04.10.2011 Verfahrensrecht

OGH: Verstoß gegen den ordre public – zum Versagungsgrund nach Art V Abs 2 lit e NYÜ (hier: iZm schikanöser Rechtsausübung iSd § 1295 Abs 2 ABGB)

In einer erfolgten Verurteilung einer Partei zur Leistung kann - trotz schikanöser Rechstausübung - kein Verstoß gegen elementare Grundwerte der österreichischen Rechtsordnung erblickt werden


Schlagworte: Internationales Schiedsverfahrensrecht, Verstoß gegen den ordre public, Versagung, schikanöse Rechtsausübung
Gesetze:

Art V NYÜ, § 1295 Abs 2 ABGB

GZ 3 Ob 65/11x, 24.08.2011

 

OGH: Ein Verzicht auf die Geltendmachung der in Art V Abs 2 NYÜ genannten Gründe ist weder im Voraus noch im Stadium des Anerkennungsverfahrens möglich, weil diese Bestimmung der Berücksichtigung öffentlicher Interessen dient und deshalb der Parteiendisposition entzogen ist. Schon deshalb kommt der in Art 28 Abs 6 ICC-SchO enthaltenen (und im Revisionsrekurs angesprochenen) Verpflichtung, „von allen Rechtsmitteln, auf die verzichtet werden kann, Abstand zu nehmen“, keine Relevanz zu.

 

Das Gericht des Vollstreckungsstaats hat den in den zwischenstaatlichen Ab- bzw Übereinkommen normierten Versagungsgrund wegen Verstoßes gegen den ordre public im Vollstreckbarerklärungsverfahren autonom, dh unabhängig von einem möglichen Aufhebungsverfahren im Sitzstaat bzw dessen Inanspruchnahme durch die verpflichtete Partei zu prüfen. Keinesfalls darf der genannte Versagungsgrund dazu führen, eine Überprüfung des ausländischen Titels in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht durchzuführen (Verbot der revision au fond), sondern nur, ob die Annahmen des Schiedsgerichts in seinem Schiedsspruch einen Verstoß gegen den ordre public des Vollstreckungsstaats begründen. Zulässig und notwendig ist somit eine sachliche Nachprüfung der Entscheidung, allerdings nur im Rahmen der Vorbehaltsklausel des ordre public, ohne dass das Gericht des Vollstreckungsstaats zu überprüfen hätte, wie der Streitfall richtig zu entscheiden gewesen wäre. Der relevante Maßstab bei der autonomen ordre public-Kontrolle des ausländischen Schiedsspruchs durch das Gericht des Vollstreckungsstaats Österreich ist, ob der Schiedsspruch mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung deshalb unvereinbar ist, weil ihm ein mit der inländischen Rechtsordnung vollkommen unvereinbarer ausländischer Rechtsgedanke zugrunde liegt. Bei dieser Vorbehaltsklausel handelt es sich um eine Ausnahmeregel, von der nur sparsamster Gebrauch gemacht werden darf, um den internationalen Entscheidungseinklang nicht unverhältnismäßig zu stören. Nicht ausreichend ist es, dass das Recht oder Rechtsverhältnis selbst dem ordre public widerspricht, es muss auch die Durchsetzung für die inländische Rechtsordnung untragbar sein. Als vom ordre public erfasste Grundwertungen werden va die tragenden Grundsätze der Bundesverfassung, aber auch des Strafrechts, des Privatrechts und des Prozessrechts verstanden werden müssen, wobei für die Vereinbarkeit nicht der Weg oder die Begründung, sondern das Ergebnis des Schiedsspruchs maßgeblich ist.

 

Im vorliegenden fall steht die Rechtsfrage im Raum, ob die Geltendmachung des (an sich gerechtfertigten) Aufwandersatzanspruchs der Betreibenden wegen ihres späteren rechtswidrigen Verhaltens als schikanöse Rechtsausübung iSd § 1295 Abs 2 ABGB anzusehen ist. Allerdings entspricht es der stRsp des OGH, dass die Frage der schikanösen Rechtsausübung nicht von Amts wegen aufgegriffen werden kann. Wenn aber die österreichische Rechtsordnung die Prüfung, ob schikanöse Rechtsausübung vorliegt, vom Einwand einer Partei abhängig macht, nimmt sie in Kauf, dass ohne einen solchen Einwand ein Verstoß gegen § 1295 Abs 2 ABGB unbeachtet bleibt. In einer dennoch erfolgten Verurteilung einer Partei zur Leistung kann daher kein Verstoß gegen elementare Grundwerte der österreichischen Rechtsordnung erblickt werden.

 

Selbst wenn man daher eine schikanöse Rechtsausübung der Betreibenden bejahen wollte, bestünde deshalb kein Anlass, dem Schiedsspruch die Vollstreckbarerklärung wegen Verstoßes gegen den ordre public zu versagen.