OGH: Zur Frage der Beweislastverteilung und Schadensberechnung bei einer freihändigen Verwertung einer Vorbehaltssache
Bei der Frage, ob die Verwertung auf Basis des Händler- oder des Privatankaufspreises vorgenommen werden kann, kann es in Abwägungen der beiderseitigen Interessen von Sicherungsnehmer und Sicherungsgeber nicht als sorgfaltswidrig angesehen werden, wenn eine Vorbehaltssache vom Sicherungsnehmer im Rahmen eines Freihandverkaufs zu jenem Marktpreis verwertet wird, der dem Händlerankaufspreis entspricht; der Sicherungsnehmer haftet dem Sicherungsgeber wegen Verletzung seiner Pflicht aus der Sicherungsabrede für den Mindererlös, es sei denn, er kann nachweisen, dass die Sache zum Schätzwert nicht verwertet werden hätte können und ein höherer als der vereinbarte Kaufpreis nicht zu erzielen gewesen wäre
§ 1063 ABGB, §§ 466a ff ABGB, § 1371 ABGB, § 1372 ABGB, §§ 1295 ff ABGB
GZ 9 Ob 11/11z, 28.06.2011
OGH: Die Frage, ob der Vorbehaltsverkäufer bei der Verwertung einer Vorbehaltssache Sorgfaltspflichten verletzt hat, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls.
Klauseln, mit denen der freihändige Verkauf der Vorbehaltssache durch den Vorbehaltsverkäufer unter Anrechnung auf die Kaufpreisforderung vereinbart wird, sind zwar außerhalb der Abzahlungsgeschäfte des KSchG (nunmehr: VKrG) zulässig. Jedoch muss dafür vorgesorgt sein, dass die Vorbehaltssache nicht ohne Kontrolle und ohne Wahrung der Interessen des Schuldners verkauft wird.
Dazu hat bereits Bydlinski darauf hingewiesen, dass die Interessenlage bei Vorliegen der beschriebenen, mit dem Eigentumsvorbehalt verbundenen Klauseln bezüglich der willkürlichen Veräußerung dieselbe wie bei der Pfandverwertung ist und der Gesetzesgrund, die Vermögensinteressen des Schuldners vor der Willkür der Gläubiger zu schützen, in vollem Umfang zutrifft. Auch bei der Verwertung einer Vorbehaltssache ist daher ein strenger Maßstab anzulegen.
Beispielhaft sei hervorgehoben, dass ein dem Pfandgläubiger eingeräumtes Ermessen bei der Verwertung der Pfandsache bereits als Willkür iSd § 1371 ABGB angesehen wird. Ebenso wird die Vereinbarung der bloß „bestmöglichen“ Veräußerung des Pfands für ungültig erachtet, nicht aber des Verkaufs zum Schätzpreis.
Die Beklagte meint, die sachkundige Schätzung der Sache und die dem Schuldner einzuräumende Gelegenheit zur Namhaftmachung von Kaufinteressenten seien nach LuRsp keine kumulativen, sondern alternative Erfordernisse.
Dies trifft nur zum Teil zu, weil diese Voraussetzungen in der Lehre teilweise auch kumulativ genannt werden. Auch die Entscheidung 5 Ob 295/01w stützt die Ansicht der Beklagten nicht, weil darin nur ausgesprochen wurde, dass dem Pfandschuldner effektivere Möglichkeiten zur Optimierung des Verkaufserlöses einzuräumen gewesen wären, etwa die Einschaltung eines Sachverständigen zur Ermittlung des Verkehrswerts oder die Namhaftmachung von Kaufinteressenten. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass auch der Gläubiger seinen Sorgfaltsanforderungen alleine mit der zuletzt genannten Alternative gerecht würde.
