22.06.2011 Zivilrecht

OGH: § 15 UVG – zur Rekurslegitimation des Bundes im Unterhaltsfestsetzungsverfahren

Bei dem im Verfahren zur Festsetzung des gesetzlichen Unterhalts eines minderjährigen Kindes ergangenen (rückwirkenden) Herabsetzungsbeschluss handelt es sich nicht um einen „im Verfahren über die Gewährung von Vorschüssen“ ergangenen Beschluss iSd § 15 Abs 1 UVG, sondern um einen solchen mit „Reflexwirkung“, bei dem ein Rechtsschutzinteresse - und damit die Rechtsmittellegitimation - des Bundes zu verneinen ist


Schlagworte: Familienrecht, Unterhaltsvorschuss, Unterhaltsfestsetzungsverfahren, (rückwirkender) Herabsetzungsbeschluss, Rekurslegitimation des Bundes
Gesetze:

§ 15 UVG, § 2 Abs 1 AußStrG

GZ 10 Ob 15/11w, 12.04.2011

 

Der Rechtsmittelwerber nimmt den Standpunkt ein, die rückwirkende Herabsetzung der Unterhaltsverpflichtung sei ohne inhaltliche Rechtfertigung erfolgt. Im Ergebnis hätten die Kinder (vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger) rechtsgrundlos einen teilweisen Unterhaltsverzicht abgegeben. Infolge der Zustimmung zur rückwirkenden Herabsetzung der Unterhaltsverpflichtung seien die Regressinteressen des Bundes in Ansehung der bereits ausgezahlten Vorschüsse betroffen, weil die Differenz zwischen den angewiesenen und den nunmehr herabgesetzten Vorschüssen vom Unterhaltsschuldner nicht mehr einforderbar sei. Es liege deshalb einer jener besonderen Fälle vor, in denen die Beschwer des Bundes zu bejahen sei.

 

OGH: Im außerstreitigen Verfahren ist Partei im materiellen Sinn jede Person, soweit ihre rechtlich geschützte Stellung durch die begehrte oder vom Gericht in Aussicht genommene Entscheidung oder durch eine sonstige gerichtliche Tätigkeit unmittelbar beeinflusst würde (§ 2 Abs 1 Z 3 AußStrG). Der möglicherweise gegebene Eingriff muss zu einer unmittelbaren Beeinflussung der rechtlichen Stellung führen, ohne dass noch eine andere Entscheidung gefällt werden muss. Eine bloße Reflex- oder Tatbestandswirkung reicht nicht aus. Im Kern geht es darum, dass nicht jedes rechtlich geschützte Interesse Parteistellung im konkreten Verfahren vermittelt, sondern nur jenes, dessen Schutz das konkrete Verfahren dient. Entscheidend ist, wer bzw wessen Stellung durch das jeweilige Verfahren (und die dort anzuwendenden Normen) geschützt werden soll. Die Bestimmung des § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG ist eng auszulegen.

 

Gem § 2 Abs 1 Z 4 AußStrG kommt im außerstreitigen Verfahren weiters jeder Person oder Stelle Parteistellung zu, die aufgrund gesetzlicher Vorschriften in das Verfahren einzubeziehen ist (§ 2 Abs 1 Z 4 AußStrG). So übt gem § 15 Abs 1 UVG der Bund im Verfahren über die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen sein Rekursrecht durch den Präsidenten des OLG aus. Diese Rekursbefugnis des Bundes, vertreten durch den örtlich zuständigen Präsidenten des OLG als gesetzlichen Vertreter, wurde explizit durch die UVG-Novelle 1980 BGBl 1980/278 normiert. Wie aus den Gesetzesmaterialien hervorgeht, sollte der zuvor in der Praxis in divergierenden Entscheidungen zum Ausdruck kommenden Unsicherheit begegnet werden. Der Zweck des Rekursrechts des Bundes liege in der Wahrung der Zweiseitigkeit des Verfahrens und der Hintanhaltung der unrechtmäßigen Gewährung von Unterhaltsvorschüssen.

