20.07.2011 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Ruhen der Leistungsansprüche bei Haft und Auslandsaufenthalt – zur Frage, ob auch einem geschiedenen Ehegatten nach § 89 Abs 5 ASVG Anspruch auf die Hälfte der Pension (Rente) des Versicherten zukommt

Verweist der Gesetzgeber in § 89 Abs 1 und Abs 4 auf den Angehörigenbegriff des § 123 ASVG, besteht kein Grund zur Annahme, dass der in § 89 Abs 5 ASVG enthaltene Begriff „Angehörige“ anders (als in § 123 ASVG umschrieben) zu verstehen sein könnte


Schlagworte: Pensionsversicherung, Ruhen der Leistungsansprüche bei Haft und Auslandsaufenthalt, geschiedener Ehegatte, Anspruch auf die Hälfte der Pension (Rente) des Versicherten, Angehörige
Gesetze:

§ 89 Abs 5 ASVG

GZ 10 ObS 22/11z, 31.05.2011

 

OGH: § 89 ASVG regelt in seinem ersten Absatz das Ruhen von Leistungsansprüchen in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung bei Verbüßung einer Freiheitsstrafe oder bei Auslandsaufenthalt. In den Absätzen 2 bis 5 sind Ausnahmen von den in Abs 1 leg cit normierten Ruhensbestimmungen enthalten; die Absätze 4 und 5 regeln die trotz Ruhens des Leistungsanspruchs des Versicherten bestehenden Ansprüche von Angehörigen in der Krankenversicherung (Abs 4) und in der Unfall- und Pensionsversicherung (Abs 5).

 

Unter dem Überbegriff „Angehörige“ bezeichnet der Gesetzgeber des ASVG im Allgemeinen Personen, die mit dem Versicherten in familienrechtlichen Beziehungen stehen. Ihr Kreis ist in den einzelnen Versicherungszweigen unterschiedlich weit gezogen. Zu den Angehörigen zählt ua der Ehegatte, also jene Person, die zum Versicherten in einem nach österreichischem Recht zu beurteilenden aufrechten Eheverhältnis steht. Nach Auflösung der Ehe erlischt die Angehörigeneigenschaft, sofern nicht ausdrücklich das Gegenteil angeordnet ist, wie etwa in § 158 Abs 3 ASVG oder in § 56 Abs 7 B-KUVG. Als „früheren Ehegatten“ versteht das ASVG jenen Ehepartner, der mit dem Versicherten in einer für nichtig erklärten, aufgehobenen oder geschiedenen Ehe gelebt hat.

 

§ 89 ASVG verweist in seinen Absätzen 1 und 4 ausdrücklich auf den Angehörigenbegriff des § 123 ASVG, der den Kreis der aus der Krankenversicherung leistungsberechtigten Angehörigen umschreibt und den früheren (geschiedenen) Ehegatten ausnimmt. In Abs 5 des § 89 ASVG wird der Begriff „Angehörige“ verwendet, ohne dass jedoch neuerlich auf § 123 ASVG und den dort enthaltenen Angehörigenbegriff hingewiesen wird.

 

Verwendet der Gesetzgeber in einer gesetzlichen Bestimmung einen Ausdruck zweimal (oder öfter), hat man im Zweifel davon auszugehen, dass dieser Ausdruck jeweils dasselbe bedeutet. Verweist der Gesetzgeber in § 89 Abs 1 und Abs 4 auf den Angehörigenbegriff des § 123 ASVG, besteht somit kein Grund zur Annahme, dass der in § 89 Abs 5 ASVG enthaltene Begriff „Angehörige“ anders (als in § 123 ASVG umschrieben) zu verstehen sein könnte. Diese Auslegung findet im letzten Satz des Abs 5 Niederschlag, der die Reihenfolge regelt, in der anspruchsberechtigte Angehörige zum Zug kommen. Dort wird nur der „Ehegatte“ (und nicht der „frühere“ oder geschiedene Ehegatte) genannt. Das ASVG geht grundsätzlich davon aus, dass im Allgemeinen die Angehörigeneigenschaft des Ehegatten mit der Auflösung der Ehe erlischt, sofern nichts Gegenteiliges angeordnet ist.

 

Voraussetzung für die Anspruchsberechtigung nach § 89 Abs 5 ASVG ist nicht nur die Angehörigeneigenschaft, sondern darüber hinaus, dass sich die Angehörigen im Inland aufhalten und sie im Falle des Todes des Versicherten Anspruch auf Hinterbliebenenpension haben. Dass einem geschiedenen Ehegatten dann, wenn ihm der Versicherte bei seinem Tod aufgrund eines gerichtlichen Urteils, eines gerichtlichen Vergleichs oder einer während des aufrechten Bestands der Ehe eingegangenen vertraglichen Verpflichtung Unterhalt zu leisten hatte, Anspruch auf Hinterbliebenenpension zukommt, reicht als Voraussetzung für den Anspruch nach § 89 Abs 5 ASVG demnach nicht aus, fehlt doch die in § 89 Abs 5 ASVG normierte weitere Voraussetzung der Angehörigeneigenschaft iSd § 123 ASVG.