Diese könnte zur Wahrung der Interessen des Schuldners auch nicht ausreichen. Vielmehr bestehen schon gesetzliche Anhaltspunkte dafür, dass der Gläubiger grundsätzlich bestrebt sein muss, die Verwertung zum Börsen- oder Marktpreis vorzunehmen:
So sieht die für vor dem 1. 1. 2007 verwirklichte Sachverhalte weiter geltende Bestimmung des Art 8 Nr 14 Abs 1 EVHGB iVm § 1221 BGB (Art XXIX HaRÄG BGBl I 120/2005) - die auch für einseitige Handelsgeschäfte gilt - vor, dass der Pfandgläubiger dann, wenn das Pfand einen Börsen- oder Marktpreis hat, den Verkauf aus freier Hand durch einen zu solchen Verkäufen öffentlich ermächtigten Handelsmäkler oder durch eine zur öffentlichen Versteigerung befugte Person - sohin durch Einschaltung eines professionellen Intermediärs - zum laufenden Preis bewirken kann. Auf die Beobachtung dieser Vorschrift kann vor dem Eintritt der Verkaufsberechtigung auch nicht verzichtet werden (Art 8 Nr 14 Abs 1 iVm §§ 1245 Abs 2, 1235 Abs 2, 1221 BGB).
§ 466b Abs 4 erster Satz ABGB (in der am 1. 1. 2007 in Kraft getretenen Fassung HaRÄG, BGBl I 120/2005) verzichtet nun auf den Verkauf durch einen „öffentlich ermächtigten Handelsmäkler oder durch eine zur öffentlichen Versteigerung befugte Person“, verlangt vom Pfandgläubiger aber explizit den Verkauf zum Börsen- oder Marktpreis, womit die Gefahr einer „unterpreisigen Veräußerung“ minimiert ist.
Vergleichsweise sah auch § 22 Abs 1 KSchG in der zuletzt gültigen Fassung bei drittfinanzierten Abzahlungsgeschäften vor, dass die Geltendmachung von Rechten aus einer Entziehungs- und Verkaufsabrede durch den Geldgeber unter den dort genannten Voraussetzungen nicht als Rücktritt vom Vertrag anzusehen ist, wenn die Voraussetzungen des § 13 für den Terminsverlust vorliegen und dem Verbraucher für den Fall des Verkaufs der gesamte Erlös, mindestens aber der gemeine Wert, den die Sache zur Zeit des Verkaufs gehabt hat, angerechnet wird. Unter dem gemeinen Wert war der nach objektiven Kriterien bestimmte Schätzwert der Sache zum Verkaufszeitpunkt zu verstehen.
Aus diesen Bestimmungen geht sohin das Ansinnen des Gesetzgebers hervor, beim Freihandverkauf im Interesse des Schuldners grundsätzlich eine Verwertung zum „laufenden Preis“ bzw zum Börsen- oder Marktpreis - und nicht nur zur Hälfte des jeweiligen Schätzwerts (§§ 151, 277 EO) - anzustreben.
In der Literatur vertreten auch Apathy/Iro/Koziol, Bankvertragsrecht I2 Rz 1/301 mwN, für zur Sicherung übereignete Sachen (zu Z 54 ABB), dass hinsichtlich der vom Sicherungsnehmer zu beobachtenden Verwertungsregeln die §§ 466a ff ABGB bzw die durch Art 8 Nr 14 EVHGB übernommenen Pfandverwertungsvorschriften des BGB als Maßstab für eine interessenwahrende Befriedigung aus dem Sicherungsgut herangezogen werden können.
Die Frage, ob für die Feststellung des Börsen- oder Marktpreises in jedem Fall die Einholung eines Sachverständigengutachtens durch den Sicherungsnehmer einer Vorbehaltssache notwendig ist oder die Verwertung auch dann erfolgen kann, wenn sonst eine fachkundige Bewertung dieser Sache - etwa durch eigene Sachkunde oder eigene ausreichende Markterhebungen des Sicherungsnehmers - sichergestellt wird, ist daneben sekundär, kann aber auch dahin gestellt bleiben, weil die Beklagte keiner dieser Anforderungen entsprochen hat:
Dass sie über eigene Sachkunde für den Markt für Gebrauchtmotorboote verfüge, hat sie gar nicht behauptet. Dennoch hat sie auch sonst keine ausreichenden Maßnahmen für eine fachkundige Wertermittlung getroffen, den Verkauf nicht inseriert, keine Internetrecherchen oder sonstige Markterkundungen oä angestellt, sondern hat sich ausschließlich auf die telefonischen Auskünfte dreier Anbieter verlassen, von denen zwei das Boot nicht näher untersucht oder gar nicht besichtigt hatten. Damit lagen keine Umstände vor, aus denen sie auf eine zuverlässige Wertermittlung schließen hätte können.
