24.08.2011 Zivilrecht

OGH: Zur Frage, ob der Versicherer bei fondsgebundenen Lebensversicherungen ein ordentliches Kündigungsrecht hat

Dem Versicherer steht bei einer fondsgebundenen Lebensversicherung, die auf „unbestimmte Zeit“ abgeschlossen wird, kein ordentliches Kündigungsrecht nach § 8 Abs 2 VersVG zu; auch Versicherungsverträge können aber mit außerordentlicher Kündigung aus wichtigem Grund aufgelöst werden, wenn die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses den Parteien nicht mehr zumutbar ist; ein derartiger wichtiger Grund ist aber nur dann zu bejahen, wenn der Versicherungsnehmer in besonders schwerwiegender Weise die Belange des Versicherers seinem Eigennutz hintanstellt


Schlagworte: Versicherungsvertragsrecht, fondsgebundene Lebensversicherung, auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, ordentliches Kündigungsrecht, außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund
Gesetze:

§ 8 VersVG, §§ 159 ff VersVG

GZ 7 Ob 251/10b, 29.06.2011

 

OGH: Die Lebensversicherung ist in den §§ 159 ff VersVG geregelt. In § 165 VersVG wird nur das ordentliche Kündigungsrecht des Versicherungsnehmers geregelt, auf den Versicherer wird darin nicht Bezug genommen. Dass diese Bestimmung als Spezialnorm der allgemeinen Bestimmung des § 8 Abs 2 VersVG vorgeht, ist, was den Versicherungsnehmer anlangt, unstrittig. Das Gesetz kann gar nicht anders ausgelegt werden. Wird aber das ordentliche Kündigungsrecht des Versicherungsnehmers, nicht jedoch des Versicherers geregelt, so ist e contrario zu schließen, dass diesem ein ordentliches Kündigungsrecht nicht zustehen soll. Der Umstand, dass der Gesetzgeber in § 178i Abs 2 VersVG für die Krankenversicherung ausdrücklich eine Regelung getroffen hat, um die Unkündbarkeit durch den Versicherer sicherzustellen, spricht nicht gegen diese Auslegung. Die Regelung diente der Klarstellung in der Krankenversicherung und lässt hier keine Rückschlüsse auf andere Versicherungssparten zu. Selbst wenn man aber abweichend davon vertreten wollte, § 8 Abs 2 VersVG sei eine allgemeine Norm, die daher grundsätzlich für alle Verträge, daher auch für Lebensversicherungen Geltung haben könnte, so wäre die Bestimmung teleologisch zu reduzieren:

 

Es gehört zu der vom Versicherer bei Vertragsabschluss übernommenen Gefahr, dass die Person älter wird und Krankheiten oder sonstige lebensverkürzende entwickelte Umstände eintreten können. Dem Versicherer soll nicht die Möglichkeit geboten werden, sich von dem Risiko zu trennen, wenn es im Lauf der Jahre naturgemäß und erwartungsgemäß schwerer wird und der Versicherungsnehmer einen neuen Lebensversicherungsvertrag zu der ursprünglich vereinbarten Prämie nicht mehr abschließen kann.

 

