07.05.2012 Zivilrecht

OGH: Zur Verkehrssicherungspflicht

Umfang und Intensität von Verkehrssicherungspflichten richten sich va danach, in welchem Maß die Verkehrsteilnehmer selbst vorhandene Gefahren erkennen und ihnen begegnen können


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Verkehrssicherungspflicht
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB

GZ 4 Ob 12/12m, 27.03.2012

 

OGH: Die allgemeine Verkehrssicherungspflicht verlangt Sicherungsmaßnahmen zum Schutz aller Personen, deren Rechtsgüter durch die Schaffung einer Gefahrenlage verletzt werden können. Das bezieht sich auch auf Gefahren, die erst durch den unerlaubten und vorsätzlichen Eingriff eines Dritten entstehen. Voraussetzung ist allerdings immer, dass die Möglichkeit der Verletzung von Rechtsgütern Dritter bei objektiver sachkundiger Betrachtung zu erkennen ist (RIS-Justiz RS0023801; vgl auch RS0030035, wonach ein Hauseigentümer alle Vorkehrungen treffen muss, die „vernünftigerweise nach den Umständen von ihm erwartet werden können“).

 

Die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht dürfen nicht überspannt werden, soll sie keine in Wahrheit vom Verschulden unabhängige Haftung des Sicherungspflichtigen zur Folge haben. Umfang und Intensität von Verkehrssicherungspflichten richten sich dabei va danach, in welchem Maß die Verkehrsteilnehmer selbst vorhandene Gefahren erkennen und ihnen begegnen können. Der konkrete Inhalt einer Verkehrssicherungspflicht kann immer nur von Fall zu Fall bestimmt werden. Gleiches gilt für das Maß der Zumutbarkeit geeigneter Vorkehrungen gegen einen Schadenseintritt.

 

In der Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe nicht damit rechnen müssen, eine 118 kg schwere Person werde trotz Verbots mehrere Klimmzüge am Vordach ihres Standes ausführen, liegt keine unvertretbare, im Interesse der Rechtssicherheit wahrzunehmende Verkennung der Rechtslage, die ungeachtet der Kasuistik des Einzelfalls die Zulässigkeit der Revision begründen könnte. Eine Konstruktion wie im Anlassfall darf zwar nicht bei jeder geringfügigen Belastung nachgeben und muss etwa auch bei Wind oder Schnee sicher halten; führt aber der Besucher eines Weinlesefestes trotz ausgesprochenem Verbots am Vordach mehrere Klimmzüge aus, ist dies kein für den Standinhaber naheliegendes Verhalten eines Besuchers, gegen das er ohne besonderen Anlass Vorkehrungen treffen müsste.

 

Die in der Revision angeführte Entscheidung 1 Ob 16/98d (ein Wehrdiener lehnte sich während des Wachdienstes an einem Schranken mit beschädigter Auflage an und kam dabei zu Sturz) ist nicht einschlägig, weil das Anlehnen an einem Schlagbaum nichts Ungewöhnliches ist. Auch in der Entscheidung 4 Ob 280/00f (widmungswidrige Nutzung der Querstange eines erkennbar nicht im Boden verankerten Fußballtors durch den Kläger als Reckstange) wurde ausgesprochen, dass Voraussetzung einer Haftung wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten immer ist, dass die Möglichkeit der Verletzung von Rechtsgütern Dritter bei objektiver sachkundiger Betrachtung zu erkennen ist; solches wurde auch dort verneint.