OGH: Schenkungsanrechnung - zur Frage, was unter „Einkünften“ iSd § 785 Abs 3 ABGB erster Fall zu verstehen ist
Von den Einkünften, aus denen Schenkungen ohne Schmälerung des Stammvermögens gegeben werden, sind jedenfalls die für den Lebensunterhalt, die laufenden Verbindlichkeiten und die erforderliche Vorsorge notwendigen Beträge abzuziehen; aperiodische oder besonders große Einkünfte dienen regelmäßig auch der Bildung des Vermögensstamms oder auch der Vorsorge und sind insoweit nicht von der Ausnahme des § 785 Abs 3 erster Fall ABGB erfasst; für die Frage, unter welchen Voraussetzungen die angesparten Einkünfte zum „Stamm“ des Vermögens gehören bzw über welchen Zeitraum hinweg die angesparten Einkünfte zu summieren sind, um festzustellen, ob die Schenkung noch aus den Einkünften ohne Schmälerung des Stamms des Vermögens erfolgen konnte, ist als Beobachtungszeitraum das letzte Jahr vor der Schenkung heranzuziehen
§ 785 Abs 3 ABGB
GZ 9 Ob 48/10i, 30.03.2011
OGH: § 785 Abs 1 ABGB legt grundsätzlich fest, dass auf Verlangen eines pflichtteilsberechtigten Kindes oder Ehegatten bei der Berechnung des Nachlasses Schenkungen des Erblassers in Anschlag zu bringen sind. Zweck dieser Bestimmungen ist es einerseits einer Einschränkung der Pflichtteilsrechte vorzubeugen und andererseits einen Ausgleich zwischen den Pflichtteilsberechtigten herbeizuführen. Von dieser Grundregel sieht § 785 Abs 3 ABGB dann als Ausnahmen vor, dass solche Schenkungen unberücksichtigt bleiben, die der Erblasser aus Einkünften ohne Schmälerung seines Stammvermögens macht, oder solche, die zu gemeinnützigen Zwecken erfolgen bzw solchen, die in Entsprechung einer sittlichen Pflicht oder aus Rücksicht des Anstands gemacht werden.
Im vorliegenden Fall vorweg zu klären ist nun, inwieweit überhaupt im Verzicht der Mutter auf ihre eigenen Pflichtteilsansprüche zugunsten der Beklagten eine Schenkung iSd § 785 Abs 1 ABGB zu sehen ist. Der Schenkungsbegriff wird vom OGH und weitgehend auch der Lehre wirtschaftlich betrachtet, also darauf abgestellt, ob jemand unentgeltlich einen Vermögenswert erhält und dadurch eine Wertminderung des Nachlasses eintritt. Dementsprechend wird auch davon ausgegangen, dass der Verzicht auf ein Recht als Schenkung qualifiziert werden kann. Bei wirtschaftlicher Betrachtung stellt der zugunsten der Beklagten als Alleinerbin erfolgte Verzicht der Mutter auf den Pflichtteilsanspruch eine Schenkung dar.
Ausgehend davon ist zu beurteilen, inwieweit die Schenkungen unter die Ausnahmetatbestände des § 785 Abs 3 ABGB fallen.
Dabei stellt sich einleitend die Frage, was unter „Einkünften“, aus denen Schenkungen ohne Schmälerung des Stammvermögens gegeben werden, zu verstehen ist. Eindeutig ist in diesem Zusammenhang, dass von diesen Einkünften jedenfalls die für den Lebensunterhalt, die laufenden Verbindlichkeiten und die erforderliche Vorsorge notwendigen Beträge abzuziehen sind. Auch ist in diesem Zusammenhang klarzustellen, dass das Geschenk selbst nicht zu den Einkünften gehören oder daraus angeschafft werden muss, wenn es nur durch den Wert der Einkünfte gedeckt ist.
Entgegen der offensichtlich noch dem Verständnis des ABGB zugrundeliegenden Annahme wird nunmehr regelmäßig auch der „Stamm“ des Vermögens durch das Ansparen aus den „Einkünften“ gebildet. Es stellt sich daher die Frage, unter welchen Voraussetzungen diese angesparten Einkünfte zum „Stamm“ des Vermögens gehören bzw über welchen Zeitraum hinweg die angesparten Einkünfte zu summieren sind, um festzustellen, ob die Schenkung noch aus den Einkünften ohne Schmälerung des Stamms des Vermögens erfolgen konnte. In der Lehre wird dazu von Umlauft und Kralik die Ansicht vertreten, dass als Beobachtungszeitraum das letzte Jahr vor der Schenkung heranzuziehen ist. Daraus mögen sich nun verschiedene Schwierigkeiten bei mehreren Schenkungen und mehreren Bezugszeiträumen ergeben. Im Wesentlichen bietet aber dieser zeitbezogene Ansatz eine zutreffende Orientierung. Wird doch auch in anderen Zusammenhängen oft nach einem Jahr abgerechnet und eine Orientierungsgröße geschaffen. Die von den Vorinstanzen ausgeschiedenen Schenkungen halten sich im Rahmen der doch eher hohen laufenden Einkünfte der jeweiligen Jahre.
Fraglich bleibt damit noch der vom Kläger erhobene Einwand, dass es sich nur um „kleinere“ Geschenke handeln könne. Eine dahingehende Einschränkung findet sich im Gesetz nicht. In der Lehre wird von Umlauft unter Hinweis auf den Herrenhausbericht die Ansicht vertreten, dass der Zweck der Bestimmung darin liege, weitwendige und schikanöse Untersuchungen anlässlich der Pflichtteilsermittlung wegen „kleinerer“ Geschenke zu verhindern. Der von ihm zitierte Auszug aus dem Herrenhausbericht hält fest, dass es nicht zu „unerträglichen Beschränkungen der Bewegungsfreiheit des Erblassers“ sowie des Beschenkten kommen solle. Ein unmittelbarer Hinweis auf „kleinere“ Geschenke lässt sich dem also nicht entnehmen. Eine Beschränkung kann allenfalls darin gesehen werden, dass aperiodische oder besonders große Einkünfte regelmäßig auch der Bildung des Vermögensstamms oder auch der Vorsorge dienen und insoweit nicht von der Ausnahme des § 785 Abs 3 erster Fall ABGB erfasst sind. Auf das regelmäßige Einkommen in einem Ausmaß, wie es etwa auch noch durch die Bestimmungen des IESG gesichert ist, kann dies aber jedenfalls nicht angewendet werden. Wenn der Vater der Beklagten in den letzten drei bis vier Jahren ohne feststellbare Einschränkung irgendwelcher Lebensbedürfnisse oder Vorsorgeerfordernisse Geld zur Seite und auf Sparbücher gelegt hat und diese kontinuierlich dann der Beklagten ausgefolgt hat und ihr damit etwa 25 % der Einkünfte des Beobachtungszeitraums geschenkt hat, kann das noch als vom ersten Fall des § 785 Abs 3 ABGB erfasst angesehen werden. Dies gilt umso mehr für das bereits 1993 geschenkte Piano.
Die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen der Ausnahme des § 785 Abs 3 ABGB liegt beim Beschenkten.