04.07.2016 Wirtschaftsrecht

OGH: „Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis“ iSd § 8 Abs 1 VerG

Unklare oder eine mehrfache Deutung zulassende Bestimmungen in Vereinsstatuten sind dahin auszulegen, dass sie den Erfordernissen des § 8 VerG entsprechen; dies gilt nicht nur für Statuten, die nach dem Inkrafttreten des VerG 2002 neu gefasst wurden und mangelhaft formuliert sind, sondern auch für ältere Statuten, deren Mängel sich aus einer unterlassenen Anpassung an die neue Gesetzeslage ergeben, sofern sie überhaupt eine Schlichtungseinrichtung vorsehen


Schlagworte: Vereinsrecht, Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis, Streitschlichtung, Schlichtungseinrichtung, Zulässigkeit des Rechtswegs, unklare Vereinsstatuten
Gesetze:

 

§ 8 VerG, § 42 JN

 

GZ 5 Ob 251/15w, 18.05.2016

 

OGH: § 8 Abs 1 VerG normiert, dass die Statuten eines Vereins für die Austragung von Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis eine Schlichtungseinrichtung vorzusehen haben. Sofern es zu keiner früheren Beendigung des Schlichtungsverfahrens kommt, steht der ordentliche Rechtsweg sechs Monate ab Anrufung der Schlichtungseinrichtung offen.

 

Die Nichteinhaltung des vereinsinternen Instanzenzugs bei Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis begründet nach nunmehr hRsp (vorläufig/befristet/temporär) Unzulässigkeit des Rechtswegs und ist daher vom Gericht auch ohne entsprechenden Einwand der Parteien von Amts wegen zu prüfen und aufzugreifen. Für die Prüfung der Zulässigkeit des Rechtswegs ist nach allgemeinen Grundsätzen in erster Linie der Wortlaut des Klagebegehrens und darüber hinaus der Klagesachverhalt (die Klagebehauptungen) maßgebend.

 

„Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis“ iSd § 8 Abs 1 VerG sind nach der Rsp des OGH grundsätzlich alle privatrechtlichen Streitigkeiten zwischen Vereinsmitgliedern und dem Verein oder Vereinsmitgliedern untereinander, sofern diese mit dem Vereinsverhältnis im Zusammenhang stehen. Zu prüfen ist daher, ob sich der Anspruch auf die Verletzung von Pflichten aus dem Vereinsverhältnis stützt, die Mitgliedschaft im Verein daher denknotwendige Voraussetzung für das Bestehen des Anspruchs ist, oder ob ein vom Vereinsverhältnis unabhängiger Anspruch geltend gemacht wird, der in gleicher Weise auch von einem Nichtmitglied erhoben werden könnte. Dass die Mitgliedschaft während des Streits aufrecht ist, bildet keine Voraussetzung für das Schlichtungsverfahren. Unter den Begriff „Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis“ fallen daher insbesondere auch Streitigkeiten zwischen dem Verein und (ehemaligen) Vereinsmitgliedern, soweit sie sich aus deren Mitgliedschaft im oder deren Tätigkeit für den Verein herleiten. Die Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs gegenüber dem Beklagten, der sich auf dessen angebliches Fehlverhalten in seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender des Vereins stützt, ist ein solcher Rechtsstreit.

 

Voraussetzung für die Anrufung der ordentlichen Gerichte ist hier daher die Ausschöpfung des in der Vereinssatzung vorgesehenen Instanzenzugs. Diese verpflichtende Anrufung der Streitschlichtungseinrichtung käme nur dann nicht zum Tragen, wenn nach den Statuten für eine bestimmte Rechtsstreitigkeit eine solche Schlichtungseinrichtung (noch) nicht besteht. Nach dem mit „Schiedsgericht“ übertitelten § 14 der vorgelegten Statuten des Klägers entscheidet „in allen Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis, sowohl zwischen dem Vorstande und den einzelnen Mitgliedern als auch zwischen dem Vorstande und den einzelnen Mitgliedern untereinander“, das Schiedsgericht. Der OGH hat bereits mehrfach ausgeführt, dass eine Regelung in Vereinsstatuten, wonach das Vereinsschiedsgericht „für die Entscheidung über Streitfälle, die sich aus dem Vereinsverhältnis ergeben“ zuständig ist, nur in dem vom Gesetzgeber gedachten Sinn einer umfassenden Zuständigkeit verstanden werden könne, die für alle privatrechtlichen Streitigkeiten zwischen Vereinsmitgliedern und dem Verein oder Vereinsmitgliedern untereinander gilt, sofern diese mit dem Vereinsverhältnis im Zusammenhang stehen. Eine Einschränkung der Zuständigkeit der Streitschlichtungsstelle auf bestimmte Vereinsangelegenheiten ist nicht (mehr) zulässig. Unklare oder eine mehrfache Deutung zulassende Bestimmungen in Vereinsstatuten sind dahin auszulegen, dass sie den Erfordernissen des § 8 VerG entsprechen. Dies gilt nicht nur für Statuten, die nach dem Inkrafttreten des VerG 2002 neu gefasst wurden und mangelhaft formuliert sind, sondern auch für ältere Statuten, deren Mängel sich aus einer unterlassenen Anpassung an die neue Gesetzeslage ergeben, sofern sie - wie im vorliegenden Fall - überhaupt eine Schlichtungseinrichtung vorsehen. Die der Bezugnahme auf „Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis“ nachfolgende Aufzählung in § 14 der Satzung des Klägers ist daher lediglich als demonstrativ zu verstehen. Diese Bestimmung umfasst daher auch Streitigkeiten zwischen dem Verein einerseits und Vorstandsmitgliedern oder sonstigen Vereinsmitgliedern andererseits. Der Kläger brachte in der Klage in diesem Sinne selbst vor, dass „für die gemäß § 8 VerG primär vor einer Schlichtungseinrichtung auszutragenden Streitigkeiten“ in den Vereinsstatuten ein Schiedsgericht vorgesehen sei.

