17.08.2011 Wirtschaftsrecht

VwGH: Vertiefte Angebotsprüfung gem § 125 BVergG 2006 - Notwendigkeit eines Sachverständigengutachtens?

Die im Rahmen der vertieften Angebotsprüfung zu beantwortende entscheidende Frage, ob die Preise betriebswirtschaftlich erklär- und nachvollziehbar sind, ist in der Regel auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens zu beantworten


Schlagworte: Vergaberecht, vertiefte Angebotsprüfung, Preise betriebswirtschaftlich erklär- und nachvollziehbar, Notwendigkeit eines Sachverständigengutachtens
Gesetze:

§ 125 BVergG 2006

GZ 2007/04/0076, 22.06.2011

 

VwGH: Der VwGH hat zur vertieften Angebotsprüfung nach § 125 BVergG 2006 mit Verweis auf seine Vorjudikatur zum BVergG 2002 (Erkenntnis vom 15. September 2004, 2004/04/0032) festgehalten, dass es Aufgabe des Auftraggebers ist, die Angemessenheit der Preise (gegebenenfalls im Rahmen einer vertieften Angebotsprüfung) zu beurteilen. Die Vergabekontrollbehörde hat nicht nur zu prüfen, ob die betriebswirtschaftliche Erklär- und Nachvollziehbarkeit von sachkundigen Personen auf Grund ausreichend detaillierter Unterlagen geprüft worden ist. Sie hat vielmehr - ebenso wie der Auftraggeber bei der vertieften Angebotsprüfung - unter Berücksichtigung der auch dem Auftraggeber zur Verfügung gestandenen Unterlagen die Preisgestaltung auf ihre betriebswirtschaftliche Erklär- und Nachvollziehbarkeit zu prüfen, wobei im Einzelnen die in § 125 Abs 4 Z 1 bis 3 BVergG 2006 genannten Kriterien maßgeblich sind. Da es sich hiebei um eine Plausibilitätsprüfung handelt, muss zweifellos nicht die gesamte Kalkulation des Bieters minutiös nachvollzogen, sondern nur - grob - geprüft werden, ob ein seriöser Unternehmer die angebotenen Leistungen zu den angebotenen Preisen erbringen kann.

 

Im vorliegenden Beschwerdefall ist strittig, ob der Auftraggeber und ihm folgend die belangte Behörde im Rahmen der vertieften Angebotsprüfung in rechtmäßiger Weise zu dem Ergebnis gelangen durften, dass die genannten negativen Einheitspreise des Angebotes der Zuschlagsempfängerin betriebswirtschaftlich erklär- und nachvollziehbar sind (§ 125 Abs 4 BVergG 2006) und ob daher der Gesamtpreis des Angebotes der Zuschlagsempfängerin plausibel zusammengesetzt ist (§ 129 Abs 1 Z 3 BVergG 2006).

 

Im angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die in Rede stehenden negativen Einheitspreise (zusammengefasst) deshalb als betriebswirtschaftlich erklär- und nachvollziehbar angesehen, weil in diese jene Verkaufserlöse eingerechnet seien, die die Zuschlagsempfängerin für das von ihr (im Falle der Leistungserbringung) abzutragende und wegzuschaffende Material erziele. Die belangte Behörde geht somit davon aus, dass die erzielbaren Verkaufserlöse für das im Zuge der Herstellung des neuen Straßenabschnitts abzubauende Material höher liegen als der Wert der von der Zuschlagsempfängerin in diesen Positionen zu erbringenden Leistungen. Dies deckt sich zwar mit den Angaben der Zuschlagsempfängerin in ihrem aktenkundigen Angebot.

 

Die Beschwerde wendet aber ein, der von der belangten Behörde berücksichtigte Verkaufserlös sei zu hoch angesetzt, weil in diesem die Transportkosten, die Kosten für die Nachbehandlung des abgebauten Materials und die Kosten für die Zwischenlagerung desselben nicht berücksichtigt seien. Außerdem gehe die belangte Behörde davon aus, dass im gegenständlichen Fall ein Verkaufserlös für bitumenreiches Material zu erzielen sei, doch falle solches bei der gegenständlichen Baustelle gar nicht an. Auch ein Verkaufserlös für Humus sei im gegenständlichen Fall nicht erzielbar, weil ein solches Bodenmaterial bei der vorliegenden Baustelle nicht anfalle, sondern lediglich Aushubmaterial, das auf eine Bodenaushubdeponie zu verbringen sein werde. Nach Ansicht der Bf hätte die belangte Behörde daher zu den aufgeworfenen Fragen das im Vergabekontrollverfahren beantragte Gutachten eines Sachverständigen einholen müssen und ohne dieses nicht zu dem Ergebnis gelangen dürfen, dass die negativen Einheitspreise iSd § 125 Abs 4 BVergG 2006 betriebswirtschaftlich erklär- und nachvollziehbar seien.

 

Das Beschwerdevorbringen ist zielführend:

 

Der VwGH hat in dem erwähnten Erkenntnis vom 15. September 2004, 2004/04/0032, den dort angefochtenen Bescheid der Vergabekontrollbehörde aufgehoben, weil - im Gutachten des Amtssachverständigen - die relevante Frage unbeantwortet blieb, ob der Auftraggeber im Rahmen der vertieften Angebotsprüfung zutreffend zu dem Ergebnis gelangt ist, die angebotenen Preise des Zuschlagsempfängers seien betriebswirtschaftlich erklär- und nachvollziehbar.

 

Im Erkenntnis vom 25. Jänner 2011, 2008/04/0082, hat der VwGH ausgeführt:

 

"Das BVergG 2006 konkretisiert nämlich nicht, was unter einem angemessenen Preis zu verstehen ist. In einer freien Marktwirtschaft bildet sich der Preis im Wettbewerb, exakte Werte sind nicht festlegbar. Vielmehr ist dessen betriebswirtschaftliche Erklär- und Nachvollziehbarkeit aus sachverständiger Sicht zu ermitteln. Gegenständlich wäre es daher Aufgabe der belangten Behörde (als Vergabekontrollbehörde) gewesen, auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens jene Argumente nachzuprüfen, die von der Auftraggeberin für bzw von der mitbeteiligten Partei (als Nachprüfungswerberin) gegen die Plausibilität des Preises der Zuschlagsempfängerin ins Treffen geführt wurden."

 

Die im Rahmen der vertieften Angebotsprüfung zu beantwortende entscheidende Frage, ob die Preise betriebswirtschaftlich erklär- und nachvollziehbar sind, ist daher nach der zitierten Rsp, anders als die belangte Behörde meint, in der Regel auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens zu beantworten. Wie die Beschwerde zutreffend aufzeigt, hätte die belangte Behörde daher im vorliegenden Fall anhand eines Sachverständigengutachtens klären müssen, ob (iSd zitierten Rsp) ein seriöser Unternehmer die angebotenen Leistungen in den genannten Positionen tatsächlich zu den angebotenen Preisen erbringen kann, oder ob dies hier nicht der Fall ist, weil etwa (wie die Bf meint) der von der Zuschlagsempfängerin genannte Verkaufserlös durch andere Faktoren geschmälert wird und damit die angebotenen negativen Einheitspreise betriebswirtschaftlich nicht erklären kann.