24.08.2011 Verfahrensrecht

OGH: Zur Frage der Bindungswirkung einer rechtskräftigen Entscheidung sowie deren Reichweite

Bindungswirkung einer rechtskräftigen Entscheidung ist dann gegeben, wenn der als Hauptfrage rechtskräftig entschiedene Anspruch eine Vorfrage für den Anspruch im zweiten Prozess bildet; maßgebend sind die rechtserzeugenden Tatsachen, die zur Individualisierung des herangezogenen Rechtsgrundes erforderlich sind; wird im Vorprozess nur über einen Teil des zugrundeliegenden Hauptanspruchs entschieden, so erfasst die Rechtskraft nur diesen Anspruchsteil


Schlagworte: Rechtskraft, Entscheidung, Vorfragen, Bindungswirkung, Teileinklagung, Entscheidung über Teil des Hauptanspruchs
Gesetze:

§ 411 ZPO

GZ 8 ObA 19/11v, 29.06.2011

 

OGH: Es stellt sich die Frage nach der objektiven sachlichen Grenze der materiellen Rechtskraft bzw nach der Reichweite der Bindungswirkung. Die Bindungswirkung schließt die neuerliche inhaltliche Prüfung des rechtskräftig entschiedenen Anspruchs aus. Es gilt daher, den Anspruch, über den rechtskräftig entschieden wurde, also den Rechtskraftgegenstand zu bestimmen. Da der gerichtliche Ausspruch eine rechtliche Individualisierung des Anspruchs voraussetzt, sind zur Auslegung des rechtskräftig entschiedenen Anspruchs auch die Entscheidungsgründe, konkret die rechtserzeugenden, anspruchsbegründenden Tatsachen und der rechtliche Subsumtionsschluss, heranzuziehen.

 

Bindungswirkung iSd Präjudizialität der rechtskräftigen Entscheidung ist nach LuRsp dann gegeben, wenn der als Hauptfrage rechtskräftig entschiedene (und vom Kläger geltend gemachte) Anspruch eine Vorfrage für den Anspruch im zweiten Prozess bildet. Maßgebend sind die entscheidungserheblichen rechtserzeugenden Tatsachen, die zur Individualisierung des herangezogenen Rechtsgrundes erforderlich sind. Die in der rechtskräftigen Entscheidung enthaltene Beurteilung von Vorfragen des entschiedenen Anspruchs erwächst demgegenüber nicht in Rechtskraft.

 

Nach der jüngeren Rsp des OGH sowie nach der Lehre sind materiell rechtliche Nahebeziehungen über die echte Präjudizialität hinaus allein kein hinreichender Grund für eine Erweiterung der Rechtskraftwirkungen. Die Bindungswirkung der Rechtskraft ist daher nicht auf „bestimmte Sinnzusammenhänge zwischen den Feststellungen zum Gegenstand des Vorprozesses“ oder auf „im Sinnzusammenhang stehende Rechtsverhältnisse“ zu erstrecken. Auch „das Gebot der Entscheidungsharmonie“ oder „das Bedürfnis der Rechtssicherheit“ sind keine Argumente dafür, die Rechtskraft eines Urteils „als Sonderfall der Präjudizialität“ über den entschiedenen Anspruch hinaus auf Vorfragen desselben zu erweitern.

 

Als Teil der Bindungswirkung ist die Präklusionswirkung anerkannt. Dementsprechend wird durch die Rechtskraft der Entscheidung auch das Vorbringen aller Tatsachen ausgeschlossen, die zur Begründung oder Widerlegung des entschiedenen Anspruchs rechtlich erforderlich waren und schon bei Schluss der mündlichen Verhandlung bestanden haben. Innerhalb desselben Anspruchs wird der Kläger somit mit allen Tatsachen präkludiert, auf die er den konkreten, geltend gemachten Anspruch noch hätte stützen können. Für den Beklagten schließt die Präklusionswirkung die Geltendmachung bereits vorhandener Gestaltungsrechte und Gegenrechte aus.

 

Bei richtiger Betrachtung ist jeweils im Einzelfall konkret zu prüfen, worüber im Vorprozess als Hauptfrage entschieden wurde. Zur Individualisierung des Hauptgegenstands sind auch die rechtserzeugenden Tatsachen und der rechtliche Subsumtionsschluss heranzuziehen.

 

Bei einer Teileinklagung erfasst die Rechtskraft nur den geltend gemachten Anspruchsteil, soweit über ihn spruchgemäß entschieden wurde. Das Gleiche gilt für den Fall, dass im Vorprozess nur über einen Teil des zugrundeliegenden Hauptanspruchs entschieden wird. Die Rechtskraft bezieht sich demnach nur auf den entschiedenen Anspruchsteil. Gleichermaßen ist die Bindungswirkung auf diesen Teil beschränkt.