25.10.2011 Verfahrensrecht

OGH: Manifestationsbegehren gem Art XLII Abs 1 EGZPO eines Noterben

Die Durchsetzung des Anspruchs mittels Manifestationsbegehrens nach dem ersten Fall des Art XLII Abs 1 EGZPO ist nicht davon abhängig, dass der Noterbe eine Gefährdung seiner Pflichtteilsforderung befürchtet; es genügt vielmehr seine subjektiv begründete Besorgnis, dass ihm nicht das ganze Nachlassvermögen bekannt sei; die bloße Verweigerung der Auskunft über ein Vermögen oder sonst passives Verhalten erfüllt den Tatbestand der Verschweigung oder Verheimlichung eines Vermögens iSd zweiten Falls des Art XLII Abs 1 EGZPO nicht


Schlagworte: Manifestationsbegehren, Noterbe, Gefährdung der Pflichtteilsforderung, Besorgnis, Verschweigung oder Verheimlichung eines Vermögens
Gesetze:

Art XLII EGZPO

GZ 2 Ob 186/10g, 29.09.2011

 

Die Kläger stehen auf dem Standpunkt, die Angaben des Erblassers über sein beträchtliches Sparvermögen und sein überdurchschnittlich hohes Pensionseinkommen rechtfertigten die für den ersten Fall des Art XLII Abs 1 EGZPO ausreichende subjektiv begründete Besorgnis, dass ihnen nicht das gesamte Nachlassvermögen bekannt sei. Selbst wenn solches Vermögen zu verneinen wäre, müssten über viele Jahre hinweg erhebliche Überalimentationen seiner zweiten Ehefrau und der gemeinsamen Tochter stattgefunden haben, die wie anrechnungspflichtige Schenkungen zu behandeln seien. Beim zweiten Fall des Art XLII Abs 1 EGZPO sei nicht auf das Wissen der Witwe sondern auf jenes des Verstorbenen abzustellen. Die Witwe sei verpflichtet, sich durch Nachforschungen dessen Wissensstand über das vorhandene Vermögen anzueignen. Soweit sie selbst oder die gemeinsame Tochter Zuwendungen erhalten hätten, seien diese der Witwe jedenfalls bekannt. Die Verschaffung der Möglichkeit der Überprüfung der Rechnungslegung durch Einsicht in Belege sei durch Rsp gedeckt. Es bestehe ein berechtigtes Interesse der Noterben, eigene Nachforschungen bei Kreditinstituten über vorhandenes Sparvermögen anzustellen, weshalb auch dem „Zustimmungsbegehren“ stattzugeben gewesen wäre. Jedenfalls sei aber das auf Feststellung der künftigen Zahlungspflicht gerichtete Eventualbegehren berechtigt, könne doch das Hervorkommen von weiterem Nachlassvermögen oder das Bekanntwerden pflichtteilsrelevanter Zuwendungen nicht ausgeschlossen werden.

 

OGH: Wer nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts ein Vermögen anzugeben verpflichtet ist, oder wer von der Verschweigung oder Verheimlichung eines Vermögens vermutlich Kenntnis hat, ist nach Art XLII Abs 1 EGZPO zur beeideten Angabe des Vermögens oder der Schulden verpflichtet. Der erste Fall schafft keinen eigenen Anspruch auf Angabe eines Vermögens oder von Schulden, sondern setzt vielmehr eine zivilrechtliche Verpflichtung des Beklagten dazu voraus. Im Gegensatz dazu normiert der zweite Fall einen eigenen privatrechtlichen Anspruch auf Angabe eines Vermögens. Für beide Fälle fordert Art XLII Abs 2 EGZPO ein privatrechtliches Interesse des Klägers.

 

Ein gesetzlich verankerter materiell-rechtlicher Auskunftsanspruch des Pflichtteilsberechtigten wird insbesondere aus den §§ 784, 804 ABGB abgeleitet. Er richtet sich gegen die Verlassenschaft bzw (nach Einantwortung) gegen den Erben und umfasst neben dem vorhandenen Nachlassvermögen auch Schenkungen, die der Erblasser zu Lebzeiten getätigt hat. Die Durchsetzung dieses Anspruchs mittels Manifestationsbegehrens nach dem ersten Fall des Art XLII Abs 1 EGZPO ist nicht davon abhängig, dass der Noterbe eine Gefährdung seiner Pflichtteilsforderung befürchtet; es genügt vielmehr seine subjektiv begründete Besorgnis, dass ihm nicht das ganze Nachlassvermögen bekannt sei. Das Begehren ist an keine weitere Voraussetzung gebunden, die Ausübung des Rechts wird nur durch das Schikaneverbot beschränkt.

