30.04.2012 Zivilrecht

OGH: Zur Frage, ob eine Doppelversicherung iSd § 59 VersVG einen Einfluss auf den Entschädigungsanspruch des Versicherungsnehmers gegen seinen Versicherer bei Unterversicherung (§ 56 VersVG) hat

Besteht im betreffenden Vertrag Unterversicherung, ist die Proportionalitätsregel des § 56 VersVG ungeachtet der Existenz der anderen Versicherungsverträge anzuwenden; das bedeutet, dass sich die proportionale Minderung der Entschädigungspflicht des jeweiligen Versicherers ausschließlich aus dem Verhältnis der Versicherungssumme des ihn betreffenden Vertrags zum Versicherungswert ergibt; § 56 VersVG ist also unverändert anwendbar, sodass nach dieser Norm dieselbe Leistungspflicht für jeden einzelnen Versicherer dem Versicherungsnehmer gegenüber bei Doppelversicherung besteht wie im Fall der Alleinversicherung durch einen einzigen Versicherer


Schlagworte: Versicherungsrecht, Doppelversicherung, Unterversicherung
Gesetze:

§ 59 VersVG, § 56 VersVG, § 890 ABGB

GZ 7 Ob 9/12t, 27.02.2012

 

OGH: Die in § 59 Abs 1 VersVG definierte Doppelversicherung ist ein Sonderfall einer Neben- bzw Mehrfachversicherung nach § 58 VersVG. Eine Doppelversicherung setzt voraus, dass dasselbe Interesse gegen dieselbe Gefahr bei zwei Versicherern versichert ist. Ein zusätzlich erforderliches Merkmal ist, dass entweder (erste Alternative) die Summe der Versicherungssummen den Versicherungswert übersteigt oder (zweite Alternative) dass die Summe der von den Versicherern zu zahlenden Entschädigungen aus anderen Gründen den Gesamtschaden übersteigt.

 

Die Versicherer haften dem Versicherungsnehmer bei der Doppelversicherung iSd § 890 ABGB zur gesamten Hand jeweils nach Maßgabe des Vertrags. Der Versicherungsnehmer kann also von jedem der Versicherer (ganz oder teilweise) die Entschädigung fordern, die ihm nach dem Vertrag gebührt. Jeder Versicherer ist daher genau in jenem Umfang zur Leistung verpflichtet, in dem er es auch ohne Doppelversicherung wäre. § 59 Abs 1 VersVG begrenzt den Anspruch allerdings insoweit, als der Versicherungsnehmer keinen höheren Anspruch hat, als der Betrag des Schadens insgesamt ausmacht. Um die subjektive Gefahr der bewussten oder unbewussten Herbeiführung des Versicherungsfalls zurückzudrängen, die mit der Doppelversicherung unter Aussicht auf eine doppelte Entschädigung verbunden ist, hat der Gesetzgeber die Entschädigung auf den Betrag des Schadens begrenzt.

 

Eine Doppelversicherung eines Interesses gegen dieselbe Gefahr iSd § 59 Abs 1 VersVG liegt auch vor, wenn eine Einzel- und eine Inbegriffsversicherung (§ 54 VersVG) oder zwei Inbegriffsversicherungen zusammentreffen und die betroffene Sache jeweils Teil des versicherten Inbegriffs ist. Dieselbe Gefahr besteht auch dann, wenn in den einzelnen Verträgen mehrere Gefahrenkombinationen erfasst sind und die konkrete Gefahr, die zum Versicherungsfall geführt hat, in den jeweiligen Verträgen gedeckt ist.

 

Unstrittig ist, dass die konkrete Gefahr, die zum Versicherungsfall führte (Überschwemmung), sowohl im Versicherungsvertrag zwischen den Parteien als auch zwischen der Klägerin und der G***** Versicherung AG gedeckt ist. In beiden Versicherungsverträgen besteht zumindest teilweise Identität des versicherten Interesses (Schutz vor Schäden am Gebäude) und der versicherten Gefahr (Überschwemmung).

 

Zutreffend haben die Vorinstanzen dargelegt, dass die erste Alternative des § 59 Abs 1 VersVG (Versicherungssummen übersteigen zusammen den Versicherungswert) nicht verwirklicht ist. Versicherungswert ist (unstrittig) der Neubauwert des versicherten Wohnhauses der Klägerin von 451.810 EUR. Im zwischen der Klägerin und der G***** Versicherung AG abgeschlossenen Versicherungsvertrag wurden zusätzlich Schäden, verursacht durch Überschwemmung und Hochwasser, versichert und diesbezüglich die Gesamtentschädigungsleistung mit 7.500 EUR auf erstes Risiko pro Schadenfall begrenzt. Bei dieser Vereinbarung handelt es sich um eine Erstrisikoversicherung. Darin verpflichtet sich der Versicherer, einen Schaden im Rahmen der Versicherungssumme jedenfalls zu ersetzen, ohne dass das allfällige Vorliegen einer Unterversicherung geprüft würde. Bei einer Versicherung auf erstes Risiko entschädigt der Versicherer jeden Schaden bis zur Höhe der Versicherungssumme voll. Die Proportionalitätsregel des § 56 VersVG wird ausgeschaltet. Der Versicherer trägt hier bis zur Höhe der Versicherungssumme das „erste Risiko“ ohne Rücksicht auf den Versicherungswert. Soweit der Schaden die Versicherungssumme übersteigt, hat ihn der Versicherungsnehmer zu übernehmen; er trägt das „zweite Risiko“ selbst. Die Versicherungssumme der im vorliegenden Fall vereinbarten Erstrisikoversicherung von 7.500 EUR zusammen mit der Versicherungssumme des zwischen den Parteien abgeschlossenen Versicherungsvertrags von 177.912 EUR übersteigt nicht den Versicherungswert von 451.810 EUR.

