29.06.2011 Arbeitsrecht

VwGH: Zuerkennung der Kollektivvertragsfähigkeit nach § 4 Abs 2 ArbVG

Das Vorliegen der Voraussetzungen der Z 2 des § 4 Abs 2 ArbVG ist nicht auf Grund der faktischen Tätigkeit des bf Vereins zu bestimmen; richtigerweise ist zunächst nach formalen Kriterien zu prüfen, ob die Vereinigung statutarisch entsprechende Zielsetzungen hat (Z 2) und in zweiter Linie, ob sie sich auch gem diesen Zielsetzungen mit Erfolg betätigt, was nach Z 3 an der Zahl der Mitglieder und am Umfang der bisherigen tatsächlichen Tätigkeit (deren Spiegelbild auch die Anzahl der beschäftigten Dienstnehmer sein kann) abzulesen ist


Schlagworte: Kollektivvertragsfähigkeit, Zielsetzungen, größerer fachlicher und räumlicher Wirkungsbereich, maßgebende wirtschaftliche Bedeutung
Gesetze:

§ 4 Abs 2 ArbVG

GZ 2010/08/0148, 24.11.2010

 

VwGH: Aus der unterschiedlichen Textierung des § 4 Abs 2 Z 2 und 3 ArbVG, wonach es nach der Z 2 auf "Zielsetzungen", nach der Z 3 hingegen auf die Anzahl der Mitglieder und den "Umfang der Tätigkeit" ankommt, ist nach der hg Rsp abzuleiten, dass dem Gesetzgeber im Hinblick darauf, dass er in § 4 Abs 2 Z 3 ArbVG auf die faktischen Verhältnisse abstellt, nicht zugesonnen werden kann, dass er dies auch in Z 2 so gemeint und insoweit zweimal dasselbe geregelt hätte. Das Vorliegen der Voraussetzungen der Z 2 ist daher nicht auf Grund der faktischen Tätigkeit des bf Vereins zu bestimmen. Richtigerweise ist zunächst nach formalen Kriterien zu prüfen, ob die Vereinigung statutarisch entsprechende Zielsetzungen hat (Z 2) und in zweiter Linie, ob sie sich auch gem diesen Zielsetzungen mit Erfolg betätigt, was nach Z 3 an der Zahl der Mitglieder und am Umfang der bisherigen tatsächlichen Tätigkeit (deren Spiegelbild auch die Anzahl der beschäftigten Dienstnehmer sein kann) abzulesen ist. Der erste Fall der Z 2 (größerer fachlicher Wirkungsbereich) und der erste Fall der Z 3 (maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung vermöge der Zahl der Mitglieder) hängen jedoch insoweit miteinander zusammen, als beiden Elementen eine Bezugsgröße gemeinsam ist, an der das Element "größere" bzw "maßgebliche" zu messen ist.

 

Die Voraussetzung eines größeren fachlichen und räumlichen Wirkungsbereiches wurde vom Gesetzgeber des ArbVG aus dem Kollektivvertragsgesetz 1947 (§ 3 Abs 1 Z 2 lit b) entnommen. Die Materialien zum ArbVG lassen erkennen, dass man mit der entsprechenden Regelung die Absicht verfolgen wollte, unbedeutende Splittergruppen von der Kollektivvertragsfähigkeit auszuschließen. Weder dem Gesetzestext noch den Materialien ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber für die Erfüllung des § 4 Abs 2 Z 2 ArbVG verlangt, die entsprechende Berufsvereinigung müsse eine "umfassende" Organisation der Angehörigen eines bestimmten Berufs- oder Wirtschaftszweiges darstellen. Im Gegenteil, gerade durch die Verwendung des Begriffes "größerer Wirkungsbereich" wird durchaus ein entsprechender Spielraum eröffnet. Die Kollektivvertragsfähigkeit soll auch Organisationen zukommen, die nach anderen Kriterien als dem der vollständigen Zusammenfassung aller Angehörigen eines bestimmten Wirtschaftszweiges aufgebaut sind.

 

Die Zulässigkeit einer bestimmten fachlichen Ausrichtung hängt jedoch davon ab, ob eine ausreichend große Gruppe von Arbeitgebern (bzw Arbeitnehmern) gebildet werden kann, die sich von anderen Arbeitgebern (bzw Arbeitnehmern) so hinreichend unterscheidet, dass eine "fachliche" Unterscheidung gerechtfertigt ist. Dies ebenfalls vor dem Hintergrund, eine zu weitgehende Aufsplitterung der in der Kollektivvertragsfähigkeit enthaltenen Rechtssetzungsbefugnis hintanzuhalten.

 

Der fachliche Wirkungsbereich einer Berufsvereinigung iSd § 4 Abs 2 Z 2 ArbVG ist nach objektiven Kriterien darauf hin zu prüfen, ob die Gruppenbildung, wie sie sich im bf Verein manifestiert, zutreffend und hinreichend ist. Es kommt im Falle der Z 2 nicht auf die Zahl der statuarisch angepeilten Mitglieder, sondern auf die Kriterien an, nach denen der Kreis der für eine Mitgliedschaft in Frage kommenden Arbeitnehmer oder Arbeitgeber abgegrenzt wird, bzw darauf, wie die fachlichen Grenzen eines Wirkungsbereiches gezogen werden. Die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs 2 Z 2 ArbVG setzt daher voraus, dass der fachliche Wirkungsbereich einer Berufsvereinigung hinreichend definiert ist.

 

Auch das Kriterium der "maßgebenden wirtschaftlichen Bedeutung" iSd § 4 Abs 2 Z 3 ArbVG verfolgt (wie die Vorschrift der Z 2 leg cit) das Ziel, "kleinere Berufsvereinigungen" von der Kollektivvertragsfähigkeit auszuschließen. Sowohl für Arbeitnehmer- als auch für Arbeitgeberverbände kommt hier dem Vergleich der Zahl der tatsächlich erfassten Mitglieder mit der Zahl der für eine Mitgliedschaft in Frage kommenden Arbeitnehmer bzw Arbeitgeber entscheidende Bedeutung zu. Ob die Berufsvereinigung zufolge ihres Mitgliederstandes und Tätigkeitsumfanges ein gesamtwirtschaftlich fühlbares Gewicht darzustellen vermag, ist auf Grund konkreter, im einzelnen nachprüfbarer Tatsachenfeststellungen auf Grund eines (transparenten) entsprechenden Ermittlungsverfahrens zu beurteilen. Von einer "maßgebenden wirtschaftlichen Bedeutung" iSd § 4 Abs 2 Z 3 ArbVG wurde etwa dann nicht gesprochen, wenn der Mitgliederstand der die Kollektivvertragsfähigkeit anstrebenden Berufsvereinigung der Arbeitnehmer sich nur auf ca 1,2 % der dem Berufsstand als solchem angehörigen Beschäftigten belief und sich die Tätigkeit der Vereinigung auch sonst nicht gesamtwirtschaftlich fühlbar auswirkte.

 

Die Beurteilung der "maßgebenden wirtschaftlichen Bedeutung" iSd § 4 Abs 2 Z 3 ArbVG setzt im Hinblick auf die oben erwähnte gemeinsame Bezugsgröße aber ebenfalls voraus, dass der fachliche Wirkungsbereich einer Berufsvereinigung iSd § 4 Abs 2 Z 2 ArbVG, hinreichend definiert ist. Die in der Z 2 näher umschriebene abstrakte, dh schon aus dem Statut noch ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse eines Interessenverbandes ablesbare Bedeutung kommt daher als Verleihungsvoraussetzung eine besondere Bedeutung zu.