18.10.2011 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG – personenbezogener Rechtfertigungsgrund iZm langen / mehreren Krankenständen

Die Rsp zur Dienstunfähigkeit kann für die Beurteilung überhöhter Krankenstände als personenbezogener Rechtfertigungsgrund für eine wesentliche Interessen beeinträchtigende Kündigung durchaus als Richtschnur herangezogen werden; der Arbeitgeber muss eine Zukunftsprognose über die weitere Arbeitsfähigkeit des betroffenen Arbeitnehmers anstellen, die im zeitlichen Zusammenhang mit dem Kündigungszeitpunkt zu erstellen ist; die Zukunftsprognose hängt außer von Häufigkeit und Dauer der bisherigen Krankenstände auch wesentlich von der Art der Erkrankung samt deren Ursache und der zumutbaren Krankenbehandlung ab


Schlagworte: Arbeitsverfassungsrecht, Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit, personenbezogene Rechtfertigung, lange / mehrere Krankenstände, Dienstunfähigkeit, Prognose, Interessenabwägung
Gesetze:

§ 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG

GZ 8 ObA 53/11v, 30.08.2011

 

OGH: Die Vorinstanzen haben die Grundsätze für das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes im Fall einer wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigenden Kündigung durch personenbezogene Gründe iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG zutreffend dargelegt.

 

Demnach können nach stRsp als personenbezogene Kündigungsrechtfertigungsgründe auch Krankenstände herangezogen werden. In der Entscheidung 8 ObA 25/02p wurde dazu darauf hingewiesen, dass ein ununterbrochener Krankenstand von 8 Monaten nach einem Arbeitsunfall üblicherweise auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr in Kauf genommen werde. Nach der Entscheidung 9 ObA 120/91 gilt dies ebenso für laufende Krankenstände im Ausmaß von rund 27 % der möglichen Arbeitszeit und nach der Entscheidung 9 ObA 31/94 für Krankenstände im Ausmaß von 126 Krankentagen, wenn auch in Zukunft mit derartigen wiederholten Krankenständen zu rechnen ist.

 

Die Rsp zur Dienstunfähigkeit kann für die Beurteilung überhöhter Krankenstände als personenbezogener Rechtfertigungsgrund für eine wesentliche Interessen beeinträchtigende Kündigung durchaus als Richtschnur herangezogen werden. Dies ergibt sich daraus, dass auch iZm dem allgemeinen Kündigungsschutz die Rechtfertigung der Kündigung wegen längerer Krankenstände darin gesehen wird, dass wegen des vertretungsweise nicht mehr bewältigbaren Leistungsausfalls und der mangelnden Einsetzbarkeit der Arbeitskraft der Betrieb beeinträchtigt wird. Aus diesem Grund rechtfertigen grundsätzlich auch mehrmalige Krankenstände in der Dauer von 7 Wochen pro Jahr eine wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigende Kündigung.

 

Kommen überhöhte Krankenstände als Kündigungsrechtfertigungsgrund in Betracht, so muss der Arbeitgeber eine Zukunftsprognose über die weitere Arbeitsfähigkeit des betroffenen Arbeitnehmers anstellen, die im zeitlichen Zusammenhang mit dem Kündigungszeitpunkt zu erstellen ist. Entscheidend ist, dass ein verständiger und sorgfältiger Arbeitgeber bei objektiver Betrachtung berechtigt davon ausgehen kann, dass Krankenstände in erhöhtem Ausmaß mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft zu erwarten sind. Eine ungünstige Prognose kann etwa aus der anhaltend steigenden Zahl der Krankheitstage bei regelmäßigen Krankenständen oder aus einer objektivierten Verschlechterung des Grundleidens abgeleitet werden.

 

Bei der Beurteilung ist zu berücksichtigen, dass in der Vergangenheit aufgetretene Krankenstände, die für die künftige Einsatzfähigkeit des Arbeitnehmers nicht unbedingt aussagekräftig sind, weil die zugrunde liegende Krankheit überwunden wurde, nicht als persönlicher Kündigungsrechtfertigungsgrund herangezogen werden können. Die Zukunftsprognose hängt damit außer von Häufigkeit und Dauer der bisherigen Krankenstände auch wesentlich von der Art der Erkrankung samt deren Ursache und der zumutbaren Krankenbehandlung ab. Setzt sich der in Ansehung des Rechtfertigungsgrundes beweispflichtige Arbeitgeber mit diesen Fragen - wie hier (die Beklagte stellte keine Nachforschungen an) - gar nicht auseinander, so trägt er das Risiko, dass sich seine Prognose bei Anlegung eines objektiven Maßstabs als unrichtig erweist.

 

Eine starre Grenze für überhöhte Krankenstände in Bezug auf deren Häufigkeit und Dauer besteht nicht. Vielmehr ist das Vorliegen auch des in Rede stehenden Rechtfertigungsgrundes nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Dabei sind an den Rechtfertigungsgrund strenge Anforderungen zu stellen.

 

Richtig ist, dass die Krankenstände des Klägers durchwegs ein überdurchschnittliches Ausmaß erreichten und keine eindeutig sinkende Tendenz zeigten. Ebenso trifft zu, dass der letzte und lange Krankenstand im Zeitpunkt der Kündigung noch andauerte. Mit Rücksicht auf die unterschiedlichen Verletzungen und Erkrankungen, die zu den Krankenständen führten und mit denen sich die Beklagte gar nicht beschäftigte, erweist sich die Beurteilung des Berufungsgerichts aber durchaus als vertretbar, dass allein die Dauer und die Häufigkeit der in der Vergangenheit aufgetretenen Krankenstände eine ungünstige Prognose nicht zuließen und auch aus den festgestellten Ursachen der Krankenstände eine ungünstige Zukunftsprognose nicht abgeleitet werden könne, sodass weder subjektiv noch objektiv ausreichende Gründe die Annahme rechtfertigten, dass der Zustand des Klägers auch in Zukunft überhöhte Krankenstände bewirken werde.

 

Aufgrund der vertretbaren Verneinung einer ungünstigen Prognose durch das Berufungsgericht kann ein relevanter Leistungsausfall des Klägers durch zu erwartende Krankenstände (noch) nicht unterstellt werden. Mangels Vorliegens des von der Beklagten ins Treffen geführten Rechtfertigungsgrundes ist eine Interessenabwägung entbehrlich. Dazu ist darauf hinzuweisen, dass auch die Interessenabwägung nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls erfolgen kann und daher regelmäßig ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage zu begründen vermag.