OGH: Anordnung der Staatsanwaltschaft, die Stammdaten jenes Nutzers, dem bestimmte dynamische IP-Adressen zu bestimmten Zeitpunkten zugewiesen waren, bekannt zu geben
Nur eine Auskunft über Verkehrs-, Zugangs- und Standortdaten ist nach der Definition des § 134 Z 2 StPO eine "Auskunft über Daten einer Nachrichtenübermittlung"; eine Auskunft über Stammdaten hingegen ist durch eine von der Staatsanwaltschaft anzuordnende und der Kriminalpolizei durchzuführende Sicherstellung nach § 110 Abs 1 Z 1 und Abs 4 StPO zu erlangen, bedarf somit keiner gerichtlichen Bewilligung (und ist auch nicht auf Straftaten mit einer bestimmten Strafdrohung beschränkt, somit beispielsweise auch in den Fällen des Besitzes pornographischer Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 3 erster Fall StGB zulässig)
§ 110 StPO, § 134 ff StPO, § 92 Abs 3 TKG
GZ 15 Os 172/10y, 13.04.2011
Die Staatsanwaltschaft ordnete gem § 110 Abs 1 Z 1 StPO die Sicherstellung der "Auswertungsunterlagen hinsichtlich der Stammdaten (Name, Anschrift, ...) betreffend nachstehende IP-Adressen im Zeitraum 4. Mai 2009 bis einschließlich 1. Juni 2009, nämlich 88.117.108.65 (Buchung am 4. Mai 2009), 88.117.113.167 (Buchung am 8. Mai 2009), 91.115.79.195 (Buchung am 11. Mai 2009) und 188.23.3.54 (Buchung am 1. Juni 2009)" an.
OGH: Vorliegend handelt es sich bei den von der Staatsanwaltschaft begehrten Daten, nämlich Namen und Adressen bestimmter Internet-User, um Stammdaten iSd § 92 Abs 3 Z 3 TKG 2003, somit nicht um die an anderer Stelle dieses Gesetzes beschriebenen Verkehrsdaten (§ 92 Abs 3 Z 4 TKG), Zugangsdaten (Z 4a leg cit) oder Standortdaten (Z 6 leg cit).
Nur eine Auskunft über Verkehrs-, Zugangs- und Standortdaten ist nach der Definition des § 134 Z 2 StPO eine "Auskunft über Daten einer Nachrichtenübermittlung". Eine solche ist lediglich unter den in § 135 Abs 2 StPO genannten Voraussetzungen zulässig, bedarf somit zum einen einer gerichtlichen Bewilligung (§ 137 Abs 1 StPO) und ist zum anderen nicht zur Aufklärung von mit nicht mehr als einem Jahr (bzw bei Zustimmung des Inhabers der technischen Einrichtung, die Ursprung oder Ziel der Nachrichtenübertragung war oder sein wird, von mit nicht mehr als sechs Monaten) Freiheitsstrafe bedrohten Straftaten zugelassen (§ 135 Abs 2 Z 2 und 3 StPO).
Eine Auskunft über Stammdaten hingegen, also wie vorliegend des Namens und der Anschrift eines Internet-Users aus Beweisgründen zur Aufklärung von Straftaten, ist nicht diesen gesetzlichen Bedingungen unterstellt, sondern ist durch eine von der Staatsanwaltschaft anzuordnende und der Kriminalpolizei durchzuführende Sicherstellung nach § 110 Abs 1 Z 1 und Abs 4 StPO zu erlangen, bedarf somit keiner gerichtlichen Bewilligung (und ist auch nicht auf Straftaten mit einer bestimmten Strafdrohung beschränkt, somit beispielsweise auch in den Fällen des Besitzes pornographischer Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 3 erster Fall StGB zulässig).
