25.10.2011 Wirtschaftsrecht

OGH: § 75 AktG – Widerruf der organschaftlichen Bestellung zum Vorstandsmitglied gem Abs 4 und Auswirkungen auf den Vorstandsvertrag (bei fehlender vertraglicher Vereinbarung)

Der Widerruf der Bestellung zum Vorstandsmitglied bewirkt für sich allein nicht die vorzeitige Auflösung des Anstellungsvertrags des Vorstands; nach der Konzeption des AktG ist im Prinzip das außerordentliche einseitige Lösungsrecht aus wichtigem Grund auch eingeschränkt auf den Vorstandsvertrag, dh losgelöst von einem Weiterbestand der Vorstandsfunktion denkbar; derartige vorzeitige Auflösungserklärungen in Bezug auf den Vorstandsvertrag haben selbst dann Lösungswirkung, wenn ein wichtiger Grund fehlt; eine auf solche Weise unberechtigte Auflösungserklärung löst aber jedenfalls Schadenersatzansprüche aus


Schlagworte: Gesellschaftsrecht, Aktienrecht, Bestellung / Abberufung des Vorstands, wichtiger Grund, Vorstandsvertrag, Schadenersatzrecht, Kündigungsentschädigung
Gesetze:

§ 75 AktG, §§ 1295 ff ABGB

GZ 8 Ob 134/10d, 29.09.2011

 

OGH: Die Organstellung eines Vorstandsmitglieds wird durch den körperschaftsrechtlichen Akt der Bestellung begründet. Sie ist zu unterscheiden von einem neben sie tretenden schuldrechtlichen Rechtsverhältnis zwischen dem Vorstandsmitglied und der Gesellschaft, das von § 75 Abs 4 AktG als Anstellungsvertrag bezeichnet wird. Gem § 75 Abs 4 AktG kann der Aufsichtsrat die organschaftliche Bestellung zum Vorstandsmitglied widerrufen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt; der Widerruf ist wirksam, solange nicht über seine Unwirksamkeit rechtskräftig entschieden ist. Dies bedeutet, dass der Widerruf zunächst nur schwebend wirksam ist. Der Schwebezustand endet, wenn die Abberufungsentscheidung des Aufsichtsrats vom Gericht rechtskräftig als unwirksam festgestellt wird oder die Klage des Abberufenen rechtskräftig abgewiesen wird. Da im konkreten Fall über die vom Kläger eingebrachte Klage auf Unwirksamerklärung des Widerrufs noch nicht entschieden wurde, ist der Widerruf seiner organschaftlichen Bestellung zum Vorstandsmitglied schwebend wirksam.

 

Auch in diesem Zusammenhang ist zwischen der Organstellung und dem zugrunde liegenden schuldrechtlichen Vertragsverhältnis streng zu unterscheiden. Der Widerruf der Organstellung berührt gem § 75 Abs 4 AktG die Ansprüche aus dem Anstellungsvertrag nicht. Unstrittig wurde hier auch keine vertragliche Vereinbarung getroffen, wonach der Vorstandsvertrag ende, wenn eine Abberufung durch den Aufsichtsrat erfolge.

 

Ohne dass es diesbezüglich einer besonderen Vereinbarung bedarf, kann allerdings der Vorstandsvertrag jederzeit von jedem der beiden Vertragsparteien einseitig aus wichtigem Grund pro futuro gelöst werden. Es liegt auf der Hand, dass derartige Gründe so gut wie regelmäßig auch wichtige Gründe für den Widerruf der Bestellung des Vorstandsmitglieds darstellen werden. Dennoch ist nach der Konzeption des AktG im Prinzip dieses außerordentliche einseitige Lösungsrecht auch eingeschränkt auf den Vorstandsvertrag, dh losgelöst von einem Weiterbestand der Vorstandsfunktion denkbar. Derartige vorzeitige Auflösungserklärungen in Bezug auf den Vorstandsvertrag haben selbst dann Lösungswirkung, wenn ein wichtiger Grund fehlt. Eine auf solche Weise unberechtigte Auflösungserklärung löst aber jedenfalls Schadenersatzansprüche aus.

 

Dass der Widerruf der Bestellung zum Vorstandsmitglied für sich allein nach hA nicht die vorzeitige Auflösung des Anstellungsvertrags des Vorstands bewirkt, hat das Berufungsgericht richtig erkannt. Allerdings besteht grundsätzlich die Möglichkeit, dass der Widerruf der Bestellung auch als vorzeitige Erklärung der Auflösung des Vorstandsvertrags aufzufassen ist, sofern nach den dafür anzuwendenden Regeln des ABGB eine diesbezügliche Willenserklärung dem Vorstandsmitglied zugegangen ist, welche dieses redlicherweise als Erklärung der (vorzeitigen) Auflösung des Vorstandsvertrags deuten musste.

 

Das Erstgericht hat unangefochten festgestellt, dass dem Kläger von der Beklagten ausdrücklich mitgeteilt wurde, dass mit dem Wegfall der Vorstandsfunktion auch der damit verbundene Vorstandsvertrag weggefallen sei. Damit ergibt sich jedoch, dass der Aufsichtsrat dem Kläger nicht nur den Widerruf der Bestellung zum Vorstandsmitglied erklärt, sondern ihm - gemeinsam mit dieser Erklärung - auch die Auflösung des Vorstandsvertrags des Klägers mitgeteilt hat.

 

Im Sinne der oben dargestellten Rechtslage hat diese Auflösungserklärung den Vorstandsvertrag des Klägers beendet, und zwar unabhängig davon, ob dafür - was nicht feststeht - ein sie rechtfertigender wichtiger Grund bestand oder nicht. Selbst im Fall einer unberechtigten vorzeitigen Beendigung des Vorstandsvertrags würde dem Kläger iSd dargestellten Rechtslage nur ein Anspruch auf Schadenersatz (Kündigungsentschädigung) zustehen, den er jedoch im vorliegenden Verfahren nicht geltend gemacht hat. Er begehrte vielmehr ausdrücklich die Fortzahlung seiner Entgelte aus dem seiner Ansicht nach weiter bestehenden Vorstandsvertrag. Für diesen Anspruch fehlt es jedoch nach der wirksamen Erklärung der Auflösung des Vorstandsvertrags an einer Grundlage.

 

Ob ein wichtiger Grund vorlag, der die Beklagte berechtigte, den Vorstandsvertrag des Klägers vorzeitig aufzulösen, kann daher im konkreten Fall dahingestellt bleiben. Ebenso bedarf die weitere Frage, ob ein wichtiger Grund vorlag, der die Beklagte zum Widerruf der organschaftlichen Stellung des Klägers als Vorstand berechtigte, keiner weiteren Erörterung, weil auch im Fall einer unberechtigten Abberufung rückwirkend nur Schadenersatzansprüche entstehen könnten, die der Kläger im Verfahren aber nicht geltend gemacht hat.