31.08.2011 Zivilrecht

OGH: Verzicht auf die Gewährleistung (iZm Anfechtung des Vertrages wegen Irrtums)

Ein (genereller) Verzicht auf die Gewährleistung schließt die Anfechtung wegen Irrtums nicht grundsätzlich aus; davon zu unterscheiden ist, dass die Vertragsauslegung im konkreten Einzelfall ergeben kann, dass der Ausschluss der Gewährleistung für einen bestimmten Umstand auch einen Verzicht auf die Irrtumsanfechtung für diesen Umstand umfasst


Schlagworte: Gewährleistungsrecht, Irrtumsanfechtung, Verzicht
Gesetze:

§ 929 ABGB, § 871 ABGB, §§ 914 f ABGB

GZ 2 Ob 176/10m, 22.06.2011

 

OGH: Auf die Anfechtung eines Vertrags wegen Irrtums kann - außerhalb des Anwendungsbereichs des KSchG - im Vorhinein verzichtet werden, wenn der Irrtum nicht grob fahrlässig veranlasst wurde. Ein solcher Verzicht ist insbesondere dann zulässig, wenn der Irrende selbst in der Lage war, seinerseits rechtzeitig ausreichende Nachprüfungen über irrtumsrelevante Umstände vorzunehmen.

 

Nach der Rsp des OGH schließt ein (genereller) Verzicht auf die Gewährleistung die Anfechtung wegen Irrtums nicht grundsätzlich aus. Davon zu unterscheiden ist, dass die Vertragsauslegung im konkreten Einzelfall ergeben kann, dass der Ausschluss der Gewährleistung für einen bestimmten Umstand auch einen Verzicht auf die Irrtumsanfechtung für diesen Umstand umfasst. Laut P. Bydlinski soll dies regelmäßig für schlicht veranlasste Eigenschaftsirrtümer gelten, es sei denn es handle sich um einen erkennbaren Irrtum, der dem Anfechtungsgegner hätte „offenbar auffallen müssen“. Bei „Ausschluss jeder Haftung“ und ähnlichen Formulierungen werde nach Rummel der Parteiwille häufig auch auf den Ausschluss der Irrtumsanfechtung gerichtet sein.

 

Bei der Auslegung der hier zu beurteilenden Gewährleistungsausschlussklausel ist von folgenden Grundsätzen auszugehen:

 

Ein umfassend vereinbarter Gewährleistungsverzicht erstreckt sich grundsätzlich auch auf geheime Mängel und solche, die gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaften betreffen, nicht aber auf das Fehlen zugesicherter Eigenschaften. Die Reichweite einer Ausschlussvereinbarung ist durch Auslegung im Einzelfall (§§ 914 f ABGB) nach der Absicht der Parteien und der Übung des redlichen Verkehrs zu ermitteln. Dabei ist nach allgemeinen Grundsätzen nicht nur am Wortlaut der Vereinbarung zu haften, sondern es sind auch alle ihren Abschluss begleitenden Umstände zu berücksichtigen.

 

Das von beiden Parteien unterfertigte Kaufanbot enthielt noch den Passus, dass die Verkäuferseite keine Gewähr „für irgendeine Beschaffenheit“ des Objekts leisten wolle; diese Formulierung wäre eindeutig als umfassender (genereller) Gewährleistungsausschluss zu verstehen. Der Wortlaut der Klausel wurde allerdings vom Kläger bzw dem ihm zuzurechnenden Vertragserrichter in der Vertragsurkunde dahin modifiziert, dass diese in ihrem ersten Satz einen Hinweis auf die stattgefundene Besichtigung sowie die darauf beruhende („daher“) Kenntnis des Klägers vom Zustand des Objekts und im zweiten Satz einen Haftungsausschluss „für eine besondere Beschaffenheit, Flächenmaß und Bauzustand“ enthält.

 

Diese Klausel ähnelt jener, die der Entscheidung 9 Ob 50/10h zugrunde lag. Mag der enge sachliche Zusammenhang zwischen ihren beiden Sätzen sprachlich nicht so klar zum Ausdruck kommen, wie in dem dort entschiedenen Fall („Die Verkäufer haften demnach […]“), so ergibt er sich hier dennoch ganz eindeutig aus dem Gesamtbild des die Gewährleistung regelnden Vertragspunkts. Dazu kommt, dass ein verständiger Vertragspartner vom Bestreben des Klägers ausgehen musste, durch die geänderte Formulierung die Reichweite des zunächst umfassend konzipierten Gewährleistungsausschlusses entsprechend einzuschränken. Wie in 9 Ob 50/10h ist die Klausel daher auch im vorliegenden Fall nicht iSe umfassenden Gewährleistungsverzichts des Klägers zu verstehen. Dieser bezieht sich vielmehr nur auf Mängel, die für den Kläger bei sorgfältiger Besichtigung sowie durch (nach den Umständen nahe liegende) Informationsaufnahme erkennbar gewesen wären, nicht aber auf geheime Mängel.

 

Aus dieser Auslegung kann ein Verzicht des Klägers auf die Geltendmachung des Irrtums hinsichtlich des unrichtigen „Baujahrs“ nicht gewonnen werden. Dieses war bei der Besichtigung des Objekts nicht erkennbar, für die Einholung einer zusätzlichen Information bestand aufgrund der zweimaligen Hinweise (Inserat, Exposé) keine Veranlassung.