01.11.2011 Zivilrecht

OGH: Rechtswechsel vom MSA zum KSÜ während eines anhängigen Verfahrens – zum zeitlichen Anwendungsbereich des Art 16 Abs 1 KSÜ (kollisionsrechtliche Anknüpfung der elterlichen Verantwortung (Obsorgerechte))

Der österreichische Gesetzgeber schuf mit § 53 Abs 2 IPRG eine Übergangsbestimmung, wonach nach dem Inkrafttreten des KSÜ die elterliche Verantwortung, die das bis zu diesem Zeitpunkt maßgebende Recht kraft Gesetzes einer Person zugewiesen hat, fortbesteht


Schlagworte: Internationales Privatrecht, Familienrecht, Rechtswechsel vom MSA zum KSÜ, kollisionsrechtliche Anknüpfung der elterlichen Verantwortung, Obsorgerechte
Gesetze:

Art 16 KSÜ, MSA, § 53 IPRG

GZ 5 Ob 163/11y, 07.10.2011

 

OGH: Am 1. 4. 2011 ist für Österreich mit BGBl III 2011/49 das „Haager Übereinkommen vom 19. 10. 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern“ (KSÜ) in Kraft getreten. Dessen Regelungen über die internationale Zuständigkeit und das anwendbare Recht sind zufolge Art 53 Abs 1 KSÜ ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens anzuwenden. Das gilt auch für die Kollisionsregel des Art 16 Abs 1 KSÜ. Demnach bestimmt sich die „Zuweisung oder das Erlöschen der elterlichen Verantwortung kraft Gesetzes ohne Einschreiten eines Gerichts oder einer Verwaltungsbehörde nach dem Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes“.

 

Das hat in Österreich eine Änderung der kollisionsrechtlichen Anknüpfung der elterlichen Verantwortung (Obsorgerechte) zur Folge, weil bis dahin die Wirkung des Kindschaftsverhältnisses nach Art 3 des Übereinkommens über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5. 10. 1961 (MSA; BGBl 1975/446) im Regelfall nach dem Heimatrecht des Kindes zu beurteilen war.

 

Für die vorliegende Rechtssache ist die Änderung der kollisionsrechtlichen Anknüpfung insofern von Bedeutung, als bisher nach dem MSA und dem danach anzuwendenden tschechischen Recht beide Elternteile Obsorgeträger waren, nach dem zufolge KSÜ anzuwendenden österreichischen Recht hingegen nur die Mutter ihres unehelichen Kindes Obsorgeberechtigte ist (§ 166 ABGB).

 

Eine Änderung der Verweisungsnorm führt nach herrschender österreichischer Auffassung bei Dauerrechtsverhältnissen dazu, dass diese ab dem Zeitpunkt nach den neuen Regeln anzuknüpfen und nach einem anderen Recht zu beurteilen sind.

 

Da Art 53 KSÜ keine Übergangsregel in Bezug auf das auf die elterliche Verantwortung kraft Gesetzes anzuwendende Recht (Art 16 Abs 1) bietet, wird die Ansicht vertreten, dass insofern eine unvollständige Lücke vorliegt, die vom innerstaatlichen Recht jedes Vertragsstaats zu lösen wäre.

 

Der Ersatz einer Kollisionsnorm durch eine andere, beispielsweise von der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit auf das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts, könnte, wie der vorliegende Fall zeigt, einen gesetzlichen Wechsel des Trägers der elterlichen Verantwortung bewirken.

 

Für ein Kind mit gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich, dessen Heimatrecht wie im gegenständlichen Fall beiden unehelichen Eltern ex lege die Obsorge einräumt, könnte dies zum Ergebnis haben, dass mit einem übergangslosen Inkrafttreten des Art 16 Abs 1 KSÜ ein Obsorgeträger, nämlich der uneheliche Vater, ex lege wegfiele und die Obsorge zufolge § 166 ABGB nur mehr der Mutter zukäme.

 

Um einer solchen Auslegung des Abkommens, die den Grundwertungen und Zielen des Übereinkommens tatsächlich widerspräche zu begegnen, schuf der österreichische Gesetzgeber mit § 53 Abs 2 IPRG (idF BGBl I 2011/21, Art 3) eine Übergangsbestimmung, wonach nach dem Inkrafttreten des KSÜ die elterliche Verantwortung, die das bis zu diesem Zeitpunkt maßgebende Recht kraft Gesetzes einer Person zugewiesen hat, fortbesteht.

 

Für den gegenständlichen Fall wird damit klargestellt, dass das bisher maßgebliche tschechische Recht, nach dem die Obsorge beiden Elternteilen gemeinsam zukommt, insofern weiter anzuwenden ist.

 

Den Bedenken der Revisionsrekurswerberin, dass durch die Bestimmung des § 53 Abs 2 IPRG in die zwischenstaatliche Vereinbarung des KSÜ eingegriffen würde, ist Folgendes zu entgegnen: Wie schon ausgeführt, wollte der Gesetzgeber des § 53 Abs 2 IPRG das Übereinkommen nicht ändern, sondern lediglich eine Klarstellung bewirken, dass sich aus den Wertungen des Übereinkommens ergibt, dass es durch dessen Inkrafttreten jedenfalls nicht zu einem Wegfall eines Obsorgeberechtigten kommen soll.

 

Infolge der dargestellten kollisionsrechtlichen Übergangsregelung ergibt sich eine Fortwirkung der Bestimmungen des tschechischen Familiengesetzes, wonach beide Elternteile Träger der Obsorgeberechtigung waren und sind, sodass es einer Auseinandersetzung mit der vom Rekursgericht aufgeworfenen Frage der Berücksichtigungsmöglichkeit von Rechtsänderungen nicht bedarf. Im Übrigen wären zwingende Rechtsänderungen während des Verfahrens von Amts wegen auch im Rechtsmittelverfahren zu berücksichtigen.