor dem Hintergrund des mit der Regelung des Abgabengesetzes verfolgten Zieles - ungewöhnlich und unangemessen ist und die nur auf Grund der damit verbundenen Steuerersparnis verständlich wird; können beachtliche außersteuerliche Gründe für eine - wenn auch ungewöhnliche - Gestaltung angeführt werden, ist ein Missbrauch auszuschließen


Schlagworte: Umsatzsteuer, Missbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechtes, Vorsteuer, Vermietung
Gesetze:

§ 22 BAO, § 12 UStG

GZ 2008/15/0115, 31.03.2011

 

Gesellschafter der bf OG sind der Röntgenfacharzt Dr K (85 % Beteiligung) und seine in seiner Ordination als Dienstnehmerin tätige Ehefrau. Der Sitz der Bf befindet sich in den Ordinationsräumlichkeiten des Dr K. Die Bf erwarb ein Ultraschallgerät (Rechnung vom 17. Dezember 2002 über 107.000 EUR plus Umsatzsteuer von 21.400 EUR) und eine Entwicklungsmaschine (Rechnung vom 28. Mai 2003 über 21.867,25 EUR plus Umsatzsteuer von 4. 373,45 EUR), um sie an Dr K zu vermieten. In der Umsatzsteuererklärung für 2002 wies die Bf Umsätze von 0 EUR und Vorsteuern von 22.472,60 EUR aus.

 

Im Bericht gem § 150 BAO vom 29. April 2005 hält der Prüfer fest, es lägen ausschließlich steuerschonende Motive vor (sofortige Lukrierung der Vorsteuer, was bei einem Ankauf durch Dr K als umsatzsteuerbefreiten Arzt nicht möglich wäre, Investitionszuwachsprämie in voller Höhe, jederzeitige Auflösbarkeit des Mietverhältnisses und damit Wegfall weiterer Umsatzsteuerpflicht).

 

VwGH: Wie der EuGH im Urteil vom 27. Jänner 2000, C-23/98, Heerma, ausgesprochen hat, stellt die Vermietung eines körperlichen Gegenstandes (für eine betriebliche Verwendung) eine wirtschaftliche Tätigkeit iSd Art 4 Abs 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG dar, welche die Eigenschaft als Steuerpflichtiger (Unternehmer) begründen kann.

 

Im Urteil vom 22. Dezember 2010, C-103/09, Weald Leasing, hat der EuGH ausgesprochen, die Feststellung einer die Mehrwertsteuer betreffenden missbräuchlichen Praxis, welche der Geltendmachung von Vorsteuer entgegenstehe, habe das Zusammentreffen zweier Bedingungen zur Voraussetzung:

 

Zum einen müssten die fraglichen Umsätze trotz formaler Anwendung der Bedingungen der einschlägigen Bestimmungen der Sechsten Richtlinie und des zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Rechts einen Steuervorteil zum Ergebnis haben, dessen Gewährung dem mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziel zuwiderlaufe.

 

Zum anderen müsse aus objektiven Anhaltspunkten ersichtlich sein, dass mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen ein Steuervorteil bezweckt werde. Das Missbrauchsverbot sei nämlich nicht relevant, wenn die fraglichen Umsätze eine andere Erklärung haben könnten als nur die Erlangung von Steuervorteilen.

 

Im Einklang damit wird iSd Terminologie der Rsp des VwGH als Missbrauch iSd § 22 BAO eine rechtliche Gestaltung angesehen, die im Hinblick auf die wirtschaftliche Zielsetzung - vor dem Hintergrund des mit der Regelung des Abgabengesetzes verfolgten Zieles - ungewöhnlich und unangemessen ist und die nur auf Grund der damit verbundenen Steuerersparnis verständlich wird. Können beachtliche außersteuerliche Gründe für eine - wenn auch ungewöhnliche - Gestaltung angeführt werden, ist ein Missbrauch auszuschließen.

