28.02.2012 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Wochengeldanspruch bei Karenz und Kinderbetreuungsgeldbezug

Nimmt eine Arbeitnehmerin Karenz nach dem MSchG für die im Gesetz vorgesehene Dauer in Anspruch (maximal bis zum Ablauf des 2. Lebensjahres des Kindes), endet der Kinderbetreuungsgeldbezug aber bereits früher und beginnt aufgrund einer neuerlichen Schwangerschaft das Beschäftigungsverbot nach Ende des Kinderbetreuungsgeldbezugs, aber noch während der gesetzlichen Karenz, so hat die Arbeitnehmerin erneut Anspruch auf Wochengeld


Schlagworte: Sozialrecht, Versicherungsfall der Mutterschaft, Wochengeld, Karenz, Kinderbetreuungsgeld
Gesetze:

§ 122 Abs 3 ASVG, § 15 MSchG, § 162 Abs 1 ASVG, KBGG

GZ 10 ObS 178/10i, 01.03.2011

 

Die Klägerin bezog in der Zeit vom 14. 7. 2008 bis 17. 1. 2010 Kinderbetreuungsgeld für ihre am 18. 5. 2008 geborene Tochter. Mit ihrem Arbeitgeber hatte sie eine Karenz bis 17. 1. 2010 vereinbart. Im Hinblick auf ihre neuerliche Schwangerschaft mit dem voraussichtlichen Geburtstermin 28. 3. 2010 und den Beginn der achtwöchigen Schutzfrist mit 31. 1. 2010 gab die Klägerin ihrem Arbeitgeber die Verlängerung ihrer Karenz bis zum 30. 1. 2010 bekannt.

 

Die beklagte GKK lehnte den Antrag der Klägerin auf Zahlung von Wochengeld mit der Begründung ab, dass die Klägerin im Anschluss an den Kinderbetreuungsgeldbezug ihre Beschäftigung wieder aufnehmen hätte müssen. Die Vereinbarung einer Karenz und die Nichtwiederaufnahme der Beschäftigung schließe sie vom Schutzzweck des § 122 Abs 3 ASVG aus.

 

Die Klägerin macht geltend, dass in der Entscheidung 10 ObS 125/08t eine einvernehmliche Karenzierung außerhalb des Karenzurlaubsanspruchszeitraums gem § 15 MSchG zu beurteilen war. Im vorliegenden Fall gehe es jedoch um die Vereinbarung eines Karenzurlaubs innerhalb des zweijährigen Karenzurlaubsanspruchs nach § 15 MSchG. Die Vereinbarung eines Karenzurlaubs nach § 15 MSchG könne aber - ebenso wie ein Mutterschaftsaustritt - nicht zu einer Vorwerfbarkeit gegenüber der Klägerin führen und stelle keine „schädliche“ Auflösungsart iSd § 122 Abs 3 Satz 2 erster Fall ASVG dar.

 

OGH: Der jüngst ergangenen Entscheidung 10 ObS 136/10p vom 30. 11. 2010 lag - ebenfalls wie im hier zu beurteilenden Fall - zu Grunde, dass die Klägerin den ihr vom Gesetz (§ 15 MSchG) eingeräumten zweijährigen Karenzurlaub in Anspruch genommen hat. In dieser Entscheidung wurde mit ausführlicher Begründung dargelegt, dass die Vereinbarung eines Karenzurlaubs nach § 15 MSchG - ebenso wie ein Mutterschaftsaustritt - keine „schädliche“ Auflösungsart iSd § 122 Abs 3 Satz 2 erster Fall ASVG bzw keine vergleichbare Konstellation iSd § 122 Abs 3 Satz 2 zweiter Fall ASVG darstellt. Es wurde ausgeführt, dass der Gesetzgeber in § 122 Abs 3 Satz 2 ASVG zwei verschiedene Fälle geregelt habe. Im ersten Fall falle die Ausdehnung des Versicherungsschutzes weg, wenn das Arbeitsverhältnis, das die Pflichtversicherung begründet hatte, auf bestimmte Art beendet werde. Das Gemeinsame der genannten „schädlichen“ Auflösungsarten liege darin, dass die Auflösung der Arbeitnehmerin zuzurechnen sei (unberechtigter vorzeitiger Austritt, verschuldete Entlassung, Kündigung durch die Arbeitnehmerin) oder sie durch Herstellung des Einvernehmens mit dem Arbeitgeber über die Auflösung daran mitwirke. Umgekehrt bleibe die Anspruchsberechtigung bei einer nicht der Versicherten zuzurechnenden Auflösung des die Pflichtversicherung begründenden Arbeitsverhältnisses aufrecht. Im zweiten Fall des § 122 Abs 3 Satz 2 ASVG werde die Beschäftigung „aus einem dieser Gründe“ nicht wieder aufgenommen. Diese Wortfolge sei iSv Fällen zu interpretieren, in denen das Arbeitsverhältnis zwar nicht aufgelöst, aber eine insoweit vergleichbare Konstellation vorliege, also aufgrund eines der Versicherten zuzurechnenden Verhaltens der an sich ausnahmsweise gegebene Leistungsanspruch doch wieder wegfalle. Der Gesetzgeber bringe zum Ausdruck, dass der Anspruch auf Versicherungsschutz nicht durch jegliche Karenzierung, sondern nur durch Karenzierungen, die eines gesetzlich anerkannten Grundes entbehren, verloren gehe. Nach der Absicht des Gesetzgebers dürfe eine Arbeitnehmerin, um ihren Wochengeldanspruch für eine nachfolgende Geburt zu erhalten, das Arbeitsverhältnis nicht aus einem der „schädlichen“ Gründe beenden und müsse ihre vorherige Beschäftigung unmittelbar nach Ablauf der Karenz nach § 15 MSchG wieder aufnehmen. Eine Karenz im Rahmen des § 15 MSchG stelle aber jedenfalls einen rechtlich anerkannten Grund für das Aussetzen der Hauptleistungsverpflichtung innerhalb eines Arbeitsverhältnisses dar, weshalb eine iSd § 15 MSchG karenzierte Arbeitnehmerin ihren Anspruch auf Wochengeld nicht verlieren solle.

 

Diese Ausführungen treffen auf den vorliegenden Fall zu:

 

Auch im vorliegenden Fall hat die Klägerin bei der Bekanntgabe der Verlängerung ihres Karenzurlaubs lediglich den ihr vom Gesetz (§ 15 MSchG) eingeräumten zweijährigen Karenzurlaub in Anspruch genommen. Für die Karenzierung nach dem 17. 1. 2010 lag demnach ein gesetzlich anerkannter Grund vor. Die Vereinbarung bzw Bekanntgabe dieses Karenzurlaubs nach § 15 MSchG stellt demnach keine „schädliche“ Auflösungsart iSd § 122 Abs 3 Satz 2 erster Fall ASVG bzw keine vergleichbare Konstellation iSd § 122 Abs 3 Satz 2 zweiter Fall ASVG dar. Dass die Klägerin wegen Inanspruchnahme ihres gesetzlichen Karenzurlaubsanspruchs ihre vorherige Beschäftigung nicht wieder aufgenommen hat, verwirklicht daher keinen Fall des § 122 Abs 3 Satz 2 erster Fall ASVG bzw keine vergleichbare Konstellation.

 

Aufgrund dieser Erwägungen steht der Klägerin ein Wochengeldanspruch aus dem bei ihr neuerlich eingetretenen Versicherungsfall der Mutterschaft zu.