Auch bei der klassischen Lebensversicherung besteht neben dem Aspekt der Risikoabsicherung ein Kapitalbildungsinteresse. Der Unterschied zur fondsgebundenen Lebensversicherung ist primär der, wie das Kapital gebildet wird. Bei der klassischen Lebensversicherung ist der bei Vertragsende auszuzahlende Betrag weitgehend fixiert (und durch die eigenen Prämienzahlungen bestimmt), bei der fondsgebundenen Lebensversicherung ist er variabel und orientiert sich an den jeweiligen Kurswerten der vom Versicherungsnehmer frei zu wählenden Fondsanteile. Es wird damit ein spekulatives Element eingebracht, das der Versicherungsnehmer für sich nützen kann. Es ermöglicht ihm, an Kursschwankungen zu seinem Vorteil (aber auch zu seinem Nachteil) teilzunehmen. Trotz des zweifellos größeren Kapitalbildungspotentials der fondsgebundenen Lebensversicherung und der dadurch bewirkten Annäherung an Bankgeschäfte darf nicht übersehen werden, dass es sich bei dem Vertrag dennoch um ein Lebensversicherungsprodukt handelt. Die Interessenlage ist daher insofern bei allen Lebensversicherungsformen gleich, dass der Versicherungsnehmer das Risiko seines Ablebens absichert und gleichzeitig Kapital bildet. Auch wenn durch den Unterschied in der Prämienberechnung (bei der klassischen Lebensversicherung über die Vertragslaufzeit, bei der fondsgebundenen jährlich) eine Wiederversicherung keine höheren Prämien für den Versicherungsnehmer bedeutet und ein Wechsel des Versicherers aus diesem Grund nicht so nachteilig sein muss wie dies bei der klassischen Lebensversicherung der Fall ist, so hat der Versicherungsnehmer aber auch bei der fondsgebundenen Lebensversicherung im Hinblick auf seine Versorgungswünsche/Altersvorsorge ein nicht zu leugnendes Interesse daran, selbst zu entscheiden, wann er das Versicherungsverhältnis beenden will und wann es zu einer Kapitalausschüttung kommt. Die Höhe der vorzunehmenden Auszahlung hängt vom Kurs der jeweiligen Fondsanteile/Wertpapiere zu einem bestimmten Zeitpunkt ab. Stünde dem Versicherer ein jederzeitiges Kündigungsrecht zu, so könnte er damit den Versicherungsnehmer zwingen, eine Abrechnung zu einem für ihn ungünstigen Kurs oder zur Unzeit hinnehmen zu müssen. Der Versicherer würde damit dem Versicherungsnehmer von der Möglichkeit, die gerade die fondsgebundene Lebensversicherung ausmacht, ausschließen, weiter zu „spekulieren“ und allfällige Kursverluste durch positive Entwicklungen in der Zukunft auszugleichen. Nur wenn der Versicherungsnehmer zu Lebzeiten selbst über die Beendigung des Versicherungsvertrags entscheiden kann, kann dies dem Vorsorgegedanken gerecht werden. Würde der Versicherer ein ordentliches Kündigungsrecht haben, würde dies das dem Versicherungsnehmer im Lebensversicherungsvertrag eingeräumte Recht, die Veranlagungsstrategie selbst zu bestimmen und damit auf seine künftige Vorsorge unmittelbar Einfluss zu nehmen, unterlaufen. Außerdem soll eine Kündigung nach § 9 Abs 3 AVB - im Gegensatz zum Vorbringen der Beklagten - zur Verrechnung von nicht amortisierten Vertragserrichtungskosten führen. Sollte sich der Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers/Versicherten rapid nachteilig ändern, wäre auch hier eine Wiederversicherung schwierig, weil sich die Gefahr des Ablebens erhöht und damit die Zahlungsverpflichtungen des Versicherers (die bei schlechter Kursentwicklung zumindest die einbezahlte Prämie zuzüglich der Mindestrisikosumme im Todesfall umfasst) mit erhöhtem Risiko schlagend werden könnten.

 

Diese Erwägungen führen zu dem Ergebnis, dass dem Versicherer bei einer fondsgebundenen Lebensversicherung, die auf „unbestimmte Zeit“ abgeschlossen wird, kein ordentliches Kündigungsrecht nach § 8 Abs 2 VersVG zusteht.

 

Anerkannt ist, dass bei Dauerschuldverhältnissen, sowohl bei solchen, die auf bestimmte Dauer als auch bei solchen, die auf unbestimmte Dauer abgeschlossen sind, eine Kündigung aus wichtigem Grund jederzeit möglich ist. Der Grund für die einseitige Lösung liegt darin, dass die Vertragsfortsetzung für den kündigenden Teil unzumutbar ist. Das Versicherungsverhältnis ist im besonderen Maß vom Grundsatz von Treu und Glauben beherrscht. Auch Versicherungsverträge können daher mit außerordentlicher Kündigung aus wichtigem Grund aufgelöst werden, wenn die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses den Parteien nicht mehr zumutbar ist. Ein derartiger wichtiger Grund ist aber nur dann zu bejahen, wenn der Versicherungsnehmer in besonders schwerwiegender Weise die Belange des Versicherers seinem Eigennutz hintanstellt. Das ist va der Fall, wenn er sich Versicherungsleistungen erschleicht oder zu erschleichen versucht. Grundsätzlich wird ein Verstoß gegen Treu und Glauben, der ein Weiterbestehen lassen des Versicherungsverhältnisses unzumutbar macht, in einem vertragswidrigen Verhalten erblickt.

 

Die Beklagte stellt sich auf den Standpunkt, dass auch ein vertragskonformes Verhalten einen derart wichtigen Grund darstellen könnte. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Die Vertragsgestaltung oblag weitgehend der Beklagten. Nimmt jemand - wie hier der Kläger - ein vertraglich vereinbartes Recht (Inanspruchnahme des gem § 8 AVG zugesicherten unentgeltlichen Rechts des Versicherungsnehmers, die einzelnen Fonds mit einer Zeitverzögerung von t + 1 zu wechseln) in Anspruch, so kann darin - lässt man eine Irreführung oder Täuschung außer Acht - von einem treuwidrigen Verhalten grundsätzlich nicht gesprochen werden. Schon aus dem Vorbringen der Beklagten ergibt sich daher kein wichtiger Grund für eine Kündigung.