OGH: Obsorgeentscheidung gem § 177a ABGB
Neben materiellen Interessen an Versorgung und Unterbringung eines Kindes ist auch das Interesse an möglichst guter Erziehung, sorgfältiger Beaufsichtigung und günstigen Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen seelischen und geistigen Entwicklung zu berücksichtigen; dabei kann auch ein möglicher Betreuungsbeitrag von Großeltern eine Rolle spielen
§ 177a ABGB, § 176 ABGB, § 177 ABGB, § 144 ABGB
GZ 5 Ob 163/11y, 07.10.2011
OGH: Eine Obsorgeentscheidung, für die in erster Linie das Wohl des Kindes maßgeblich ist, ist immer eine zukunftsbezogene Rechtsgestaltung und nur dann sachgerecht, wenn sie auf aktueller Sachverhaltsgrundlage beruht, weshalb nichts dagegen spricht, den beim Vater erwiesenermaßen guten Lebens- und Entwicklungsbedingungen des Kindes den Vorzug zu geben. Neben materiellen Interessen an Versorgung und Unterbringung eines Kindes ist auch das Interesse an möglichst guter Erziehung, sorgfältiger Beaufsichtigung und günstigen Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen seelischen und geistigen Entwicklung zu berücksichtigen. Dabei kann auch ein möglicher Betreuungsbeitrag von Großeltern eine Rolle spielen.
Zu Recht weist die Revisionsrekurswerberin zwar darauf hin, dass durch die vorläufige Obsorgeregelung und Unterbringung des Kindes beim Vater zu ihrem Nachteil ein Faktum geschaffen wurde, was gerade bei vorläufigen Maßnahmen vermieden werden soll, und dass diesfalls der Grundsatz der Kontinuität der Erziehung gesondert zu beurteilen ist und nicht der (ausschließliche) Grund einer Obsorgezuteilung sein kann. Es trifft auch zu, dass für die Annahme, eine Obsorgezuteilung an die Mutter gefährde das Kindeswohl, keine Sachverhaltsgrundlage besteht, sondern letztlich nur eine gewisse Einschränkung der Erziehungsfähigkeit feststeht, der aber wiederum eine erwiesene Bereitschaft, die Hilfe von Einrichtungen des Jugendwohlfahrtsträgers auch tatsächlich in Anspruch zu nehmen, gegenübersteht.
Für die Frage der Obsorgezuteilung nach §§ 167, 177a ABGB ist aber bei Abwägung, bei welchem Elternteil die Gesamtumstände dem Kindeswohl besser entsprechen, die Situation beim einen und beim anderen Elternteil gegenüberzustellen. Nach den festgestellten Lebensumständen der Mutter müsste sie neben einer Tätigkeit zum Gelderwerb unter voller Inanspruchnahme öffentlicher Kinderbetreuungseinrichtungen erst eine Situation schaffen, die die Versorgung eines Dreieinhalbjährigen ermöglicht. Besondere Umstände, die die Situation bei ihr besser erscheinen ließen, etwa eine besonders ausgeprägte emotionale Bindung, sind schon angesichts der Tatsache, dass die Mutter von ihr zustehenden Besuchsrechtsmöglichkeiten nur beschränkt Gebrauch machte, nicht zu erkennen.
Dem steht die sowohl in materieller als auch emotionaler Hinsicht gesicherte Situation beim Vater, der bei Beaufsichtigung und Betreuung des Kleinkindes von seiner Mutter unterstützt wird, gegenüber. Nach den maßgeblichen Feststellungen sind durch die dort gegebenen Lebensumstände jedenfalls wesentlich günstigere Voraussetzungen für die seelische und geistige Entwicklung des Kindes gegeben.
Nach dem allein zu berücksichtigenden Kindeswohl wurde daher der Vater zu Recht mit der Obsorge betraut.