OGH: Wertpapierdeckung und Insolvenz - Absonderungsansprüche der Betriebspensionisten gem § 11 BPG
Die Sicherung der Arbeitnehmeransprüche als Sondermasseforderungen kann grundsätzlich nur Wertpapiere erfassen, die eindeutig für diesen Zweck bestimmt und tatsächlich vorhanden sind; es ist keine fiktive Sondermasse zu bilden; ein rechtswidriges Unterbleiben oder eine verbotswidrige Verringerung der Wertpapierdeckung nach § 11 BPG wirkt sich daher im Insolvenzfall zu Lasten der Absonderungsansprüche der Betriebspensionsberechtigten aus
§ 11 BPG, § 48 IO
GZ 8 ObA 14/10g, 26.04.2011
OGH: Zur Bilanzierung verpflichtete Unternehmen haben nach § 198 Abs 8 Z 4 lit b UGB für laufende Pensionen und Anwartschaften auf Pensionen Rückstellungen zu bilden, die gem § 211 Abs 2 UGB mit dem sich nach versicherungsmathematischen Grundsätzen ergebenden Betrag anzusetzen sind.
Von der unternehmensrechtlichen Rückstellungspflicht ist die steuerliche Begünstigung dieser Rückstellungen zu trennen, die nach § 9 Abs 1 Z 2 iVm § 14 Abs 7 EStG neben einer schriftlichen, rechtsverbindlichen und unwiderruflichen Zusage voraussetzt, dass sie durch Wertpapiere, insbesondere Schuldverschreibungen bestimmt qualifizierter Schuldner oder qualifizierte Rückdeckungsversicherungen, zu decken sind. Die Wertpapiere müssen im Nennbetrag von mindestens 50 % des am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres in der Bilanz ausgewiesenen Rückstellungsbetrags im Betriebsvermögen vorhanden sein, Unterdeckung führt zur Erhöhung des zu versteuernden Gewinns.
Soweit Wertpapiere oder Ansprüche aus Rückdeckungsversicherungen nicht ausschließlich der Besicherung von Pensionsanwartschaften oder Pensionsansprüchen dienen, erfüllen sie nicht das steuerrechtliche Deckungserfordernis (§ 14 Abs 7 Z 1 letzter Satz EStG).
Die Verpflichtung nach § 11 Abs 1 BPG, für direkte Leistungszusagen wertpapiergedeckte Rückstellungen zu schaffen, knüpft an die unternehmensrechtlichen Bilanzierungsgrundsätze an. „Sofern“ diese auf den Arbeitgeber zutreffen, „ist“ die Wertpapierdeckung nach den Vorschriften der §§ 14 Abs 7, 116 Abs 4 EStG zu erfüllen. Die dazu angeschafften Wertpapiere sind, außer zur Befriedigung der Ansprüche der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten, der Exekution entzogen und bei einer inländischen Bank, die zum Betrieb des Depotgeschäfts berechtigt ist, zu verwahren (§ 11 Abs 4 BPG). Sie dürfen weder verpfändet noch veräußert werden (§ 9 BPG).
Im Insolvenzverfahren des Arbeitgebers bilden diese Wertpapiere nach § 11 Abs 1 BPG eine Sondermasse (§ 48 Abs 1 IO) für die Ansprüche der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten aus einer direkten Leistungszusage (bzw des Insolvenz-Entgeltfonds nach § 11 Abs 3 BPG).
Das Recht der pensionsberechtigten Arbeitnehmer auf vorrangige Befriedigung aus der Wertpapierdeckung im Konkurs des Arbeitgebers begründet ein gesetzliches „Pfand- und Befriedigungsrecht“ iSd § 48 IO. Nach der aus den Materialien zu erschließenden Intention des Gesetzgebers soll der zivilrechtlichen Verpflichtung des Arbeitgebers zum Aufbau einer Wertpapierdeckung „ein subjektives und klagbares Recht des Arbeitnehmers zur Befriedigung seiner Ansprüche aus der Wertpapierdeckung“ entsprechen.
Das vorrangige Befriedigungsrecht nach § 11 BPG verschafft den Pensionsberechtigten daher nicht nur einen klagbaren gesetzlichen Anspruch auf Einrichtung der gesetzlich vorgeschriebenen Wertpapierdeckung (wie dieser Anspruch konkret durchsetzbar wäre und wem eine Klagslegitimation zukäme, ist hier nicht zu prüfen)
Nach dem sachenrechtlichen Spezialitätsprinzip können Pfandrechte nur an bestimmten, einzelnen Sachen, Rechten oder an Sachanteilen begründet werden, nicht aber allgemein an Sachgesamtheiten oder gar am ganzen Vermögen des Pfandbestellers. Das Bestehen eines insolvenzrechtlichen Absonderungsrechts hängt von der eindeutigen Bestimmbarkeit der Sondermasse und ihrer Trennung vom übrigen Vermögen des Schuldners ab. Auch gesetzliche Pfandrechte gehen durch Vermischung unter.
