22.06.2011 Sozialrecht

VwGH: Arbeitslosigkeit iZm selbständige(r) Erwerbstätigkeit(en)

Es ist nur das Einkommen aus jener selbständigen Erwerbstätigkeit, die dem Anspruch auf Arbeitslosengeld - jeweils zeitraumbezogen - gem § 12 Abs 3 lit b AlVG zunächst entgegensteht, zu berücksichtigen, wenn es um die Beurteilung der Frage geht, ob im Hinblick auf diese Tätigkeit gem § 12 Abs 6 lit c AlVG Arbeitslosigkeit anzunehmen ist; bei klar abgrenzbaren Tätigkeiten und Einkünften kommt keine Zurechnung des Einkommens aus einer Erwerbstätigkeit in Frage, die im jeweiligen Zeitraum nicht oder nicht mehr ausgeübt worden ist


Schlagworte: Arbeitslosenversicherungsrecht, Arbeitslosigkeit, selbständige Erwerbstätigkeiten, geringfügig beschäftigt
Gesetze:

§ 12 AlVG, § 5 Abs 2 ASVG

GZ 2007/08/0190, 24.11.2010

 

Die Bf bringt vor, dass sie während des Arbeitslosengeldbezugs vom 1. März bis 15. April 2004 nur geringfügig beschäftigt gewesen sei, dies gehe auch aus dem der Behörde vorgelegten "Praktikantenvertrag" hervor. Aufgrund der bloß geringfügigen Einkünfte sei der Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht beeinträchtigt gewesen. Das erst später, nämlich ab 1. Juli 2004, erzielte Einkommen als selbständige Redakteurin dürfe für die Beurteilung des durchschnittlichen monatlichen Einkommens während des Arbeitslosengeldbezugs vom 1. März bis 15. April 2004 nicht herangezogen werden. Die Zurechnung der Einkünfte habe zeitraumbezogen zu erfolgen, da es sich bei der während des Arbeitslosengeldbezugs ausgeübten Praktikantentätigkeit um eine von der später ausgeübten Redakteurstätigkeit klar unterscheidbare andere Tätigkeit gehandelt habe.

 

Die belangte Behörde legte der Feststellung des durchschnittlichen Monatseinkommens der Bf aus selbständiger Erwerbstätigkeit für das Jahr 2004 die dafür im Einkommensteuerbescheid des Jahres 2004 ausgewiesenen Einkünfte iHv EUR 6.575,72 zugrunde. Diese Summe teilte die belangte Behörde durch acht (Monate), wobei sie davon ausging, dass die Bf "in den Monaten März bis April und Juli bis Dezember 2004" selbständig erwerbstätig gewesen sei. Das so errechnete monatliche Einkommen lag über der gem § 5 Abs 2 ASVG festgelegten Geringfügigkeitsgrenze.

 

VwGH: Die Annahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit in den Monaten März und April 2004 steht in einem Spannungsverhältnis zu der im angefochtenen Bescheid ausdrücklich getroffenen Feststellung, wonach die Bf vom 1. März bis zum 8. Juli 2004 geringfügig "angestellt" und (nur) vom 1. Juli 2004 bis zum 31. Mai 2005 - also nicht während des hier gegenständlichen Bezugs von Arbeitslosengeld - selbständig erwerbstätig gewesen sei. Die Begründung des angefochtenen Bescheides erweist sich daher als undeutlich.

 

Die belangte Behörde legte ihrer Berechnung offensichtlich die Rechtsansicht zugrunde, dass es für die Berechnung des monatlichen Einkommens bei selbständiger Erwerbstätigkeit iSd § 12 Abs 6 lit c AlVG unerheblich sei, ob die Bf dieses Einkommen aus einer oder mehreren, voneinander abgrenzbaren, selbständigen Tätigkeiten erzielte.