 

Die Prüfung der Rechtswegzulässigkeit durch das Gericht erfolgt aufgrund der Angaben des Klägers in der Klage. Der Kläger hat daher konkrete Tatsachen zu behaupten, aus denen sich ergibt, dass der „Rechtsweg“ in dieser Streitsache bereits offen ist. Der Kläger brachte in der Klage in diesem Zusammenhang (nur) vor, dass die Vertragsteile, im Hinblick darauf, dass die Schiedsrichter aus dem Kreis der Vereinsmitglieder zu bestellen und durch die Schädigung alle Vereinsmitglieder befangen wären, eine Vereinbarung geschlossen hätten, wonach sogleich die ordentlichen Gerichte für die gegenständliche Streitsache zuständig seien. Sie hätten auf den Einwand der Unzulässigkeit des Rechtswegs verzichtet. Nach der Rsp kann zwar auf die Geltendmachung einer Schiedsgerichtsvereinbarung verzichtet werden; die Vereinbarung kann auch jederzeit ausdrücklich oder stillschweigend wieder aufgehoben werden. Allerdings begründet eine Schiedsgerichtsvereinbarung nach stRsp nicht die Unzulässigkeit des Rechtswegs, sondern die (heilbare) Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts. Die Unzulässigkeit des Rechtswegs ist hingegen nicht heilbar und sie unterliegt auch nicht der Disposition der Parteien. Insbesondere unterliegt es nicht der Parteidisposition, ob ein Schlichtungsverfahren durchgeführt wird. Das widerspräche dem mit § 8 Abs 1 VerG angestrebten Zweck der Gerichtsentlastung.

 

In besonderen Ausnahmefällen sind die ordentlichen Gerichte auch ohne vorherige Ausschöpfung des vereinsinternen Instanzenzuges zur Entscheidung über die Streitigkeit aus dem Vereinsverhältnis wegen Unzumutbarkeit der Anrufung der vereinsinternen Instanz berufen, etwa wegen eklatanten Verstoßes gegen die - aufgrund der verstärkten Grundrechtsbindung bei der Satzung von Vereinsstatuten - anzuwendenden Grundsätze des fair trial des Art 6 EMRK. Diese Judikatur fand durch die Schaffung des § 8 Abs 2 VerG 2002 Eingang in das Gesetz, der nunmehr ausdrücklich regelt, dass die Statuten eines Vereins die Zusammensetzung und die Art der Bestellung der Mitglieder der Schlichtungseinrichtung unter Bedachtnahme auf deren Unbefangenheit zu regeln haben. Die Anrufung der vereinsinternen Schlichtungseinrichtung war dem Kläger hier aber - beurteilt nach den Klagsbehauptungen - nicht unzumutbar. Die Vereinsstatuten sehen die Benennung jeweils eines Vereinsmitglieds durch jede „Streitpartei“ vor, die wiederum ein weiteres Vereinsmitglied zum Vorsitzenden zu wählen haben. Damit ist jedenfalls keine Verletzung der Äquidistanz der Schlichtungseinrichtung zu beiden Streitteilen gegeben, welche die Anrufung iSd dargestellten Rsp als nicht erforderlich erscheinen ließe. Die Tatsache, dass das Schiedsgericht des Vereins lediglich mit Mitgliedern zu beschicken ist, ist unbedenklich. Auch die Behauptung des Klägers, die nach den Statuten aus dem Kreis der Vereinsmitglieder zu bestellenden Schiedsrichter wären infolge Schädigung eines jedes einzelnen Vereinsmitglieds befangen, ist nicht stichhältig und macht eine Anrufung dieser Schlichtungseinrichtung nicht unzumutbar. Diese Argumentation lauft vielmehr darauf hinaus, dass diese Bestimmungen lediglich für Streitigkeiten von Vereinsmitgliedern untereinander, nicht aber für Streitfälle, an denen der Verein selbst beteiligt sei, gelten könnten. Aus § 8 Abs 1 VerG ist im Übrigen auch nicht ableitbar, dass die Anrufung der Schlichtungseinrichtung nur insofern zwingend sein solle, als mit einer vereinsinternen Streitschlichtung zu rechnen sei.

 

Die Nichteinhaltung des vereinsinternen Instanzenzugs hat hier daher die Unzulässigkeit des Rechtswegs zur Folge. Diese war auch ohne entsprechenden Einwand der Parteien von Amts wegen zu prüfen und aufzugreifen.