 

Nach der zweiten Alternative des § 59 Abs 1 VersVG liegt eine Doppelversicherung vor, wenn die Summe der Entschädigungen, die von jedem einzelnen Versicherer ohne Bestehen der anderen Versicherung zu zahlen wären, den Betrag des gesamten Schadens übersteigt. Das Merkmal „aus anderen Gründen“ dient der Kennzeichnung dieser Alternative als Auffangtatbestand. Ob die Summe der Entschädigungen den Gesamtschaden übersteigt, kann erst regelmäßig beim Versicherungsfall auf Grund der dann vorliegenden Rechtsverhältnisse festgestellt werden; insoweit kann das Vorliegen einer Doppelversicherung erst im Zeitpunkt des Versicherungsfalls beurteilt werden. Unter die zweite Alternative fällt - neben einer Mehrheit von Haftpflichtversicherungen - auch das Zusammentreffen einer Erstrisikoversicherung mit einer weiteren Erstrisikoversicherung oder - wie hier - mit einer „normalen“ Versicherung. In diesen Fällen kann die Entschädigung, die nach den „mehreren“ Versicherungsverträgen zu zahlen wäre, höher sein als der Gesamtschaden, weil der Versicherer bei der Erstrisikoversicherung bis zur Versicherungssumme zahlt, egal ob Unterversicherung vorliegt oder nicht.

 

Zunächst muss festgestellt werden, welche Entschädigung jeder einzelne Versicherer in diesem Versicherungsfall vertragsgemäß zu zahlen hätte, wenn keine zweite Versicherung vorläge. Handelt es sich bei einem oder mehreren der beteiligten Verträge um eine Unterversicherung, so kann der Versicherungsnehmer gegenüber dem jeweiligen Versicherer - sofern die Versicherung nicht auf erstes Risiko genommen wurde - nur den nach § 56 VersVG geminderten Betrag begehren. Auch eine vereinbarte Selbstbeteiligung des Versicherungsnehmers (Selbstbehalt) ist zu berücksichtigen.

 

Ist die Versicherungssumme (177.912 EUR) - wie im Fall der zwischen den Parteien abgeschlossenen Gebäudeversicherung - niedriger als der Versicherungswert (451.810 EUR) zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalls (Unterversicherung), so haftet der Versicherer gem § 56 VersVG für den Schaden nur nach dem Verhältnis der Versicherungssumme zu diesem Wert. Gemäß dieser Bestimmung erfolgt die Berechnung der Versicherungsleistung nach der Formel: Entschädigung = Versicherungssumme x Schaden, dividiert durch den Versicherungs-(Ersatz-)Wert. Zutreffend hat das Berufungsgericht die von der Beklagten geschuldete Versicherungsleistung entsprechend dieser Formel unter Berücksichtigung des Selbstbehalts mit 26.381,20 EUR errechnet. Zählt man zu diesem Betrag die Entschädigung der G***** Versicherung AG von 7.500 EUR dazu, zeigt sich, dass damit der Gesamtschaden von 66.703 EUR nicht erreicht wird, sodass auch die zweite Variante des § 59 Abs 1 VersVG nicht erfüllt ist.

 

Die Klägerin vertritt - den Ausführungen in der Entscheidung 7 Ob 67/02g zu § 59 Abs 1 erster Fall VersVG folgend - die Ansicht, bei einer Mehrfachversicherung bestehe in Bezug auf den Versicherungsvertrag mit der Beklagten für eine Kürzung nach der Proportionalitätsregel kein Anlass. Die weiters zitierte Literaturstelle sowie die Entscheidung 7 Ob 10/90 sind jedoch kein Beleg für ihre Rechtsansicht. 7 Ob 10/90 beschäftigt sich lediglich mit dem internen Regress von Doppelversicherern, nicht jedoch mit dem Verhältnis zwischen Doppel- und Unterversicherung.