Für diese Beurteilung spielt es keine Rolle, ob Grundlage für die Erlangung der begehrten Stammdaten eine (der anfragenden Staatsanwaltschaft bereits bekannte) dynamische IP-Adresse, sohin ein Zugangs- (und damit gleichzeitig Verkehrs-)Datum iSd § 92 Abs 3 Z 4a TKG, ist und ob der zur Wahrung des - für bloße Stammdaten nicht geltenden (§ 93 Abs 1 TKG) - Kommunikationsgeheimnisses verpflichtete (§ 93 Abs 2 TKG) Anbieter (= Betreiber des öffentlichen Kommunikationsdienstes, § 92 Abs 3 Z 1 TKG) zum Zweck der Erteilung der Auskunft die ihm zur Verfügung stehenden Zugangsdaten (oder andere Verkehrsdaten) verarbeiten muss.
Denn die bloße interne Verarbeitung von Verkehrsdaten durch den - zur Wahrung des diesbezüglich bestehenden Kommunikationsgeheimnisses verpflichteten - Anbieter stellt keinen Eingriff in das Kommunikationsgeheimnis dar, dies gilt auch dann, wenn sie in Erfüllung eines staatlichen Auftrags zur Auskunft über (nicht dem Kommunikationsgeheimnis unterstehende) Stammdaten erfolgt. Die - das Gegenstück zum Eingriff bildende - Wahrung (§ 93 Abs 2 TKG) des Kommunikationsgeheimnisses ist dann gegeben, wenn das Geheimnis nicht nach außen dringt, somit die geschützte Information (Verkehrsdaten) durch den Geheimnisträger nicht preisgegeben wird. Dass der Geheimnisträger selbst in die ihm legal zugänglichen Informationen Einsicht nimmt bzw sie "verarbeitet", stellt keine Geheimnisverletzung dar.
Diesbezüglich legt die das Gegenteil vertretende Nichtigkeitsbeschwerde im zentralen Punkt nicht überzeugend dar, warum eine Verarbeitung von Verkehrsdaten durch staatliche Organe einer solchen durch "einen privaten Rechtsträger im Auftrag des Staates" - in Wahrheit aber nicht durch einen privaten Dritten, sondern durch den Geheimnisträger selbst - gleichzusetzen sei. Ermittelt der Staat selbst, wird ihm alles im Zuge des Ermittlungsvorgangs bekannt Gewordene solcherart zugänglich, sucht hingegen der Geheimnisträger im eigenen internen Bereich geheimnisgeschützter Daten und gibt dem Staat nur das als solches unproblematische Ergebnis seiner "Ermittlungen", nämlich Stammdaten, bekannt, werden Geheimnisse dem Staat nicht preisgegeben, das Verkehrsdatengeheimnis wird vom Geheimnisträger gewahrt und staatlichen Organen gegenüber nicht gelüftet.
Die Herausgabe von Stammdaten bedarf somit - wie der OGH bereits in seiner noch zur Rechtslage vor dem Strafprozessreformgesetz (BGBl I 2003/70) ergangenen Grundsatzentscheidung 11 Os 57/05z erkannt und damals bereits auch mit Blick auf das nunmehr geltende Recht als gesetzeskonform beurteilt hat - unverändert keiner gerichtlichen Bewilligung. Einfachgesetzliche Vorschriften des DSG sind für diese Beurteilung soweit ohne Bedeutung, als - was der von der Generalprokuratur zitierte Autor Hasberger übersieht - die StPO dem TKG vorgeht (§ 92 Abs 2 TKG), beide wiederum dem DSG (§ 74 Abs 1 StPO, § 92 Abs 1 TKG), und nicht umgekehrt. Im Übrigen lässt § 1 Abs 2 DSG Eingriffe nach Maßgabe des Art 8 Abs 2 MRK - welcher Interessen der Strafverfolgung als Eingriffsgrundlage anerkennt - zu. Ob demnach die Verwendung von Verkehrsdaten im internen Bereich ohne Außenwirkung dem Datenschutz iSd DSG unterliegt, ist irrelevant. Denn es geht vielmehr um die Frage, inwieweit Art 10a StGG hier einen richterlichen Befehl verlangt oder ob eine Anordnung der Staatsanwaltschaft auf gesetzlicher Grundlage nach Maßgabe von Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit (§ 5 Abs 1 StPO) genügt.