 

Dieser Rechtsansicht kann jedoch nicht gefolgt werden:

 

Wie der VwGH bereits im Erkenntnis vom 15. November 2000, 96/08/0183 ausgesprochen hat, ist nur das Einkommen aus jener selbständigen Erwerbstätigkeit, die dem Anspruch auf Arbeitslosengeld - jeweils zeitraumbezogen - gem § 12 Abs 3 lit b AlVG zunächst entgegensteht, zu berücksichtigen, wenn es um die Beurteilung der Frage geht, ob im Hinblick auf diese Tätigkeit gem § 12 Abs 6 lit c AlVG Arbeitslosigkeit anzunehmen ist. Bei klar abgrenzbaren Tätigkeiten und Einkünften kommt keine Zurechnung des Einkommens aus einer Erwerbstätigkeit in Frage, die im jeweiligen Zeitraum nicht oder nicht mehr ausgeübt worden ist.

 

Wie aus dem vorgelegten Verwaltungsakt hervorgeht, hat die Bf gegenüber dem AMS stets hervorgehoben, dass sich ihre im Zeitraum des Bezugs von Arbeitslosengeld vom 1. März bis 15. April 2004 ausgeübte Tätigkeit als "Praktikantin", die - auch nach dem im Akt erliegenden Versicherungsdatenauszug - als freies Dienstverhältnis beurteilt wurde, von der später (ab 1. Juli 2004) als "neue Selbständige" ausgeübten Tätigkeit als Redakteurin wesentlich unterschieden habe. Dieses auch durch Vorlage von Urkunden unterstützte Vorbringen hätte die Behörde jedenfalls dazu veranlassen müssen, Ermittlungen zur Art der jeweils ausgeübten Tätigkeit in den überdies klar getrennten Zeiträumen vom 1. März bis 15. April 2004 einerseits und ab dem 1. Juli 2004 andererseits durchzuführen und dazu nähere Feststellungen zu treffen. Dazu kommt, dass die aktenkundigen Unterlagen des Hauptverbandes darauf hindeuten, dass die Bf zwischen den beiden selbständigen Erwerbstätigkeiten in einem geringfügig entlohnten Dienstverhältnis stand. Nach der vorstehend wiedergegebenen Rsp sind die Einkünfte aus zeitlich aufeinanderfolgenden selbständigen Erwerbstätigkeiten dann nicht zusammenzurechnen, wenn die Beschäftigungen voneinander klar abgrenzbar sind, was - unabhängig vom Inhalt der jeweiligen Beschäftigung - jedenfalls dann der Fall ist, wenn nachgewiesen ist, dass die selbständige Erwerbstätigkeit zunächst tatsächlich beendet und erst nach einer gewissen, beitragsrechtlich ins Gewicht fallenden Zeit wieder neu aufgenommen wurde, dh auch unter Anwendung sozialversicherungsrechtlicher Maßstäbe als durch beitragsfreie Zeiten unterbrochen gelten kann. Der Umstand, dass zwischen selbständigen Erwerbstätigkeiten eine unselbständige Erwerbstätigkeit als Dienstnehmerin eingeschlossen ist, ist als zusätzliches Indiz für eine derartige Unterbrechung in die Ermittlungen mit einzubeziehen.

 

Im vorliegenden Fall ist schon aufgrund des im Verwaltungsakt befindlichen "Praktikantenvertrages", der ein monatliches Entgelt von EUR 316,-- vorsah, jedenfalls nicht auszuschließen, dass die Bf - falls sich die Praktikantentätigkeit von der ab 1. Juli 2004 ausgeübten Erwerbstätigkeit als "neuer Selbständiger" unterscheidet und klar davon abgrenzbar ist - während des Bezugs von Arbeitslosengeld keine die Geringfügigkeitsgrenze übersteigenden Einkünfte erzielt hat (vgl zur Frage der Abgrenzbarkeit von Tätigkeiten im Rahmen eines freien Dienstvertrages bzw auf Honorarbasis das hg Erkenntnis vom 29. März 2006, 2003/08/0152).

 

Da die belangte Behörde - ausgehend von ihrer unzutreffenden Rechtsansicht, wonach auch bei voneinander abgrenzbaren unterschiedlichen selbständigen Erwerbstätigkeiten in jedem Fall eine Aliquotierung der gesamten im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Einkünfte über alle Monate der Ausübung einer dieser Tätigkeiten zu erfolgen habe - dazu keine Feststellungen getroffen hat, war der angefochtene Bescheid gem § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen vorrangig aufzugreifender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.