 

In der Entscheidung 7 Ob 67/02g sprach der OGH folgendes aus: Ist ein Interesse in mehreren Versicherungsverträgen versichert und übersteigen die Versicherungssummen insgesamt - anders als hier - den Versicherungswert (§ 59 Abs 1 erster Fall VersVG), so ist der Anspruch des Versicherungsnehmers aus einem dieser Verträge nicht proportional wegen Unterversicherung zu kürzen, auch wenn bei diesem Einzelvertrag die Versicherungssumme unter dem Versicherungswert liegt. Diese Auffassung beruht auf dem (in der Entscheidung nicht näher ausgeführten) Rechtsgedanken, die Kürzung der Haftung des zahlenden „Unterversicherers“ nicht schon im Außenverhältnis zum Versicherungsnehmer, sondern erst im Innenverhältnis zu den übrigen Versicherern zu verwirklichen. Zunächst sind die Versicherungssummen der übrigen Versicherungsverträge bei der Anwendung des § 56 VersVG zu berücksichtigen, wodurch es bei einer solchen Doppelversicherung zu keiner Kürzung des Entschädigungsanspruchs des Versicherungsnehmers kommt. Die proportionale Kürzung der Haftung des „Unterversicherers“ erfolgt auf „zweiter Ebene“ über den Regressanspruch im Innenverhältnis zu den übrigen Versicherern. Die Reduktion der Haftung wird dadurch erzielt, dass sich dessen Regressanspruch (§ 59 Abs 2 VersVG) erhöht.

 

§ 59 Abs 1 VersVG aE bestimmt aber, „dass dem Versicherungsnehmer jeder Versicherer für den Betrag haftet, dessen Zahlung ihm nach seinem Vertrag obliegt“. Die hL und auch die Rsp führen dazu aus, dass für die Ermittlung der Entschädigung, die jeder einzelne Versicherer dem Versicherungsnehmer zu leisten hat, jeder Vertrag für sich isoliert beurteilt wird. Besteht daher im betreffenden Vertrag Unterversicherung, ist die Proportionalitätsregel des § 56 VersVG ungeachtet der Existenz der anderen Versicherungsverträge anzuwenden. Das bedeutet, dass sich die proportionale Minderung der Entschädigungspflicht des jeweiligen Versicherers ausschließlich aus dem Verhältnis der Versicherungssumme des ihn betreffenden Vertrags zum Versicherungswert ergibt. § 56 VersVG ist also unverändert anwendbar, sodass nach dieser Norm dieselbe Leistungspflicht für jeden einzelnen Versicherer dem Versicherungsnehmer gegenüber bei Doppelversicherung besteht wie im Fall der Alleinversicherung durch einen einzigen Versicherer. Zutreffend zeigt Rubin auf, dass diese Lösung nicht nur dem Wortlaut des § 59 Abs 1 VersVG wie auch dem historischen Willen des Gesetzgebers entspricht, sondern sowohl teleologische (Schlechterstellung des Versicherers bei einem Regressanspruch gegenüber der unmittelbaren Minderung des Entschädigungsanspruchs des Versicherungsnehmers) als auch systematische (bei „schlichter“ - den Versicherungswert nicht übersteigender - Mehrfachversicherung müsste § 59 Abs 2 VersVG ohne planwidrige Gesetzeslücke analog angewendet werden) Argumente dafür sprechen.

 

Auf Grund dieser überzeugenden Ausführungen wird die vorstehend genannte (im Übrigen vereinzelt gebliebene) in 7 Ob 67/02g vertretene Rechtsansicht nicht aufrecht gehalten.

 

Wenn die Klägerin damit argumentiert, dass sie der Beklagten mehrere Jahre hindurch Versicherungsprämien gezahlt habe, dann aber ein Drittel der Sanierungskosten selbst zu tragen habe, übersieht sie, dass sich die von ihr bezahlte Prämie regelmäßig als Bruchteil der Versicherungssumme (177.912 EUR) bemisst. Der Versicherungswert (hier: 451.810 EUR) findet hingegen aus Gründen der Vereinfachung der Prämienkalkulation grundsätzlich keine Berücksichtigung. Dessen ungeachtet hat er dennoch Einfluss auf das versicherte Risiko. Denn unabhängig von der Versicherungssumme führt ein größerer Versicherungswert grundsätzlich auch zu einer Erhöhung des versicherten Risikos. Typischerweise treten Teilschäden häufiger als Folgeschäden auf. Ebenso sind im Verhältnis zum Sachwert niedrigere Teilschäden wahrscheinlicher als höhere. Dieses mit dem Steigen des Versicherungswerts einhergehende Wachsen des Risikos ist somit von der Höhe der Versicherungssumme unabhängig. Daher bleibt diese Risikoerhöhung bei der Prämienbemessung im Regelfall unberücksichtigt. Dadurch erscheint im Fall der Unterversicherung die Prämie im Verhältnis zum versicherten Risiko als zu gering bemessen. Ratio des § 56 VersVG ist es, im Fall eines Teilschadens diese Äquivalenzstörung auszugleichen.

 

Der von der Beklagten erhobene Einwand der Unterversicherung widerspricht auch nicht Treu und Glauben. Der Klägerin ist der Beweis nicht gelungen, dass die Beklagte ihr oder ihrem Vertreter vor Vertragsabschluss durch Nennung einer Versicherungssumme in bestimmter Höhe einen ausreichenden Versicherungsschutz gegen Hochwasserschäden zusagte. Dass eine Doppelversicherung „extensiv ausgelegt“ werden und „letzten Endes positive Auswirkungen“ auf den Versicherungsnehmer haben soll, trifft im Fall der Unterversicherung nicht zu.