VwGH: Persönliche Zustellung an den Bf trotz Zustellungsvollmacht des Rechtsanwalts gem § 9 RAO iVm § 9 ZustG
IdR ist nicht anzunehmen, dass ein durch einen Rechtsanwalt erhobenes Rechtsmittel ohne verlässliche Kenntnis der zu bekämpfenden Entscheidung - dh ohne dass dem Rechtsanwalt die zu bekämpfende Entscheidung iSd § 9 Abs 3 ZustG im Original (und sei es auch nur zum Zweck der Anfertigung einer Kopie für den Handakt) tatsächlich zugekommen wäre - ausgeführt worden wäre
§ 9 ZustG, § 8 RAO
GZ 2008/08/0256, 07.09.2011
Der BF macht geltend, sein Rechtsvertreter habe seine Bevollmächtigung gegenüber der Behörde erster Instanz angezeigt. Der erstinstanzliche Bescheid sei trotz der ausgewiesenen Bevollmächtigung des rechtsfreundlichen Vertreters dem Bf persönlich zugestellt worden. Diese Zustellung an den Bf selbst sei auf Grund der Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts unwirksam geblieben.
VwGH: Der Vertreter des Bf hat sich vor der erstinstanzlichen Behörde auf die ihm erteilte Vollmacht gem § 8 RAO berufen. Eine solche zur umfassenden berufsmäßigen Parteienvertretung erteilte Vollmacht erfasst zweifellos auch eine Zustellvollmacht iSd § 9 des ZustG.
Ist ein Zustellungsbevollmächtigter bestellt, so hat die Behörde, soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, gem § 9 Abs 3 ZustG diesen als Empfänger zu bezeichnen. Geschieht dies nicht, so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt bewirkt, in dem das Schriftstück dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist.
Der Bf hatte, vertreten durch den von ihm bevollmächtigten Rechtsanwalt, die Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides beantragt. Er hat sodann, wiederum vertreten durch den von ihm bevollmächtigten Rechtsanwalt, Berufung gegen diesen Bescheid erhoben und diese inhaltlich begründet. Weder in der Berufung - in der zudem die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gem § 56 Abs 2 AlVG beantragt wurde - noch im weiteren Verwaltungsverfahren wurde vorgebracht, dass der erstinstanzliche Bescheid dem bevollmächtigten Vertreter nicht iSd § 9 Abs 3 ZustG tatsächlich zugekommen wäre. Da sohin die Berufung zweifelsfrei von einem wirksam erlassenen Bescheid ausging und auch die Rechtzeitigkeit der Berufung nicht in Frage stand, konnte die belangte Behörde davon ausgehen, dass der erstinstanzliche Bescheid - ungeachtet der fehlerhaften Bezeichnung des Empfängers - dem Zustellungsbevollmächtigten, der als Vertreter des Bf sowohl die Bescheiderlassung beantragt als auch die Berufung ausgeführt hatte, tatsächlich zugekommen war, zumal auch idR nicht anzunehmen ist, dass ein durch einen Rechtsanwalt erhobenes Rechtsmittel ohne verlässliche Kenntnis der zu bekämpfenden Entscheidung - dh ohne dass dem Rechtsanwalt die zu bekämpfende Entscheidung iSd § 9 Abs 3 ZustG im Original (und sei es auch nur zum Zweck der Anfertigung einer Kopie für den Handakt) tatsächlich zugekommen wäre - ausgeführt worden wäre.
Die belangte Behörde war daher mangels entsprechenden Tatsachenvorbringens nicht gehalten, sich mit der Frage, ob der erstinstanzliche Bescheid dem bevollmächtigten Vertreter tatsächlich zugekommen sei, auseinanderzusetzen (vgl hingegen das hg Erkenntnis vom 28. Juli 2010, 2009/02/0270, zu einem Fall, in dem entsprechendes Vorbringen in der Berufung erhoben worden war und in dem - da sich die dort belangte Behörde mit diesem Umstand nicht auseinandergesetzt hat - der angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben wurde). Insoweit wird die zum ehemaligen § 7 ZustG (vor der Novelle 2004) ergangene Rsp nicht aufrecht erhalten.