08.11.2011 Wirtschaftsrecht

OGH: Stimmrecht gem § 39 GmbHG – Stimmrechtsabspaltung und Änderung des Stimmgewichts

Eine von der Mitgliedschaft losgelöste Übertragung des Stimmrechts auf einen Dritten oder auf einen Mitgesellschafter ist nach hM unzulässig und unwirksam; das gilt sowohl für einen Vertrag zwischen einem Dritten als auch für eine entsprechende Satzungsklausel; jedem Gesellschafter muss mindestens eine Stimme zustehen; die Stimmgewichte können im Weg der Satzungsänderung mit Zustimmung der Betroffenen neu verteilt werden


Schlagworte: Gesellschaftsrecht, GmbH, Stimmrecht, Geschäftsanteil, Stimmrechtsabspaltung, Änderung des Stimmgewichts
Gesetze:

§ 39 GmbHG, § 79 GmbHG

GZ 6 Ob 202/10i, 13.10.2011

 

Die gegenständliche Satzungsklausel lautet:

 

„Ab dem 1. 2. 2008 gehen 25 % der Gesamtstimmrechte zu Lasten von Herrn [Kläger] bzw dessen Rechtsnachfolger auf Herrn [Nebenintervenient] über, sodass dieser zusammengesetzt aus den 26 % Stimmrechten seines eigenen Geschäftsanteils und den übertragenen 25 % Stimmrechten zu Lasten des Gesellschafters [Kläger] bzw dessen Rechtsnachfolger über Stimmrechte von 51 % in der Generalversammlung verfügt.“

 

OGH: Das Gesetz bindet das Stimmrecht an den Geschäftsanteil (§ 39 Abs 2 Satz 1 iVm § 75 Abs 1 und 2 GmbHG). Das Stimmrecht ist untrennbarer Bestandteil der Mitgliedschaft und sichert dem Gesellschafter die Teilnahme an der gesellschaftsinternen Willensbildung; es steht nur dem Gesellschafter zu.

 

Unter Stimmrechtsabspaltung wird eine von der Mitgliedschaft losgelöste Übertragung des Stimmrechts auf einen Dritten oder auf einen Mitgesellschafter verstanden. Sie ist nach hM unzulässig und unwirksam. Das gilt sowohl für einen Vertrag zwischen einem Dritten als auch für eine entsprechende Satzungsklausel (K. Schmidt in Scholz, Komm z GmbHG10 § 47 Rz 20, auch zur umstrittenen, im Anlassfall nicht wesentlichen Frage, ob Ausnahmen vom Abspaltungsverbot zugelassen werden können).

 

Das Stimmgewicht hängt nach der gesetzlichen Regelung vom Umfang des Geschäftsanteils ab: Je zehn Euro einer übernommenen Stammeinlage gewähren eine Stimme, wobei Bruchteile unter zehn Euro nicht gezählt werden (§ 39 Abs 2 Satz 1 GmbHG). Die Regelung ist dispositiv. Der Gesellschaftsvertrag kann andere Bestimmungen vorsehen; jedem Gesellschafter muss aber mindestens eine Stimme zustehen (§ 39 Abs 2 Satz 2 GmbHG). Die Stimmgewichte können im Weg der Satzungsänderung mit Zustimmung der Betroffenen neu verteilt werden. Die Satzung kann daher ein Mehrstimmrecht, zB durch Erhöhung und/oder Reduzierung des auf die einzelnen Geschäftsanteile entfallenden Stimmgewichts, einführen.