Ist die potentielle Sondermasse - gleich aus welchem Grund - vor Konkurseröffnung nicht mehr bzw nicht mehr unterscheidbar vorhanden, kommt eine vorrangige Befriedigung daraus nicht in Frage. Die Sicherung der Arbeitnehmeransprüche als Sondermasseforderungen kann daher grundsätzlich nur Wertpapiere erfassen, die eindeutig für diesen Zweck bestimmt und tatsächlich vorhanden sind; es ist keine fiktive Sondermasse zu bilden. Ein rechtswidriges Unterbleiben oder eine verbotswidrige Verringerung der Wertpapierdeckung nach § 11 BPG wirkt sich daher im Insolvenzfall zu Lasten der Absonderungsansprüche der Betriebspensionsberechtigten aus.
Da es jedem Unternehmer unbeschadet gesetzlicher Rückstellungspflichten grundsätzlich frei steht, Wertpapiere auch zu anderen Zwecken anzuschaffen, insbesondere als Liquiditätsreserve, ergeben sich bei Fehlen einer konkreten Widmung zwangsläufig Abgrenzungsprobleme. Aus dem Gesetz selbst lässt sich nicht nachvollziehen, wie die nach §§ 9 und 11 BPG besonders geschützte Wertpapierdeckung vom übrigen Betriebsvermögen abzugrenzen und zu individualisieren ist. Dem Gesetzeszweck, die Rechtsposition der Pensionsberechtigten zu stärken, wird mit der geltenden Regelung kaum Genüge getan, zumal gerade in Zeiten wirtschaftlicher Anspannung die subjektive Bereitschaft und Fähigkeit des Arbeitgebers zur Erfüllung der Rückstellungsverpflichtung umso mehr sinken wird, als in Verlustjahren auch steuerliche Anreize keine Wirkung entfalten können.
Weder der Verweis auf die Bilanzierungsvorschriften, noch jener auf das Steuerrecht ist für eine konkrete Zuordnung einzelner Vermögenswerte zu den in der Bilanz bzw Steuererklärung genannten Pauschalsummen und Bezeichnungen von Nutzen. Auch die gesetzliche Verpflichtung zur Verwahrung der Wertpapierbestände bei einer Depotbank schließt die Vermengung von zur Rückstellungsdeckung dienenden Wertpapieren mit zu anderen Zwecken gehaltenen nicht aus. Das Berufungsgericht ist aus diesem Grund zutreffend von einer mangelnden rechtlichen Relevanz der vom Revisionswerber begehrten Feststellungen über die Bilanz der Gemeinschuldnerin für das Jahr 1999 ausgegangen.
Ob bei Fehlen einer rechtsgeschäftlichen Widmung des Arbeitgebers, die Klarheit darüber herbeiführen würde, dass er sich bezüglich bestimmter Papiere zu Gunsten der pensionsberechtigten Arbeitnehmer den Verfügungsbeschränkungen nach §§ 9, 11 BPG unterworfen hat, eine konkludente Zuordnung genügen kann, ist im vorliegenden Fall nicht abschließend zu erörtern.
Notwendig bleibt nämlich wegen des Spezialitätsprinzips jedenfalls, dass die Zuordnung der vorhandenen Wertpapiere als Deckung der Pensionsrückstellung eindeutig und in Willkür ausschließender Weise nachvollziehbar ist. Diese Zuordnung kann nicht gelingen, wenn mehrere Wertpapierdepots gehalten werden, die darüber hinaus gegenüber Dritten ausdrücklich anderen Zwecken als der Pensionsrückstellung, nämlich der Kreditbesicherung, gewidmet waren (sodass sie auch das steuerrechtliche Deckungserfordernis nicht erfüllen konnten, vgl § 14 Abs 7 Z 1 letzter Satz EStG). Die von Schauer vorgeschlagene Lösung, bei einer Mehrzahl von nicht gewidmeten, aber zur Deckung geeigneten Wertpapieren zumindest im Zweifel alle der Sondermasse zuzuordnen, kann hier schon deswegen nicht verfolgt werden, weil konkrete anderweitige Zweckwidmungen bestehen.
Da eine Zuordnung der im streitgegenständlichen Depot bei Konkurseröffnung vorhandenen Wertpapiere zur Deckung von Pensionsrückstellungen nicht möglich ist, kommt eine vorrangige Befriedigung des Klägers als Anspruchsberechtigtem nach § 11 BPG daraus (bzw aus dem Verwertungserlös) nicht in Betracht.