21.02.2012 Zivilrecht

OGH: Schneeräumpflicht gem § 93 StVO und Wegehalterhaftung gem § 1319a ABGB – schlüssige Übernahme der Verpflichtung zu Räumungs- und Streumaßnahmen (§ 93 Abs 5 StVO) des Wegehalters

Allein aus der Tatsache, dass ein Wegehalter die gesamte Straße (einschließlich des „Ein-Meter-Streifens“) räumt und streut, muss noch nicht zwingend darauf zu schließen sein, dass er die Anrainerpflichten vertraglich übernommen hat, kann er doch auch (nur) in Wahrnehmung seiner eigenen Pflichten nach § 1319a ABGB tätig sein


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Straßenverkehrsrecht, Anrainer, Schneeräumpflicht, Wegehalterhaftung, schlüssige Übernahme der Verpflichtung des Wegehalters
Gesetze:

§ 93 StVO, § 1319a ABGB, § 863 ABGB

GZ 2 Ob 46/11w [1], 19.01.2012

 

OGH: Gem § 93 Abs 1 StVO haben die Anrainer einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Straße, wenn  weder Gehsteig noch Gehweg vorhanden ist, in der Zeit von 6:00 Uhr bis 22:00 Uhr den Straßenrand entlang ihrer Liegenschaft in der Breite von 1 m zu säubern und zu bestreuen. Gem § 93 Abs 5 StVO kann der gemäß § 93 Abs 1 StVO Verpflichtete seine Verpflichtung - ganz oder teilweise - durch Rechtsgeschäft übertragen, wodurch der durch dieses Rechtsgeschäft Verpflichtete an die Stelle des Eigentümers tritt. Eine derartige Übertragung kann auch schlüssig geschehen. In stRsp wird die schlüssige Übernahme der Verpflichtung zu Räumungs- und Streumaßnahmen durch eine andere (juristische) Person als den Eigentümer des Grundstücks auch dann bejaht, wenn diese Person die dem Eigentümer obliegenden Tätigkeiten über einen längeren Zeitraum hindurch ausgeführt hat.

 

Zum Verhältnis des § 93 Abs 1 StVO zu § 1319a ABGB vertritt der OGH den Standpunkt, dass die Pflichten des Liegenschaftseigentümers nach § 93 StVO nicht unter die Haftungsbeschränkungen des § 1319a ABGB fallen. Die Liegenschaftseigentümer iSd § 93 StVO (Anrainer) haben daher bei Verletzung ihrer Pflichten auch für leichte Fahrlässigkeit einzustehen. Dem Geschädigten kann demnach sowohl ein unter das Haftungsprivileg des § 1319a ABGB fallender Ersatzanspruch gegen den Halter des Wegs als auch ein nicht auf die Schuldform des Vorsatzes und der groben Fahrlässigkeit eingeschränkter Ersatzanspruch gegen den Anrainer zustehen.

 

Ist der Anrainer nicht zugleich Wegehalter, können die nach § 93 Abs 1 StVO wahrzunehmenden Pflichten auch auf diesen übertragen werden. Dies kann insbesondere dann zu Abgrenzungsproblemen führen, wenn die Übertragung durch schlüssige Handlungen des Wegehalters bewirkt worden sein soll. Bei der Prüfung dieser Frage ist - wie generell bei schlüssigen Willenserklärungen - ein strenger Maßstab anzulegen. Für den Empfänger darf kein vernünftiger Grund für Zweifel an einem Rechtsfolgewillen des Erklärenden bestehen. Dabei sind die gesamten Umstände des Einzelfalls zur Beurteilung heranzuziehen. Allein aus der Tatsache, dass ein Wegehalter die gesamte Straße (einschließlich des „Ein-Meter-Streifens“) räumt und streut, muss daher noch nicht zwingend darauf zu schließen sein, dass er die Anrainerpflichten vertraglich übernommen hat, kann er doch auch (nur) in Wahrnehmung seiner eigenen Pflichten nach § 1319a ABGB tätig sein. Allerdings hat die Beurteilung der Konkludenz einer Willenserklärung regelmäßig keine über die besonderen Umstände des Einzelfalls hinausgehende Bedeutung, es sei denn, es läge eine krasse Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen vor.

 

Im vorliegenden Fall ist den Vorinstanzen eine derartige Fehlbeurteilung nicht unterlaufen. Der Klägerin ist wohl zuzugeben, dass der Sachverhalt einige Parallelen zu jenem aufweist, der zu 2 Ob 119/98h iSe Verneinung der konkludenten Übertragung der Anrainerpflichten entschieden wurde. Zweifel an einem Rechtsfolgewillen der Nebenintervenientin hätten nach Ansicht der Klägerin hier va deshalb aufkommen müssen, weil die tatsächliche Betreuung des Brunnerwegs auf einen zeitlich deutlich geringeren Zeitraum als in § 93 Abs 1 StVO vorgesehen beschränkt ist und die Schneeräumung nur über „annähernd“ die gesamte Straßenbreite erfolgt.

 

Als nicht zu vernachlässigendes zusätzliches Sachverhaltselement ist jedoch die der Beklagten erteilte Auskunft „des Magistrats“ der Stadt Graz zu berücksichtigen, wonach sie sich um den Brunnerweg nicht kümmern müsse. Aus dem Gesamtzusammenhang der erstinstanzlichen Feststellungen zu diesem Thema lässt sich erschließen, dass dieser Auskunft eine konkrete Anfrage der - nicht auf der Liegenschaft wohnenden - Beklagten (bzw ihrer Tochter) über die Besorgung des Winterdienstes zugrunde lag. Mag nun die erteilte Auskunft im Hinblick auf § 867 ABGB und die dazu ergangene Rsp für das Zustandekommen einer ausdrücklichen Vereinbarung nach § 93 Abs 5 StVO nicht ausreichend gewesen sein - auf eine solche hat sich die Beklagte ohnedies nicht gestützt -, so ist nicht völlig von der Hand zu weisen, dass im Lichte dieser Erklärung ein redlicher Liegenschaftseigentümer die nachfolgende Räum- und Streutätigkeit der Nebenintervenientin entlang seiner Liegenschaft als von den zuständigen Organen gebilligte Übernahme der ihm obliegenden Anrainerpflichten verstehen konnte.