03.09.2009 Zivilrecht

OGH: Analoge Anwendung von § 38 Abs 4 Satz 3 StVO auf rechts einbiegende Radfahrer

Die Verhaltensregel des § 38 Abs 4 Satz 3 StVO ist sinngemäß auch gegenüber einem von einer Radfahrerüberfahrt rechts einbiegenden Radfahrer anzuwenden


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Verkehrsrecht, Unfall eines LKW und eines Radfahrers an einer durch Lichtzeichen geregelten Kreuzung, § 19 Abs 6a StVO nicht anwendbar, § 38 Abs 4 Satz 3 StVO analog auf rechts abbiegende Fahrzeuge anwendbar
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB, § 19 StVO, § 38 StVO

GZ 2 Ob 35/09z, 10.06.2009

Bei einem Verkehrsunfall waren der Kläger als Radfahrer und ein bei der Erstbeklagten haftpflichtversicherter, von der Zweitbeklagten gehaltener LKW beteiligt. Der Kläger erlitt schwere Verletzungen, für die er Schadenersatz fordert. Zum Unfallhergang stellte das Erstgericht fest, dass der Radfahrer zunächst auf einem Radweg unterwegs war, der parallel zu jener Fahrbahn verlief, auf der der LKW fuhr. Für die Überquerung einer im rechten Winkel kreuzenden Straße zeigte die Fuß- und Radfahrerampel grün. Der Radfahrer überquerte diese Straße jedoch nicht, sondern bog rechts in sie ein. Der LKW fuhr in dabei an, ebenfalls beim Versuch in diese Quergasse einzubiegen. Auch seine Ampel zeigte grün.

OGH: Gem § 19 Abs 6a StVO haben Radfahrer, die eine Radfahranlage verlassen, anderen Fahrzeugen im fließenden Verkehr den Vorrang zu geben. Gem § 38 Abs 4 Satz 3 StVO dürfen beim Einbiegen die Benützer der freigegebenen Fahrstreifen sowie Fußgänger und Radfahrer, die die Fahrbahn iSd für sie geltenden Regelungen überqueren, weder gefährdet noch behindert werden.

Wenngleich § 19 Abs 6a StVO nach seinem Wortlaut den vorliegenden Fall zu erfassen scheint, entspricht es doch ständiger Judikatur, dass bei einer durch Lichtzeichen geregelten Kreuzung wie im vorliegenden Fall die Frage, wer fahren darf und wer anzuhalten hat, ausschließlich nach § 38 StVO zu beurteilen ist. § 19 Abs 6a StVO ist daher im vorliegenden Fall nicht anwendbar.

§ 38 Abs 4 Satz 3 StVO, welche Bestimmung keine Vorrang-, sondern eine allgemeine Verhaltensregel enthält ist nach seinem Wortlaut nicht direkt anwendbar, da der Kläger die Fahrbahn der querenden Mariengasse weder überquerte noch beabsichtigte, sie zu überqueren. Wie schon das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, kann es aber für den Zeitpunkt des Einfahrens in die Kreuzung durch den Radfahrer keinen Unterschied machen, ob der Radfahrer auf der Radfahrerüberfahrt weiterfährt oder nach rechts abbiegt. Das Gefährdungspotenzial ist nämlich im Falle von geradeaus weiterfahrenden, die Kreuzung überquerenden Radfahrern sogar größer als bei rechts einbiegenden, weil sich im erstgenannten Fall die Gefahr einer Kollision bereits im Bereich der Radfahrerüberfahrt verwirklicht, während bei einem rechts einbiegenden Radfahrer ein möglicher Kollisionspunkt nach rechts versetzt ist und somit sowohl die Annäherungsstrecke als auch der Zeitraum bis zu einer möglichen Kollision und damit auch die Reaktionszeit verlängert wird.

Dazu kommt, dass für die Lenker der auf dem Fahrstreifen fahrenden rechts abbiegenden Fahrzeuge oftmals nicht erkennbar ist, ob sich der Kreuzung auf dem Radweg annähernde Radfahrer geradeaus die Kreuzung auf der Radfahrerüberfahrt überqueren oder rechts abbiegen wollen, weil etwa die Lenker der abbiegenden Fahrzeuge unter Umständen das Handzeichen der Radfahrer (§ 11 Abs 3 StVO) nicht erkennen können. Eine Differenzierung zwischen überquerenden und rechts abbiegenden Radfahrern würde daher zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen. Es erweist sich somit als sachgerecht, § 38 Abs 4 Satz 3 StVO sinngemäß auch auf rechts einbiegende Radfahrer anzuwenden.