OGH: Anrechnung der Vorhaft gem § 38 StGB
Obwohl die Verbindung eines Ermittlungsverfahrens mit einem Hauptverfahren nicht in Frage kommt, ist dennoch in einem Hauptverfahren die Vorhaft aus einem im Ermittlungsstadium verbliebenen Verfahrens anzurechnen, wenn die Straftaten nach dem Zeitpunkt ihrer Begehung gemeinsam hätten abgeurteilt werden können
§ 38 StGB, § 37 Abs 3 StPO
GZ 11 Os 19/11w, 14.04.2011
OGH: Gem § 38 Abs 1 Z 2 StGB sind die verwaltungsbehördliche und die gerichtliche Verwahrungshaft sowie die Untersuchungshaft - soweit die Haft nicht bereits auf eine andere Strafe angerechnet oder der Verhaftete dafür entschädigt worden ist - auf Freiheitsstrafen und Geldstrafen anzurechnen, wenn der Täter die Haft sonst nach der Begehung dieser Tat wegen des Verdachts einer mit Strafe bedrohten Handlung erlitten hat. Diese Bestimmung verfolgt den Gedanken, dass der Angeklagte bei „getrennter Führung“ der Verfahren nicht benachteiligt werden soll, was die Rsp stets mit der Formel zum Ausdruck brachte, dass die zu irgend einem Zeitpunkt bestehende Möglichkeit gemeinsamer Führung der Verfahren (zumindest in Betreff eines Teils der hievon erfassten Straftaten) gem § 56 StPO idF vor BGBl I 2004/19 unabdingbare Voraussetzung für die Vorhaftanrechnung sei. Dieser (ansonsten uneingeschränkt auf die Nachfolgebestimmung des § 37 Abs 3 StPO übertragbare) Satz greift - wie anzumerken ist - angesichts der durch das Strafprozessreformgesetz BGBl I 2004/19 geänderten Normsituation insoweit zu kurz, als nunmehr eine Verbindung eines Ermittlungs- mit einem Hauptverfahren nicht mehr in Frage kommt. In solcherart zwingend nebeneinander zu führenden Verfahren wegen Straftaten, die aber (isoliert betrachtet) nach dem Zeitpunkt ihrer Begehung gemeinsam hätten abgeurteilt werden können, ist gleichwohl der eingangs erwähnte Grundgedanke des § 38 Abs 1 Z 2 StGB in Anschlag zu bringen, weshalb eine Vorhaft aus einem (noch) im Ermittlungsstadium verbliebenen Verfahren ebenfalls anzurechnen wäre. Da aber vorliegend das Verfahren AZ 621 Hv 12/07y des LG Korneuburg zum Zeitpunkt der vorgeworfenen nachfolgenden Straffälligkeit, die zum Verfahren AZ 605 Hv 4/10h dieses Gerichts führte, in welchem Miloslav H***** die hier aktuelle Haft (in Deutschland) erlitten hat, längst beendet war, war die Anwendung des § 38 Abs 1 Z 2 StGB durch das LG Korneuburg als Vollzugsgericht jedenfalls verfehlt. Die von diesem Gericht vertretene „sinngemäße“ Anwendung dieser Gesetzesbestimmung ist angesichts des Wortlauts wie auch nach deren Sinn und Zweck nicht möglich; insoweit liegt eine vom Gesetzgeber von der Vorhaftanrechnung gem § 38 StGB bewusst ausgenommene, daher plangemäße und einer Analogie von vornherein nicht zugängliche Regelung vor. Die in Deutschland in Untersuchungshaft verbrachte Zeit hätte daher nur im Falle einer Verurteilung im Verfahren AZ 605 Hv 4/10h des LG Korneuburg gem § 38 Abs 1 Z 1 StGB auf die dort allenfalls verhängte Strafe angerechnet werden dürfen (vgl nunmehr aber § 38 Abs 1 letzter Halbsatz StGB).
Zudem ließ das LG Korneuburg als Vollzugsgericht unberücksichtigt, dass die vom Verurteilten (auch) zum Zweck des Reststrafenvollzugs gem § 133a Abs 5 letzter Satz StVG in Auslieferungshaft verbrachte Haft vom 6. August 2009 bis zur Übergabe am 13. Oktober 2009 - gleich einem zwischen der Festnahme eines geflüchteten Strafgefangenen und dessen Wiedereinlieferung in die zuständige Justizanstalt gelegenen Haftzeitraum - dem (restlichen) Vollzug der mit Urteil des LG Korneuburg vom 22. November 2007, GZ 621 Hv 12/07y-81, verhängten Freiheitsstrafe diente und damit ex lege als Strafhaft anzusehen ist (§ 1 Z 5 zweiter Satz StVG), mag sie auch darüber hinaus Sicherungswirkung für das neuerliche Ermittlungsverfahren entfaltet haben (vgl 12 Os 197/10b, 198/10z: Subsidiarität der Auslieferungshaft gegenüber einer gerichtlichen Strafhaft). Solche Zeiten sind von den Vollzugsbehörden bei der Berechnung der Strafzeit - ohne gerichtliche Entscheidung über die Anrechnung - zu berücksichtigen.