 

Mag nach diesen Kriterien der Auskunftsanspruch der Kläger hinsichtlich des Nachlassvermögens auch grundsätzlich zu bejahen sein, so muss einem Erfolg des Manifestationsbegehrens insoweit doch die den OGH bindende erstinstanzliche Feststellung entgegen stehen, dass über das von der beklagten Partei bereits bekannt gegebene Nachlassvermögen hinaus tatsächlich keine weiteren Vermögenswerte, insbesondere keine Sparbücher, existieren. Die subjektive Besorgnis der Kläger, ihnen seien Teile des Nachlassvermögens unbekannt, erweist sich aufgrund dieser Feststellung als unbegründet. Sie kann daher nicht mehr Grundlage eines stattgebenden Urteils über das Manifestationsbegehren sein. Dessen Ziel, die Schwierigkeiten bei der Erhebung eines Leistungsbegehrens zu beheben, ist infolge der besagten Feststellung obsolet.

 

Soweit das Manifestationsbegehren auf die Offenlegung „pflichtteilsrelevanter“ Vorempfänge und Schenkungen des Erblassers gerichtet ist, oblag es den Klägern (nur), ihre subjektive Besorgnis, von derartigen Zuwendungen keine Kenntnis zu haben, in der Klage „begründet“ darzulegen. Entsprechendes lässt die Rsp auch bei Anträgen auf Bewilligung der Nachlassseparation iSd § 812 ABGB genügen, weshalb die dazu ergangenen Grundsätze sinngemäß herangezogen werden können. Demnach hätte es zwar nicht der Bescheinigung, wohl aber zumindest der schlüssigen Behauptung konkreter Umstände bedurft, welche die subjektive Besorgnis begründet erscheinen ließen.

 

Das insoweit maßgebliche Vorbringen der Kläger erschöpfte sich in der Behauptung, sie hätten allen Grund zur Besorgnis, dass ihnen „bei weitem“ nicht alle pflichtteilserhöhenden Vorempfänge und Schenkungen bekannt seien. Dass sich aus den Äußerungen des Erblassers konkrete Anhaltspunkte für solche Zuwendungen ergeben hätten, geht aus ihrem Vorbringen (und auch aus den Feststellungen) nicht hervor, zumal der Erblasser noch kurz vor seinem Tod das Vorhandensein von Sparvermögen und die Ausfolgung entsprechender Verzeichnisse an die Erstklägerin angekündigt haben soll. Die Schlussfolgerung, bei Nichtexistenz solcher Sparbücher müssten eben zu Lebzeiten entsprechende Geldzuwendungen an die nunmehrige Witwe und die gemeinsame Tochter erfolgt sein, steht mit diesem Vorbringen im Widerspruch und ist rein theoretischer Natur.

 

Unter diesen Umständen ist aber die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Kläger hätten ihre Besorgnis nicht hinreichend „belegt“ (besser: begründet), nicht zu beanstanden.

 

Voraussetzung für den Anspruch nach dem zweiten Fall des Art XLII Abs 1 EGZPO ist, dass der Beklagte von der Verschweigung oder Verheimlichung des anzugebenden Vermögens vermutlich Kenntnis hat. Dabei ist kein strenger Maßstab anzulegen. Schon der bloße, durch objektive Anhaltspunkte gestützte und vom Kläger zu bescheinigende Verdacht einer entsprechenden Kenntnis reicht aus. Die Verschweigung oder Verheimlichung von Vermögen setzt zwar kein deliktisches, wohl aber ein aktives Verhalten voraus. Gefordert wird ein bewusstes absichtliches Verschweigen oder Verheimlichen und damit eine Tätigkeit, die diesen Erfolg bezweckt. Die bloße Verweigerung der Auskunft über ein Vermögen oder sonst passives Verhalten erfüllt dagegen den Tatbestand nicht.

 

Die Kläger werfen der Witwe (als Vertreterin der beklagten Verlassenschaft) vor, sich an den Ermittlungen nicht bzw nicht ausreichend zu beteiligen, Auskünfte zu verweigern und dadurch Nachlassvermögen und Zuwendungen des Erblassers zu verheimlichen und zu verschleiern. Sie argumentieren auch damit, dass auf das Wissen des Erblassers abzustellen sei, dieser aber nicht mehr reden könne, sodass schon als natürliche Folge seines Todes „Verschweigung“ eingetreten sei. Aktives Tun, von dem die Witwe Kenntnis erlangt haben könnte, wird damit nicht behauptet. Solches geht auch aus den Feststellungen nicht hervor. Aus diesem Grund ist auch der Tatbestand des zweiten Falls des Art XLII Abs 1 EGZPO nicht erfüllt.