Angesichts dessen bedarf es keiner Stellungnahme dazu, ob die dem Kläger gesetzte 14-tägige Frist zur Namhaftmachung eines besseren Käufers von den Vorinstanzen zu Unrecht als zu kurz erachtet wurde.
Die Beklagte meint, das Berufungsgericht hätte ihr zu Unrecht die Beweislast für den Nachweis des Fehlens besserer Käufer auferlegt; vielmehr hätte der Geschädigte zu beweisen gehabt, dass der Schaden bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt nicht eingetreten wäre. Richtig ist, dass der Nachweis des Schadens und des Kausalzusammenhangs vom Geschädigten zu erbringen ist, während sich die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB nur auf das Verschulden bezieht und eine Beweislastverschiebung auf Ausnahmefälle zu beschränken ist.
Der Kläger vermochte zu beweisen, dass der Marktpreis über dem tatsächlich erzielten Verkaufserlös lag. Da selbstverständliche Voraussetzung der Feststellung des „Marktpreises“ das Vorhandensein eines entsprechenden Markts ist, hat er damit auch eben diesen nachgewiesen, während die Beklagte unter Verletzung ihrer Sorgfaltspflichten das Boot unter dem festgestellten Marktpreis verkaufte. Diesen Beweis vermochte die Beklagte nicht zu erschüttern.
Ähnlich vertreten auch Apathy/Iro/Koziol aaO, Rz 1/306 (zu Z 54 ABB), dass bei einem wirksamen Kaufvertrag über das Sicherungsgut mit dem Dritten das Kreditinstitut dem Sicherungsgeber wegen Verletzung seiner Pflicht aus der Sicherungsabrede für den Mindererlös haftet, es sei denn, es kann nachweisen, dass die Sache zum Schätzwert nicht verwertet werden hätte können und ein höherer als der vereinbarte Kaufpreis nicht zu erzielen gewesen wäre.
Zutreffend ist das Berufungsgericht daher davon ausgegangen, dass die Beklagte für die Unverwertbarkeit des Boots zum festgestellten Marktpreis beweispflichtig gewesen wäre.
Allerdings bedarf die Rechtsansicht der Vorinstanzen zur Schadensberechnung einer Korrektur.
Auch in diesem Punkt stehen die Interessen des Schuldners an einem möglichst hohen Verkaufserlös einerseits und jene des Gläubigers an einer raschen und abschließenden Verwertung der Vorbehaltssache andererseits einander gegenüber (vgl nunmehr § 466a Abs 2 ABGB: „Der Pfandgläubiger hat bei der Verwertung der Sache angemessen auf die Interessen des Pfandgebers Bedacht zu nehmen.“).
Bei Beurteilung der Frage, ob die Verwertung auf Basis des Händler- oder des Privatankaufspreises vorgenommen werden kann, ist zu berücksichtigen, dass von Privaten zwar meist höhere Preise gezahlt werden, für den Verkäufer damit idR aber auch ein höherer Suchaufwand (höhere Suchkosten, längere Suchdauer) einhergeht, um überhaupt potenzielle Käufer ausfindig zu machen. Noch mehr wiegt jedoch sein Interesse an einer gewährleistungsfreien Veräußerung der Vorbehaltssache, weil er zur Befriedigung von Gewährleistungsansprüchen (Verbesserung der Sache, Austausch) meist nicht imstande sein wird oder bei einem Preisminderungs- oder Wandlungsbegehren die Tilgungswirkung der Verwendung des Verwertungserlöses für die noch offene Kreditforderung gefährdet sein könnte. Einem Ausschluss von Gewährleistungsansprüchen steht im Verhältnis zu Verbrauchern aber § 9 Abs 1 KSchG entgegen. Zwar könnte der Sicherungsnehmer mit diesem Interesse auf die exekutive Verwertung der Vorbehaltssache verwiesen werden. Damit bliebe aber außer Acht, dass auch der Sicherungsgeber Interesse an einem Freihandverkauf haben kann, weil er damit die Verwertung zum Marktpreis erhoffen darf. In Abwägung der beiderseitigen Interessen kann es danach nicht als sorgfaltswidrig angesehen werden, wenn eine Vorbehaltssache vom Sicherungsnehmer im Rahmen eines Freihandverkaufs zu jenem Marktpreis verwertet wird, der dem Händlerankaufspreis entspricht.