Dass zwar die Auskunftsverpflichtungsbestimmungen nach §§ 134 Z 2, 135 Abs 2, 137 Abs 1 StPO zugleich den Anbieter zur Verarbeitung der genannten Daten legitimierende Rechtsvorschriften seien, die Bestimmung des § 110 Abs 1 StPO hingegen nicht, ist - weil § 92 Abs 2 TKG nicht differenziert - unzutreffend.
Tatsächlich bietet auch § 103 Abs 4 letzter Satz TKG eine hinreichende Grundlage dafür, dass ein Betreiber seiner auf § 110 Abs 1 StPO gegründeten Auskunftsverpflichtung betreffend Stammdaten gegenüber gerichtlichen, aber seit Inkrafttreten des Strafprozessreformgesetzes mit 1. Jänner 2008 auch staatsanwaltlichen Auskunftsersuchen zwecks Aufklärung und Verfolgung einer bestimmten Straftat nachkommen kann, indem er - gegebenenfalls zur Verifizierung der Stammdaten erforderliche - Verkehrsdaten speichert und verarbeitet. Denn danach hat der Betreiber "durch technische und organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass solchen Ersuchen auch hinsichtlich der Daten entsprochen werden kann, deren Eintragung nach § 69 Abs 5 unterbleibt", womit klar zum Ausdruck gebracht wird, dass - unabhängig von einem Teilnehmerverzeichnis - alle Stammdatenauskünfte (innerhalb der in § 99 Abs 2 TKG normierten Speicherfrist) ermöglicht werden sollen.
Dass "im Allgemeinen" keine Notwendigkeit zur Speicherung von IP-Adressen für Verrechnungszwecke iSd § 99 Abs 2 TKG gegeben sei, weil sich das Entgelt nur nach dem herunter geladenen Datenvolumen bestimme, ist schon insoweit unzutreffend, als nicht nur die Verrechnung allein Gegenstand dieser Bestimmung ist, sondern auch der Streitfall nach Anfechtung einer Rechnung iVm dem sich daraus ergebenden Verfahren, in welchem aber die Daten der konkreten Internet-Verbindungen zur Beweisführung erforderlich sein können. Der (zudem unter Außerachtlassung der Wortfolge "außer in den gesetzlich geregelten Fällen" in § 99 Abs 1 TKG) gezogene Schluss, dass eine Auskunft über Namen und Adresse eines sich einer bestimmten IP-Adresse bedienenden Internet-Users somit "nur in der verhältnismäßig kurzen Zeit erfolgen darf, in der dieses Verkehrsdatum in personenbezogener Form zur Herstellung und Aufrechterhaltung der Verbindung sowie zur Behebung diesbezüglicher Störungen gespeichert werden darf", womit die Speicherlegitimation somit der Sache nach offenbar auf den konkreten Verbindungszeitraum selbst beschränkt sein soll, geht daher ins Leere. Folgte man der Argumentation der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes, wäre in letzter Konsequenz nach Beendigung eines Verbindungsvorgangs überhaupt keine Speicherung von Verkehrsdaten mehr zulässig, womit - auch in den Fällen der §§ 134 ff StPO - jegliche Aufklärung und Verfolgung von Straftaten de facto unmöglich wäre. Dass dies nicht dem Willen des Gesetzgebers entspricht, liegt auf der Hand.
Demgemäß enthält das österreichische Recht hinreichende Rechtsvorschriften, die die Verarbeitung von Verkehrsdaten zur Auskunftserteilung über Stammdaten für Zwecke der Strafverfolgung legitimieren.
§ 119 StGB (Verletzung des Telekommunikationsgeheimnisses) stellt im Übrigen ausdrücklich nur auf Inhaltsdaten ab, weshalb eine Gleichsetzung des Geheimnisumfangs der § 119 StGB und § 93 TKG (zur Bestimmung des Fernmeldegeheimnisses) unzutreffend ist.