VwGH: § 51e VStG - konkludenter Verzicht auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung des nicht rechtsfreundlich vertretenen Beschuldigten?
Das Unterbleiben eines Antrags auf Durchführung einer Berufungsverhandlung kann jedenfalls dann nicht als konkludenter Verzicht gedeutet werden, wenn der Beschuldigte nicht in Kenntnis des Rechts auf eine Berufungsverhandlung war
§ 51e VStG
GZ 2011/11/0059, 15.07.2011
Die Beschwerde macht geltend, die belangte Behörde habe zu Unrecht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen. Da die Bf im Verwaltungsstrafverfahren nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten gewesen sei, hätte die belangte Behörde auch nicht von einem Verzicht der Bf auf eine solche ausgehen dürfen; sie sei vielmehr davon ausgegangen, dass jedenfalls eine Verhandlung stattfinden würde.
VwGH: Nach stRsp hat selbst in jenen Fällen, in denen einer der Gründe des § 51e Abs 3 VStG gegeben ist, in verfassungskonformer Anwendung dieser Norm unter dem Blickwinkel des Art 6 EMRK jedenfalls eine mündliche Verhandlung stattzufinden, wenn die Parteien nicht darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen. War der Beschuldigte aber nicht rechtsfreundlich vertreten, so kann das Unterbleiben eines Antrags auf Durchführung einer Berufungsverhandlung jedenfalls dann nicht als konkludenter Verzicht auf eine solche gedeutet werden, wenn der Beschuldigte nicht in Kenntnis des Rechts auf eine Berufungsverhandlung war.
Im vorliegenden Fall hat die im Verwaltungsstrafverfahren nicht rechtsfreundlich vertretene Bf in der von ihr gegen das erstinstanzliche Straferkenntnis erhobenen Berufung zwar nicht die Durchführung einer Berufungsverhandlung beantragt; es lässt sich aber aus dem Verwaltungsakt nicht entnehmen, dass sie Kenntnis von der Möglichkeit einer solchen Antragstellung hatte und auf eine Berufungsverhandlung verzichten wollte.
Ausgehend davon ist das Berufungsverfahren, in dem keine Verhandlung stattgefunden hat, mangelhaft geführt worden.