 

Nach herrschender und vom erkennenden Senat geteilter Auffassung kann das Stimmrecht für einen Geschäftsanteil grundsätzlich nur einheitlich ausgeübt werden. Ein ungeteilter Geschäftsanteil gewährt ein ungeteiltes und unteilbares Stimmrecht. Dies gilt auch für einen Geschäftsanteil, der iSd § 39 Abs 2 GmbHG mehrere Stimmen vermittelt. Der Wortlaut des § 39 Abs 2 Satz 1 GmbHG weist nur scheinbar auf eine Stückelung hin und meint in Wahrheit das Stimmgewicht (die Stimmkraft). Auch ein Geschäftsanteil, der nach der Satzung „mehrere Stimmen“ gibt, bleibt grundsätzlich auch hinsichtlich dieser Stimmen ungeteilt. In einer solchen Klausel, die das Stimmgewicht betrifft, ist nicht ohne weiteres eine satzungsmäßige Zulassung gespaltener Stimmabgabe zu erblicken. Wenn das Stimmrecht nur einheitlich ausgeübt werden kann, ist eine uneinheitliche Stimmabgabe als Stimmenthaltung zu werten. Uneinheitliche Stimmabgabe ist es auch, wenn ein Gesellschafter mit einem Teil seiner Stimmen für oder gegen den Beschlussantrag votiert und sich im Übrigen der Stimme enthält.

 

Im zu entscheidenden Fall hatte der Kläger nur einen Geschäftsanteil. Die strittige Klausel der geänderten Satzung ist keine Stimmrechtsabspaltung, weil der Kläger sein Stimmrecht nicht übertragen hat. Mit dem Ausdruck „Stimmrechte“ sind offensichtlich „Stimmen“ gemeint, ist doch mit einem Anteil nur ein Stimmrecht verknüpft. Wenn in der Klausel von „den übertragenen 25 % Stimmrechten zu Lasten [des Klägers]“ und davon die Rede ist, „ab ... gehen 25 % der Gesamtstimmrechte ... über“, so deutet dies vordergründig auf eine nicht mögliche Übertragung von mit dem Geschäftsanteil des Klägers verbundenen Stimmen hin. Eine Auslegung in diese Richtung würde aber den aus der Satzungsbestimmung ohne weiteres ersichtlichen Zweck übergehen, dass der Minderheitsanteil des Nebenintervenienten die einfache Stimmenmehrheit zu Lasten des Klägers vermitteln, also das Gewicht des Stimmrechts des einen erhöht und des anderen reduziert werden soll; konkret: der Nebenintervenient soll im eigenen Namen über 2042 Stimmen statt über nur 1092, der Kläger (und seine Rechtsnachfolger) hingegen nur über 1302 statt über 2352 Stimmen verfügen. Eine solche Auslegung würde auch nicht den systematischen Zusammenhang der Klausel berücksichtigen, die unmittelbar auf die - der gesetzlichen Regelung entsprechende - Satzungsbestimmung über das Gewicht des Stimmrechts eines Gesellschafters folgt. An sie schließt die Bestimmung an: „Darüber hinaus gewähren je EUR 10 einer übernommenen Stammeinlage eine Stimme.“ Die im Syndikatsvertrag vom Kläger bloß für einen Teil der Stimmen erteilte Stimmrechtsvollmacht ist rechtlich nicht möglich und wird in der Satzungsklausel nicht genannt. Die stRsp vertritt schließlich den Grundsatz, dass im Zweifel der Auslegung der Vorzug zu geben ist, die eine wirksame und sinnvolle Anwendung der strittigen Bestimmung ermöglicht. Vor diesem Hintergrund ist die strittige Satzungsbestimmung als zulässige Neuverteilung des Gewichts der Stimmrechte des Klägers (und seiner Rechtsnachfolger) und des Nebenintervenienten auszulegen.

 

Von der gesetzlichen Regelung des Stimmgewichts (§ 39 Abs 2 Satz 1 GmbHG) abweichende Bestimmungen sind notwendige materielle Satzungsbestandteile („echte“ Bestandteile), weil sie in den Gesellschaftsvertrag - gegebenenfalls durch dessen Änderung nach den §§ 49 ff GmbHG - aufgenommen werden müssen (§ 39 Abs 2 Satz 2 GmbHG), und organisationsrechtliche (korporative) Bestimmungen, regeln sie doch die Willensbildung der Gesellschaft auch für künftige Gesellschafter.