 

Das Urteil des EuGH Weald Leasing betrifft eine Gestaltung, bei welcher einem (wegen unecht steuerbefreiter Umsätze) nicht vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer eine Vermietungsgesellschaft vorgeschaltet wird, um ihm die Anlagegüter steuerpflichtig zu vermieten. Der EuGH schreibt in Rn 31ff, aus der Vorlageentscheidung gehe hervor, dass mit den Vermietungs- bzw Leasingumsätzen im Wesentlichen ein Steuervorteil bezweckt werde, nämlich die Entrichtung der auf die fraglichen Erwerbe entfallenden Mehrwertsteuer zu staffeln und so die Steuerschuld aufzuschieben. Um auf eine missbräuchliche Praxis zu schließen, sei jedoch darüber hinaus erforderlich, dass dieser Steuervorteil trotz formaler Anwendung der Bedingungen der einschlägigen Bestimmungen der Sechsten Richtlinie und des zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Rechts dem mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziel zuwiderlaufe.

 

Sodann verweist der EuGH darauf, dass Vermietungs- bzw Leasingumsätze in den Anwendungsbereich der Sechsten Richtlinie fallen und der damit verbundene Vorsteuerabzug nicht schon an sich einen Steuervorteil darstellen könne, dessen Gewährung dem mit den einschlägigen Bestimmungen dieser Richtlinie und des zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Rechts verfolgten Ziel zuwiderlaufe. Nicht zu beanstanden sei der durch Vermietung bzw Leasing erzielte Steuervorteil einer "gestaffelten Entrichtung" der Steuerschuld (im Vergleich zum von vornherein nicht gegebenen Vorsteuerabzug beim Erwerb durch den unecht befreiten Unternehmer). Außerdem führe der Rückgriff auf einen Vermietungs- bzw Leasingumsatz in Bezug auf einen Gegenstand nicht an sich schon dazu, dass der auf diesen Umsatz entfallende Mehrwertsteuerbetrag (insgesamt) geringer wäre als der, der im Fall des Erwerbs dieses Gegenstands entrichtet worden wäre.

 

In Rn 39 setzt der EuGH dann fort: "Daher wird das vorlegende Gericht zum einen prüfen müssen, ob die Vertragsbedingungen für die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Leasingumsätze gegen die Bestimmungen der Sechsten Richtlinie und des nationalen Rechts zu deren Umsetzung verstoßen. Dies wäre insbesondere in Bezug auf die Festsetzung der Miethöhe der Fall, wenn sich erweisen sollte, dass diese außergewöhnlich niedrig ist und nicht der wirtschaftlichen Realität entspricht." Zum anderen werde das vorlegende Gericht die Zwischenschaltung der Vermietungsgesellschaft prüfen müssen.

 

Zum zweiten der oben genannten Kriterium einer missbräuchlichen Gestaltung, dem zufolge mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen ein Steuervorteil bezweckt werden muss, führt der EuGH im Urteil vom 21. Februar 2006, C-255/02, Halifax, aus, "dass es Sache des nationalen Gerichts ist, den tatsächlichen Inhalt und die wirkliche Bedeutung der fraglichen Umsätze festzustellen. Dabei kann es den rein willkürlichen Charakter dieser Umsätze sowie die rechtlichen, wirtschaftlichen und/oder personellen Verbindungen zwischen den Wirtschaftsteilnehmern berücksichtigen, die in den Steuersparplan einbezogen sind". Auch im Urteil vom 21. Februar 2008, C- 425/06, Part Service, führt der EuGH zu diesem Kriterium aus, das nationale Gericht könne bei der von ihm vorzunehmenden Würdigung den rein künstlichen Charakter von Umsätzen sowie die rechtlichen, wirtschaftlichen und/oder personellen Verbindungen zwischen den Wirtschaftsteilnehmern berücksichtigen, "da solche Umstände zeigen, dass im Wesentlichen die Erlangung eines Steuervorteils angestrebt wurde".

 

Im gegenständlichen Fall ist entscheidend, dass dem angefochtenen Bescheid bereits Feststellungen darüber fehlen, welchen konkreten Steuervorteil (auf dem Gebiet der Umsatzsteuer) die gewählte Gestaltung im Ergebnis haben soll. Der Bescheid enthält zwar Hinweise auf die Höhe der geltend gemachten Vorsteuer, es mangelt aber an Feststellungen über die bei der Bf (während der Vermietungszeit) angefallene Umsatzsteuer. Ohne Feststellungen über den Steuervorteil ist die Beurteilung einer Gestaltung als missbräuchlich von vornherein ausgeschlossen.