 

Wie weit der Präsident des OLG in anderen Fällen als der Gewährung von Vorschüssen rekursberechtigt ist, ist iSd obigen Ausführungen im jeweiligen Fall zu beurteilen, wobei es auf das konkrete Verfahren und dessen Zweck ankommt. So wurde etwa eine Beschwer des Bundes bei einem Rekurs gegen die rückwirkende Änderung des Typs ausgezahlter Vorschüsse (Umstellung von Titelvorschüssen auf Haftvorschüsse) oder gegen die rückwirkende Einstellung von Vorschüssen bejaht, wenn dadurch die Möglichkeit zur Rückforderung beeinträchtigt wird. Kommt es zu einer rückwirkenden Einstellung der Unterhaltsverpflichtung kann nämlich der Differenzbetrag vom Unterhaltspflichtigen nicht mehr hereingebracht werden, weil dieser dem Kind gegenüber zu Unterhaltsleistungen für die fragliche Zeit nicht verpflichtet ist. Für das Vorschussverfahren sind demnach in die Beurteilung der Beschwer auch künftige Beeinträchtigungen der Rückforderungs- und Rückersatzmöglichkeiten - insbesondere bei rückwirkender Vorschusseinstellung - einzubeziehen. Weiters wurde eine Beschwer des Bundes bejaht, wenn er weiter zu Vorschusszahlungen verpflichtet ist, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen für eine (weitergehende) Herabsetzung oder die Einstellung der Unterhaltsvorschüsse vorliegen.

 

Die Frage, ob dem Bund vertreten durch den Präsidenten des OLG auch in einem Verfahren zur Festsetzung des Unterhalts („Titelverfahren“) materielle Parteistellung zwecks Wahrung der Rückforderungs- und Rückersatzmöglichkeiten der Unterhaltsvorschüsse zukommt, war bereits Gegenstand der Entscheidung 6 Ob 779/79.  Noch zu der Rechtslage vor der UVG-Novelle 1980 wurde in dieser Entscheidung ausgesprochen, dass dem Präsidenten des OLG im Unterhaltsfestsetzungsverfahren nach dem Verfahrensgegenstand keine Beteiligtenstellung zukommt, weil die Bestimmung der dem Unterhaltsschuldner gegenüber dem unterhaltsberechtigten Kind geschuldeten Unterhaltsbeträge die vom Präsidenten des OLG zu wahrende Rechtsstellung des Bundes nicht berührt. Im Unterhaltsfestsetzungsverfahren werde vom Standpunkt der Bevorschussung aus öffentlichen Mitteln nur eine Tatbestandsvoraussetzung  für die Bewilligung des Unterhaltsvorschusses geschaffen, weshalb die Parteistellung und das Rekursrecht des OLG-Präsidenten zu verneinen sei.

 

Diese Entscheidung verlor durch den mit der UVG-Novellen 1980 geschaffenen § 15 Abs 1 UVG nicht ihre Gültigkeit, weil diese Bestimmung lediglich die Stellung des Präsidenten des OLG als Amtspartei im Verfahren zur Gewährung von Unterhaltsvorschüssen begründete, jedoch keine Aussage zu dessen Rekurslegitimation im Unterhaltsfestsetzungsverfahren trifft. Auch das Inkrafttreten des AußStrG 2005 gibt keinen Anlass, von der Entscheidung 6 Ob 779/79 abzugehen. Wenngleich durch § 2 des AußStrG 2005 die Frage des Parteibegriffs im Außerstreitverfahren einer Neuregelung unterzogen wurde, ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien, dass die bisherige zum Parteibegriff (§ 9 AußStrG aF) ergangene Rsp aufrechterhalten werden kann.

 

Die in der Entscheidung 6 Ob 779/79 enthaltene Aussage, in einem Unterhaltsfestsetzungsverfahren sei die Rechtsmittellegitimation des Präsidenten des OLG zu verneinen, hat auch im Hinblick auf die geltende Rechtslage weiterhin Gültigkeit. Wesentlich ist, dass nicht jedes schützenswerte Interesse Parteistellung im konkreten Verfahren vermittelt, sondern nur jenes, dessen Schutz das konkrete Verfahren dient. Der Zweck des Unterhaltsfestsetzungsverfahrens liegt aber nicht darin, die rechtliche Stellung des Bundes im Hinblick auf die Rückforderung allenfalls zu viel gewährter Unterhaltsvorschüsse zu schützen, sondern darin, einen Ausgleich der Interessen zwischen Unterhaltsschuldner und unterhaltsberechtigtem Kind zu finden.